Forscher mit Göttinger Beteiligung zeigen: Ratten riechen Hilfsbereitschaft

Wissenschaftler der Universitäten Bern, Göttingen und St. Andrews in Schottland haben in einer Studie herausgefunden, warum Wanderratten gegenüber anderen in der Gruppe lebenden Tieren uneigennützig handeln: Altruistisches Verhalten werde über den Geruchssinn aktiviert, heißt es in einer Mitteilung der Universität Göttingen. Die Ergebnisse sind in der Fachzeitschrift Proceedings of the Royal Society B veröffentlicht worden. Wanderratten unterstützten Artgenossen zum Beispiel bei der Futtersuche, weil sie Hilfsbereitschaft röchen und darauf setzen könnten, dass sich aktuell Bedürftige später revanchierten. Gegenüber eigennützigen Partnern seien sie hingegen weniger großzügig. Hilfe im Tierreich sei durch gegenseitige Körperpflege bekannt, ebenso bei der Nahrungsbeschaffung, beim Wacheschieben oder bei der Brutpflege – nach dem Prinzip: „Wie du mir, so ich dir“, so die Pressestelle der Universität. Dabei müsse darauf geachtet werden, von egoistischen Sozialpartnern nicht ausgenutzt zu werden. Wie nehmen Ratten Hilfsbereitschaft wahr? Die Frage, der Erstautorin Dr. Nina Gerber und weitere Forscher nachgingen: Wie nehmen Ratten die Hilfsbereitschaft von Sozialpartnern wahr, um entscheiden zu können, wem sie helfen sollen? „Wir wussten aus Vorgängerstudien, dass sie sich nach dem Prinzip ,Eine Hand wäscht die andere’ gegenseitig helfen. Beispielsweise auch, dass sie hungrigen Ratten mehr helfen als satten. Aber es war uns noch nicht klar, woher sie wissen, wer ihnen bereits geholfen hat. Darum wollten wir herausfinden, wie wichtig geruchliche Kommunikation dafür ist“, so die 30-jährige Wildtierbiologin der Universität Göttingen. Damit ein solches System nicht ausgenutzt werde, müssten diese olfaktorischen Signale „ehrlich sein. Und bei uns im Versuch war das der Fall“, so Gerber. Generell seien die Ratten sehr sozial und würden sich gegenseitig helfen – und dieses System sei stabil: „Das heißt, es wird kaum ausgenutzt, denn wenn zu viele das System ausnutzen würden, würde es zusammenbrechen.“ Der bei der Hilfestellung produzierte Geruch liefert Informationen: In einer Serie von Experimenten haben die Forschenden an der Ethnologischen Station Hasli der Universität Bern gezeigt, dass die Informationsquelle, die Ratten für ihre Entscheidung heranziehen, anderen zu helfen, der bei der Hilfestellung produzierte Geruch ist. Gerber habe die Tiere so mit Sozialpartnern kombiniert, dass sie deren Hilfeleistung und den Geruch, den sie dabei abgeben, experimentell entkoppelt habe, heißt es in der Mitteilung. „Egal, ob die Partnerratte im Nachbarabteil hilfsbereit war oder nicht: Sobald dem Versuchstier der Geruch einer anderen Ratte, die einem anderen Tier half, in den Käfig geblasen wurde, stimmte sie das kooperativ“, sagt Gerber. Dieser „Duft des Miteinander“ sei mithilfe einer luftdichten Box und einem Luftstrom aus einem benachbarten Zimmer zum Versuchstier transportiert worden, um „somit sein Geruchserlebnis manipulieren“ zu können. Das Versuchstier half, indem es an einer Plattform zog, damit die Partnerratte eine darauf liegende Haferflocke erreichen konnte, so Gerber. Nur der Geruch ist für Hilfsbereitschaft verantwortlich: „Überraschenderweise war der Geruch, und nur dieser allein, für die Hilfsbereitschaft der Versuchstiere verantwortlich, selbst wenn die Hilfeaktion in einem anderen Raum stattfand, also einzig und allein die dort abgesaugte Luft in den Versuchskäfig übertragen wurde“, wird Manon Schweinfurth, die an der Studie beteiligt war, und zurzeit an der Fakultät für Psychologie und Neurowissenschaften der University of St. Andrews forscht, in der Mitteilung zitiert. Aufgrund dieses Ergebnisses der Experimente hätten „jegliche alternativen Reize als mögliche Auslöser für die Hilfsbereitschaft der Versuchstiere“ ausgeschlossen werden können, heißt es weiter. Ausschließlich der Luftstrom, der von Raum zu Raum transferiert worden sei, also weder visuelle noch akustische Signale, hätte zur Verfügung gestanden. „Wenn Ratten in die Lage versetzt wurden, einem nicht kooperativen Partner zu helfen, während sie olfaktorische Informationen von einer Ratte erhielten, die einem Artgenossen in einem anderen Raum half, halfen sie ihrem nicht kooperativen Partner, als wäre es ein kooperativer Partner“, heißt es in der Zusammenfassung der Studie. Ein Schritt zum Verständnis, wie Kooperation funktioniert: Die Studie bringe die Forschenden „einen Schritt näher zu verstehen, wie Kooperation funktioniert und wie so ein Verhalten“ während der Evolution entwickelt worden sei, so Gerber. „Wir hoffen, damit auch weitere Studien zu dem Thema zu inspirieren, um herauszufinden, ob auch bei anderen Arten so ein Geruch wichtig ist, vielleicht sogar beim Menschen“, sagte Gerber. Die Studie könne insofern weiterhelfen, „dass sie zeigt, dass es vielleicht auch bei uns Duftstoffe gibt, die wichtig für kooperatives Verhalten sind. Ob das bei uns allerdings der Fall ist und ob es sich um die gleichen Stoffe handelt, muss jedoch noch geprüft werden.“ Eine nahe liegende Fortsetzung der Studie sei, „die genauen Geruchsstoffe zu isolieren, welche das Verhalten auslösen, und die Ergebnisse mit Ergebnissen von anderen Arten zu vergleichen“. Von Stefan Kirchhoff