Göttingen: Herausforderungen für Frauen in der Wissenschaft

Sarah Hoffmann-Urlaub (34) studierte im Bachelor und Master Physik an der Universität Göttingen, dann schloss sie die Promotion und den Postdoc ab. Heute arbeitet sie als Nachwuchsgruppenleiterin am Institut für Materialphysik. Außerdem ist sie Mutter eines einjährigen Kindes. Am internationalen Tag der Frauen in der Wissenschaft erklärt sie, warum wenige Frauen in der Physik zu finden sind – und warum die Karriere an der Universität für Frauen herausfordernd ist. „Wir Frauen sind am Institut hart in der Minderheit“, sagt sie. Während am Anfang des Physik-Studiums rund 20 Prozent der Studenten weiblich waren, sind es nun, im weiteren Karriereverlauf an der Universität, deutlich weniger. Grund seien zum einen strukturelle Probleme. Auslandsaufenthalte – mit der Familie? Auf dem Weg zur Professur müsse unter anderem ein Auslandsaufenthalt bewältigt werden, so Hoffmann-Urlaub: „Da Männer noch immer meist die Besserverdiener sind, versteht es sich oft von selbst, dass die Familie mit ins Ausland zieht“, so Hoffmann-Urlaub. Dass die Frau wiederum ins Ausland ihren Mann und die Familie mitnimmt, würde weniger auf Akzeptanz stoßen. Als Nachwuchsgruppenleiterin betreut Hoffmann-Urlaub die Arbeiten von Studenten und forscht zudem selbst. Insgesamt beschreibt sie ihre Arbeit als keinen „9 to 5 Job“, da sie E-Mails auch nach 18 Uhr checkt und Konferenzen besucht. Zu Beginn der Universitätskarriere musste sie zudem viel produzieren und publizieren – da blieb kaum Zeit, eine Familiengründung zu planen. Kleinere Hilfen würde die Universität jedoch bieten: Für die Kinder gibt es etwa eine Notbetreuung, wenn Wissenschaftler auf Konferenzen fahren. Frauen in der Physik: Warum sich wenige Frauen für ein Physikstudium entscheiden, erklärt Hoffmann-Urlaub so: Wenn Jungen ihren Eltern eröffneten, dass sie Physik studieren wollen, würden sie beklatscht. Töchtern würden sie wiederum sagen: „Bist du dir sicher, dass du es schaffst?“ Auch ihre Eltern hätten sie das gefragt – aber spätestens nach dem Postdoc weiß sie, dass sie sich für das Richtige entschieden hat. „Es haben nicht alle die Kraft, ihre eigenen Interessen zu verfolgen – besonders wenn es Gegenwind gibt, sogar aus der eignen Familie.“ Um jungen Frauen zu zeigen, dass Physiker nicht wie Einstein aussehen müssen, sondern auch jung und weiblich, arbeitet sie daher gelegentlich am „Xlab“ in Göttingen, einem Experimentallabor für junge Leute. Lesen Sie auch: Großer Zulauf bei den Herbst-Camps im Göttinger XLAB Das sagen die Gleichstellungsbeauftragten: Auf einem sehr guten Weg sieht Doris Hayn die Gleichstellung an der Universität Göttingen. In den vergangenen Jahren sei viel umgesetzt worden, so die Gleichstellungsbeauftragte der Hochschule. Viele Strukturen seien angepasst worden. So sei beispielsweise die Studieneingangsphase in der Informatik geändert worden, denn Frauen, so wurde festgestellt, kommen oft mit weniger Progammiererfahrung an die Uni. Momentan zeichne sich allerdings ab, dass die Corona-Pandemie Ungleichheiten zwischen Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen wieder verstärke. Das müssten die Hochschulen im Blick haben und rechtzeitig entgegensteuern. Lesen Sie auch: Gleichstellungsbeauftragte: Für Alleinerziehende sind die Schließungen von Kitas und Schulen „existenzbedrohend“ An der PFH Göttingen sei der Frauenanteil schon hoch, auch in Leitungspositionen, unter anderem mit einer Vizepräsidentin für Fernstudium und Digitalisierung und der Vizekanzlerin des PFH Hansecampus Stade, so Prof. Frank Albe, Präsident der Hochschule. „In unserem 130-köpfigen PFH-Team haben wir 71 Mitarbeiterinnen, das sind 54 Prozent.“ Bei den Studierenden gebe es an der PFH bereits eine sehr ausgewogene Mischung, auch in den vermeintlich Männer-dominierten Fächern. Beispielsweise sei im Campusstudiengang Orthobionik und im dualen Studiengang Wirtschaftsinformatik der Frauen- und Männeranteil ausgewogen. „Uns ist dennoch bewusst, dass zwar der ’Gender Gap’ in der Wissenschaft in den vergangenen Jahren kleiner geworden ist, hier jedoch auch noch viel Luft nach oben ist“, geht Albe auf das Lohngefälle ein. Der Arbeitskreis der Gleichstellungsbeauftragten im Landkreis Northeim fordert von Politik, Schulen, universitären Einrichtungen und Unternehmen mehr Einsatz für die Gleichstellung. Frauen und Mädchen machen die Hälfte der Bevölkerung und damit auch die Hälfte ihres Potenzials aus. Dieses Potenzial müsse genutzt werden, heißt es. Von Anja Semonjek und Christiane Böhm