Irgendwann muss Elisabeth dieses Wort durch den Kopf geschossen sein: Alibifreundin. Nicht im Sinne von „Mein Freund Harvey“, sondern im Sinne von: Wenn wir uns treffen, hat sie ein Alibi. Und dann muss sie das diabolische Lächeln mit knallroten Lippen vor Augen gehabt haben, das Anna immer wieder auflegt während des „Gesprächs wegen der Kürbisse“.
Häufig wenn es um ihren Vater ging, der sich in Nordchina von einem Gebäude gestürzt haben soll – 93 Meter tief. Immer, wenn sie über Tanja sprach, Elisabeths Frau, die nur wegen der gemeinsamen Tochter noch bei ihr sei. Bei jeder Beleidigung und Erniedrigung. Oft, wenn das Gespräch auf Sebi kam, Annas Ex, der ein Buch schreibt über Anja, die Psychotische.
Sebi, mit dem Anna im Urlaub gewesen sein soll. An der Ägäis, die sie auch mal Adria nennt. In der Nähe von Izmir, in einer der vielen kleinen Städte, die es manchmal gar nicht gibt, und deren bloße Erwähnung Elisabeth schon auf die Palme bringen. An einem Ort am Meer sollen sie gewesen sein. Gefühlt minutenlang referierte Anna zu Beginn des Gesprächs über das Rauschen und wie wahnsinnig es sie gemacht habe. Nicht aber die Kürbisse. Ausgehöhlt und mit Klöppeln darin hätten sie glockengleiche Geräusche erzeugt. Kürbisse?
Wieder und wieder lässt Jakob Nolte die Elisabeth in „Gespräch wegen der Kürbisse“ hachhaken – obwohl Freundin Anna längst zugegeben hat, dass die Fantasie mit ihr durchgegangen ist. Die Szene spielt sich wie die gesamten 55 Minuten der Bühnenfassung von Britta Ender in der kargen Kulisse einer Küche ab. Kühlschrank, Stühle an der Küchenzeile, Kräutertöpfe – Schluss.
Beste-Freundin-Geheuche
Johannes Frei hat die Bühne nahezu komplett in Schwarz-Weiß gehalten. Vielleicht war es sein Gedanke, dem Gewirr aus Lügen, Intrigen, Tratsch und Beste-Freundin-Geheuchel irgendetwas Eindeutiges entgegenzusetzen. In der Kulisse die Freundinnen, die nur eine recht ähnliche Frisur eint, ein Knoten weit oben am Kopf.
Die eine, Elisabeth, sieht die Welt Grau in Grau – und so tritt sie im Stück auch auf. Sie baut an einer Mega-Kanone. Um damit jeden beliebigen Erdteil zu bombardieren? Leichen ins Weltall zu schießen? Oder die Welt zu retten? Jedenfalls arbeitet sie hart dafür. So hart, dass Frau und Kind sie kaum mehr zu Gesicht bekommen und sie langsam vergisst wie es funktioniert, die Bettdecke zu benutzen. Sie will nicht nach vorn kommen, sondern nach oben. Wo der Himmel ist und so viel Ruhe.
Verwirrt, aber bestens unterhalten
Marie Seiser spielt „Lisbeth“ beherrscht, gefasst und kalt. Selbst als sie berichtet, längst den Plan gefasst zu haben, sich das Leben zu nehmen, klingt es, als referiere sie in einem Hörsaal. Umso besser kommen die Gefühlsausbrüche zur Geltung, die sie immer dann hat, wenn Anna sie mit falschen Städtenamen oder der besagten Kübisgeschichte zur Weißglut treibt. Oder, wenn sie mit ihr wild tanzend das Lied der gemeinsamen Freundschaft singt vom coolen Trip im Cabrio. In dem ganz zufällig fällt, dass niemand je herausfinden wird, dass Anna den Vater umgebracht hat. Irgendwann gleicht der Dutt einem Vogelnest - und ebenso verwirrt - aber bestens unterhalten - bleiben die Zuschauer zurück.
Gaia Vogel gibt der Anna viele Gesichter. Sie kann ganz verträumt sein, naiv gucken, breit lächeln und einen eiskalten Ausdruck haben. Doch so recht passt die Mimik selten zu dem, was sie sagt. Das macht es für das Publikum immer spannender zu erfahren, was denn nun wirklich passiert ist mit dem Vater, dem Ex-Freund und vor allem mit den Kürbissen.
Weitere Versuche, dem auf den Grund zu gehen, können die Zuschauer am Freitag, 23. März, Donnerstag, 5., und Mittwoch, 25. April, unternehmen. Dann wird - jeweils um 20 Uhr - wieder „Gespräch wegen der Kürbisse“ im Keller des Deutschen Theaters, Theaterplatz 11 in Göttingen, gezeigt. Karten gibt es an der Theaterkasse und im Tageblatt-Ticketshop.
Von Nadine Eckermann