Rund 200 Besucher wollen sich den musikalischen Wettstreit nicht entgehen lassen und nehmen auf der Tribüne, die nur den halben Theatersaal ausfüllt, oder auf den davor liegenden Sitzkissen Platz. Moderator Felix Römer und sein Sidekick Tilman Döring, der auch Veranstalter des Song-Slams ist, erklären die Regeln. In der Vorrunde entscheiden sieben Freiwillige aus dem Publikum, die mit Wertungstafeln ausgestattet werden. Römer fordert die übrigen Gäste dazu auf, die Wertungsrichter ordentlich zu beeinflussen. „Die Bestnote“, ruft der Moderator, „gibt’s nur, wenn du dir für den gehörten Song ‘nen Walkman ins Ohr pflanzen lassen würdest.“
Jan-Felix Bergmann wollte eigentlich etwas Depressives spielen, hat sich aber jetzt doch für etwas Fröhliches entschieden. Seine Ballade im Singer-Songwriter-Stil kommt bei den Besuchern gut an. Malte Schöning versucht sich in der Music-Comedy und nimmt mit seinem Song „Tinderella“ Dating-Plattformen aufs Korn. Gelächter im Publikum bei Textzeilen wie „Suchst du jemanden, der dir treu ist, such‘ dir einen Hund“.
Kontrastprogramm direkt im Anschluss:Jannes Schreiber, Leadsänger der Göttinger Band „Tom Schreibers Blume“, schlägt ernste Töne an. „Geht nicht achtlos an anderen Menschen vorbei. Hört euch deren Geschichten an, auch wenn sie manchmal schwer zu ertragen sind“, ruft der Sänger zu Empathie und Nächstenliebe auf. Sein Titel „Tagessatz“ geht musikalisch und textlich unter die Haut und scheint auch die Besucher zu berühren. Riesenapplaus und 41,9 Punkte – die Höchstwertung in der Vorrunde.
Eric Petzold aus Kassel beherrscht das Fingerpicking an der Akustik-Gitarre und besingt in „Another place to be“ die Fallstricke des Lebens – „Life is such a bitch“. Max alias „Alter Kaffee“ gibt zu, bei einem Auftritt in Kassel Jannes Schreibers Plektrum geklaut zu haben, mit dem er heute spielt. „Bauch, Beine, Po“ ist ein bitter-süßes Lied über eine verblichene Liebe. Auch Inga, die einzige Frau unter den Slam-Teilnehmern, thematisiert die Dating-Portale in ihrem Song. Ein herrlich zynischer Text begleitet die druckvolle Offbeat-Nummer.
Nach der Pause wird die finale Reihenfolge der Finalisten Jannes Schreiber, „Alter Kaffee“ und Inga in einer Art Impro-Stadt-Land-Fluss festgelegt. Schreiber muss als Erster ran und gewinnt die Herzen der Zuhörer mit der sehr freien und einfühlsam gesungenen Interpretation von „Ohne dich“, im Original aus den Achtzigern von der „Münchener Freiheit“. Inga wirft ein Anti-Liebeslied in die Waagschale und „Alter Kaffee“ versucht die Zuhörer mit einem Mitmach-Song über das Schwarzfahren für sich einzunehmen. Warum der „Knäckebrot“ heißt, erschließt sich wahrscheinlich nur ihm selbst.
Abstimmung beim Song-Slam im JT zieht sich hin
Die Endabstimmung zieht sich hin. Soll wohl lustig sein, nervt aber einige Besucher sichtlich. Zuerst wird per Klatschen abgestimmt und Max muss die Bühne verlassen. Moderator Römer und Handlanger Döring gefallen sich in ihrer Rolle und spielen diverse Abstimmungsvarianten durch, bevor sie zu dem Schluss kommen, den die Besucher bereits mehrfach kundgetan haben: Jannes Schreiber hat gewonnen. Gemeinsam singen die drei Finalisten noch eine wunderbar schräge Version von Reinhard Meys „Gute Nacht Freunde“. Die für den Gewinner ausgelobte Flasche Bourbon-Whiskey wurde allerdings vor der Siegerehrung schon vom Veranstalter geköpft.
Von Christoph Mischke