Wenn im Juni die Fußball-WM beginnt, bekommen Millionen Zuschauer neben Ballkünsten auch jede Menge Hautkunst zu sehen. Immer mehr Fußballer setzen sich nicht nur durch trickreiches Dribbeln, sondern auch durch großflächige Tätowierungen in Szene. Tattoos sind aber nicht nur bei Neymar, Vidal, Messi, Boateng & Co. beliebt.
Vor allem bei jungen Leuten sind Tätowierungen zu einem „Must-have“-Massenphänomen geworden. Dr. Steffen Schubert vom Informationsverbund Dermatologischer Kliniken zur Erfassung und wissenschaftlichen Auswertung der Kontaktallergien (IVDK) in Göttingen sieht den Boom kritisch. „Tattoos können schwere Kontaktallergien auslösen“, warnt er. „Viele Menschen wissen gar nicht, was sie sich in die Haut stechen lassen.“
Mediziner suchen nach Auslösern von Allergien
Der Göttinger Wissenschaftler befasst sich in einem aktuellen Forschungsprojekt mit Unverträglichkeitsreaktionen auf Tätowierfarben. Anlass war eine Anfrage aus einer der insgesamt 56 Hautkliniken, die sich zu dem Informationsverbund IVDK zusammengeschlossen haben. Die beteiligten Kliniken in Deutschland, Österreich und der Schweiz übermitteln regelmäßig die Ergebnisse der Epikutantests ihrer Patienten an die IVDK-Zentrale in Göttingen. Mit diesen Tests lassen sich Kontaktallergien diagnostizieren. Die Göttinger Wissenschaftler werten die Daten aus und können so zum Beispiel feststellen, welche Allergene besonders häufig auftreten.
In jüngster Zeit behandeln die Hautkliniken vermehrt Patienten mit allergischen Reaktionen, die vermutlich durch Tätowierungen ausgelöst wurden. Welche Substanzen dafür verantwortlich sind, ist allerdings meist unklar, weil der boomende Tattoo-Markt in einer Grauzone angesiedelt ist – und das in vielerlei Hinsicht. Die Allergologen haben das Problem, dass sie mit den gängigen Testpräparationen oft nicht feststellen können, welches Allergen – zum Beispiel ein Pigment – eine Kontaktallergie ausgelöst hat.
„Dies muss die Politik dringend ändern“
„Seit 2005 sind in Deutschland keine neuen Testsubstanzen zugelassen worden“, kritisiert Schubert. „Mit diesem alten Portfolio lassen sich neue Allergene gar nicht abbilden.“ Die behördlichen Hürden seien aber inzwischen so hoch, dass sich die Zulassung neuer Testsubstanzen für die Hersteller nicht lohne. „Dies muss die Politik dringend ändern“, sagt Schubert.
Dementsprechend gibt es bislang auch keine groß angelegten Studien zu den gesundheitlichen Auswirkungen von Tattoos. Einzelne Untersuchungen zeigen aber, dass Tätowierungen nicht unerhebliche Risiken bergen. Grund: Die tätowierten Farben bleiben nicht dort, wo sie eingestochen werden, sondern wandern durch den Körper.
30 Prozent der Lösung verteilt sich im Körper
„30 Prozent der Tätowierlösung verteilt sich im gesamten Körper, ein Teil davon lagert sich in Leber und Lymphknoten ab und färbt diese auch“, erläutert Schubert. Als Folge kann es zu Leistungseinbußen und einem gestörten Schwitzverhalten kommen – unerwünschte Nebenwirkungen, die insbesondere Leistungssportler eigentlich abschrecken müssten.
Vor allem aber können die Farbstoffe schwere Kontaktallergien auslösen, die sich oft erst Wochen später bemerkbar machen. „Solche Allergien sind nicht heilbar, bei jedem Kontakt kommt es wieder zu teils heftigen allergischen Reaktionen“, erklärt Schubert. Betroffene sollten im Fall einer Unverträglichkeitsreaktion die Tätowierung niemals mit einem Laser entfernen lassen. „Damit werden die Allergene im ganzen Körper verbreitet, was eine noch viel heftigere Reaktion hervorrufen kann.“
Branche wenig Regulierungen unterworfen
Obwohl Tätowierungen mit nicht unerheblichen Eingriffen in den Körper verbunden sind, ist die Branche vergleichsweise wenigen Regulierungen unterworfen. „Die Kontrolle der Hersteller ist mangelhaft“, sagt Schubert. „In manchen Farben sind Konservierungsmittel und andere verbotene Substanzen enthalten.“
Doch auch die legalen Farbmischungen seien nicht unproblematisch. In sehr seltenen Fällen seien die Folgen so gravierend gewesen, dass als letztes Mittel nur noch die Amputation blieb. Viele Pigmente stammten aus Industriebereichen, die nie für die Anwendung am Menschen gedacht waren. „Viele Tätowierte wissen gar nicht, dass sie Bestandteile von Autolacken, Plastik oder Druckerfarben im Körper haben.“
Die größten Gesundheitsrisiken gibt es bei temporären Henna-Tattoos, wie sie oft von Straßenkünstlern an Urlaubsorten angeboten werden. Weil die klassischen Henna-Farben einen eher unspektakulären Braunton erzeugen, wird ihnen oft das Haarfärbemittel p-Phenylendiamin (PPD) beigemischt, teilweise in enorm hohen Konzentrationen. Die Panscherei mit der Chemikalie könne verheerende Wirkung haben, sagt Schubert: „Schwarze Henna-Tattoos lösen extreme allergische Reaktionen aus.“
Von Heidi Niemann