Der Sommer 2018 war eine Liebeserklärung an die Siebzigerjahre. Zumindest sahen die Models auf Instagram so aus, als seien sie in einer Clique mit Jane Birkin und Serge Gainsbourg. In Jeansschlaghosen und weiten Spitzentuniken saßen sie malerisch vor azurblauem Himmel unter Zitronenbäumen, während am Handgelenk ein kleines Weidenkörbchen baumelte. Dazu wehte eine kühle Brise vom Meer herüber.
So leicht und schön stellen wir uns nicht nur die Vergangenheit vor, sondern auch die nahe Zukunft. Deshalb geht es im Herbst auch munter weiter mit der Geschichtsversessenheit. Wir bleiben in den Siebzigern. Und passend zum Wetter – etwas Regen wird es ja endlich mal geben – wird Cord das große Thema.
Nun ist Cord nicht unbedingt der Stoff, aus dem die Träume sind. Das Gegenteil ist sogar der Fall: Cord gilt als plump, schwer, bieder und konservativ. Es gibt Menschen, die assoziieren mit Cord Mathelehrer, denen montags in der ersten Unterrichtsstunde noch das Gelb vom Frühstücksei im Bart hing.
Wer bei einem festlichen Anlass im Cordjackett auftaucht, hat entweder sehr lange nicht eingekauft oder aber den Dresscode nicht verstanden. “Vogue“-Autorin Maya Singer etwa erinnerte kürzlich in einem Text an das unangenehme “Wischwisch“-Geräusch, das Hosenbeine aus Cord erzeugen, wenn der Stoff beim Gehen aneinanderreibt.
Unendliche Formenvielfalt
Der Modewelt aber ist das egal. So zeigte etwa das britische Label Mulberry in der Kollektion für Herbst/Winter 2018/19 eine weit ausgestellte Schlaghose in leuchtendem Beige. Prada schickte ein Model in einem feurig-roten Cordanzug über den Laufsteg.
Cord ist Konsens bei den Designern, die teilweise geradezu spielerisch mit dem Material umgehen. Die Cordschlaghose von Isabel Marant etwa ist himbeerrosa, es gibt Latzhosen und ganze Jumpsuits aus Cord in ungewöhnlich knalligen Farben. Ob die Längsrippen des Stoffes breit oder fein sind, spielt eine untergeordnete Rolle.
Auch die Formenvielfalt ist absolut zeitgemäß. In der Gegenwart gibt es nicht nur 43 unterschiedliche Arten, den Kaffee zu trinken, sondern auch Cordhosen in weit, lang, mittellang, eng und als Anzug. Das passt zur wechselvollen Geschichte des Materials.
Noch bevor es Jägern und Zimmermännern für ihre Trachten vorbehalten war, trug Ende des 18. Jahrhunderts vor allem die Arbeiterklasse den in Zeiten der Industrialisierungen in den britischen Stofffabriken kostengünstig erzeugten und bequemen Cord.
Aus dieser Zeit stammt auch der Begriff “poor man’s velvet“ – “Samt für Arme“. In den Sechziger- und Siebzigerjahren des 20. Jahrhunderts dann trugen Künstler und Intellektuelle sogenannte Manchesterhosen – auch, um ihrem Protest gegen gesellschaftliche Normen Ausdruck zu verleihen.
So viel Statement sollte man zwar nicht in die Neuauflage der Längsrippen legen. Doch anders als Fake Fur und Fake News ist Cord immer echt. Man kann ihn anfassen. Er ist von Dauer – und vor allem über jeden Zweifel erhaben.
Von Dany Schrader