Göttingen: Jugendparlament will mehr als diskutieren

Karola Margraf schaut lächelnd und anerkennend. „Also reden könnt ihr“, sagt die Vorsitzende des Rates der Stadt Göttingen. Gemeint sind Jakob Büchner (18) und Tim Wiedenmeier (15). Beide Schüler gehören zum Göttinger Jugendparlament. Die Meinung junger Menschen soll über das Gremium verstärkt in die Stadtpolitik einfließen. Zu Beginn der jüngsten Ratssitzung stellen sich beide den Politikern vor – und beeindrucken prompt durch Selbstbewusstsein und freies Sprechen. Und auch ihre Ankündigungen führen zu respektvollem Nicken in der Runde. Das Jugendparlament wolle nicht nur reden, sondern auch handeln. Eine Idee ist die Etablierung eines Kaffee-Pfandbecher-Systems, Projektname „Coffee to Gö“. Die 31 Mitglieder (darunter zehn weibliche) des Göttinger Jugendparlaments sind im Juni von Schülern der Stadt frei gewählt worden. Das Gremium soll die Stadt Göttingen und die Fachausschüsse des Rates bei allen Themen, die Jugendliche betreffen, beraten und unterstützen. Eine weitere Aufgabe ist die Vernetzung mit anderen Organisationen und Akteuren der Jugendarbeit in der Stadt. Die Legislaturperiode beläuft sich auf zwei Jahre. Kandidaten dürfen nicht älter als 18 Jahre sein. Das Parlament soll möglichst einmal im Monat tagen, die nächste Sitzung ist (unter Corona-Auflagen) für den 11. Dezember anberaumt. Übrigens: Beim Vorschlagen des Mehrwegbecher-Projektes hatte sich Jakob Büchner auf dem Handy vertippt. Anstatt „Kaffee to go“ schrieb er „Kaffee to gö“, was dem Vorhaben ad hoc einen Anstrich von Lokalkolorit gab. To-go-Idee mit Gö neu angehen: Im Gespräch mit dem Tageblatt erklären beide, wie „Coffee to Gö“ laufen soll. Ein System soll es sein, das auf Pfandbechern basiert, damit Wegwerfbecher überflüssig werden. Das ist freilich keine ganz neue Idee, ein sogenannter Recup-Becher wird bereits in mehreren deutschen Städten genutzt. In Göttingen hat das Studentenwerk vor zwei Jahren einen To-Go-Becher in Umlauf gebracht, der an Selbstbedienungsautomaten eingesetzt werden kann. Ein von Schülern 2017 entwickelter Mehrweg-Becher ist damals zwar viel gelobt worden, hatte es aber schwer, von der Allgemeinheit akzeptiert zu werden. Dennoch unternimmt das Jugendparlament jetzt einen neuen Anlauf, um für mehr Nachhaltigkeit zu sorgen. „Wir stellen uns das so vor, dass so ein Becher zum Beispiel bei Küster gekauft und je nach Bedarf bei Ruch oder einem anderen Bäcker nachgefüllt werden kann“, sagt Büchner. Einfach und unkompliziert solle das System „Coffee to Gö“ sein. Ein umständliches Hin- und Herlaufen, um den Becher zurückzugeben, soll ausgeschlossen werden. Dazu brauchen die Jungparlamentarier jetzt viele Partner. Möglichst alle Bäckereien und Cafés, die Kaffee ausschenken, müssten mitmachen, müssten zur Hygiene womöglich auch eine Reinigungsmöglichkeit für die Becher anbieten. Projekt gegen Diskriminierung: Das Jugendparlament will es im praktischen Gestalten nicht beim Kaffeegenuss bewenden lassen, weitere Projekte sollen folgen. Schulen, sagt Wiedenmeier, seien Ort Nummer eins für Mobbing. Deshalb soll ein Projekt gegen Diskriminierung auf den Weg gebracht werden, das sich mit Themen wie Sexismus, Homophobie, Fremdenfeindlichkeit oder Bodyshaming befasst. Der Vorschlag soll demnächst in den Schulausschuss eingebracht werden. Außerdem wolle das Jugendparlament die Stadt Göttingen und besonders die Innenstadt umweltfreundlicher gestalten, etwa durch mehr Fahrradständer und eine attraktivere Gestaltung des Öffentlichen Personennahverkehrs. 31 Päckchen für Gleichaltrige: Und ebenfalls ganz praktisch wollen die 31 Parlamentsmitglieder vor Weihnachten 31 Päckchen packen für Gleichaltrige, die in benachteiligten sozialen Verhältnissen leben. Dafür sei mit der Tafel Göttingen bereits Kontakt aufgenommen worden. Von dort wissen Büchner und Wiedenmeier, dass so mancher Schüler mit sehr wenig glücklich gemacht werden kann: „Ein Neunjähriger etwa wünscht sich ein 30-Zentimeter-Lineal“, sagt Büchner. Für nächstes Jahr ist eine Baumpflanzaktion vorgesehen. Lesen Sie auch: Jugendparlament Göttingen will selbstbewusst Schwerpunkte setzen Wahlen für das Göttinger Jugendparlament laufen bis 26. Juni Fachausschuss lehnt Jugendparlament für Landkreis Göttingen ab Befragt nach der Motivation, sich neben der Schule aktiv einzubringen für das Gemeinwohl, sagt Büchner – der in diesem Schuljahr sein Abi schreibt – es sei das Mitarbeiten- das Mitgestaltenkönnen, aber auch das Verlangen, junge Menschen für Demokratie zu begeistern und für Politik zu interessieren, das ansporne. Außerdem würden Politiker Politik für Jugendliche unattraktiv machen. Dem soll mit einem jugendlichen Herangehen an gesellschaftliche Themen ein Agieren aus dem Blickwinkel der jungen Generation entgegengesetzt werden. Von Ulrich Meinhard