Chronobiologe aus Göttingen zu Zeitumstellung in Corona-Zeiten

Mit der Uhrzeit geht es in der Nacht zu Sonntag voran: Am 28. März beginnt die Sommerzeit, um 2 Uhr werden die Uhren auf 3 Uhr gestellt – im Jahr 2020 in Zeiten der Corona-Krise. Sowohl die Maßnahmen gegen die Verbreitung des Corona-Virus als auch die Zeitumstellung haben Einfluss auf die biologische Uhr des Menschen. Gregor Eichele, Chronobiologe am Göttinger Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie, untersucht die Folgen von „Chronodisruption“. Die molekulare Kontrolle zirkadianer Rhythmen heißt eines der Forschungsgebiete von Eichele und seinem Team. Das befasst sich mit den molekularen zellbiologischen Uhren. „Äußere Einflüsse können dieses Uhrennetzwerk empfindlich stören“, erklären die Wissenschaftler. Und so kann nach Ansicht von Eichele der derzeit bei vielen Menschen, insbesondere Berufstätige und Schüler, durch die Verhaltensvorschriften in der der Corona-Krise veränderte Tagesablauf „ein bisschen Einfluss auf die biologische Uhr haben“. Uhrzeit spielt in der Natur keine Rolle: Der Wissenschaftler, der jahrelang in den USA geforscht hat und seit 1997 wieder in Deutschland tätig ist, betont, dass für den Organismus der Tag- /Nachtrhythmus der wichtigste ist. Auch der Mensch reagiert auf Hell und Dunkel. Die Uhrzeit ist ein Hilfsmittel, das in der Natur keine Rolle spielt. Und deshalb sind gewohnte Tagesabläufe oder der Lauf der Sonne eingeprägter als die Umstellung der Uhrzeit von heute auf morgen. „Je mehr ein natürlicher Rhythmus unterbrochen wird, umso größer ist die Störung“, sagt Eichele. Der Professor beurteilt Störungen wie jetzt die veränderten Tagesabläufe oder die Zeitumstellung als „nicht dramatisch, aber destabilisierend“. Er nennt als Beispiel die nachgewiesenen nachteiligen Auswirkungen von Schichtarbeit. „Der Körper benötigt Zeit“: Hinsichtlich der Zeitumstellung meint Eichele, „die Umstellung auf Sommer- oder Winterzeit ist keine Katastrophe, aber der Körper benötigt Zeit für die Gewöhnung“. In ihren Studien gehen die Chronobiologen nicht die kurzzeitigen Umstellungen an, sondern zeitlich längere. Dafür stehen die Folgen von Jetlags mit Zeitverschiebungen von bis zu zwölf Stunden im Mittelpunkt. Entsprechend benötige der Organismus auch „mehrere Tage, um das zu überwinden“. Mit Blick auf Studien der Universität Lübeck kann Eichele auf wissenschaftlich nachgewiesene Störungen der inneren Uhr mit Folgen verweisen. Die Hochschule in Schleswig-Holstein untersuchte von 2010 bis 2013 die Angaben von 10 Millionen Krankenversicherten. Nach der Umstellung auf Sommerzeit stellten die Lübecker Wissenschaftler fest, dass es in den Aprilmonaten zu mehr Krankschreibungen kam bei Menschen mit entzündlichen Darmerkrankungen. In dem Untersuchungszeitraum wurden 40000 zusätzliche Krankschreibungen festgestellt. Für Eichele ein Ergebnis, dass er „nicht dramatisch, aber erkennbar“ nennt. „Abwehr ist tagsüber stärker“: Und für den Chronobiologen ist ein weiterer Aspekt interessant: Das Immunsystem ist stark geprägt von der zirkidianen Uhr. Antigene im Lymphsystem und die weißen Blutkörperchen sind tagsüber aktiver. „Die primäre Abwehr ist tagsüber stärker, nachts hingegen optimiert sie sich, das heißt erholt sich“, erklärt Eichele. Das Gebiet der Chronoimmunologie sei jung, aber die Erkenntnisse über die Körperabwehr sind gesichert und auch die über den besten Zeitpunkt von Impfungen: tagsüber, am besten früh am Tage. Die biologische Uhr steuert die Aktivität von Genen und Immunzellen. Gewisse Proteine, so Eichele, werden in den Zellen nur zu bestimmten Tageszeiten produziert. Der Organismus von Mensch und Tier ist auf Hell und Dunkel, auf Tag und Nacht programmiert. Änderungen des Programmablaufs durch kurzfristig erfolgende Zeit- oder Lebensumstellung können die biologische Uhr mehr oder weniger stören. Wenn die zum Problem werden, kann die Rückkehr zum gewohnten Zeit- und Tagesablauf das lösen. Lesen Sie auch: Sommerzeit: Zweifelhafter Nutzen, ungewisse Zukunft Die Autorin erreichen Sie per E-Mail an a.bruenjes@goettinger-tageblatt.de Von Angela Brünjes

Umstellung auf Sommerzeit - Die biologische Uhr tickt anders