Göttinger Mikrobiologe Gottschalk beschreibt Maßnahmen gegen Klimawandel

Kohlendioxid (CO2) ist die Mutter aller Bestandteile der belebten Natur, es wird durch die Photosynthese in die Welt der Biomoleküle eingeführt und durch Zersetzung aller Lebewesen wieder zurück gebildet. In diesen Kreislauf greift nun der Mensch durch Verbrennen fossiler Brennstoffe wie Kohle, Erdöl und Erdgas bedenkenlos ein. Auch werden Wälder nieder gebrannt, wodurch der Bestand an langlebiger Biomasse (Holz) auf unserem Planeten dramatisch reduziert wird. Das Ergebnis ist alarmierend. Bis in die Neuzeit schwankte die CO2-Konzentration in der Atmosphäre zwischen 180 und 260 ppm (parts per million), also 260 Teile pro einer Million Luftteile. Dann setzte ein bis heute unaufhaltsamer Anstieg ein. 1978 lag die CO2-Konzentration bei 335 ppm, und 2014 erreichte sie die 400 ppm-Marke. Gegenwärtig steuern wir auf 415 ppm zu. Schleier in der Atmosphäre: Wenn das so weiter geht, muss 2050 mit 600 ppm gerechnet werden. Vielen Lesern sagt dieser Anstieg vielleicht wenig hinsichtlich seiner Folgen. Man kann sich vorstellen, dass das CO2 in der Atmosphäre eine Art Schleier bildet. Durch diesen Schleier gelangt die Wärmestrahlung in den Weltraum, an den CO2-Molekülen wird sie aber zur Erde zurück geschickt. Bei 415 ppm sind wesentlich mehr CO2-Moleküle vorhanden als bei 260 ppm, der Schleier ist dichter, weniger Strahlung dringt nach draußen und mehr wird zurück zur Erdoberfläche geleitet. Das ist der sogenannte Treibhauseffekt, zu dem auch andere Gase wie Methan und Lachgas (Distickstoffmonoxid) beitragen. Dieser Treibhauseffekt bewirkt den Klimawandel. 3000 Milliarden Tonnen CO2: Was bedeuten diese ppms nun in Mengen CO2? In der Atmosphäre befinden sich etwa 3000 Milliarden Tonnen CO2. Davon gehen 900 Milliarden Tonnen auf das Konto des modernen Menschen. Durch Verbrennungsprozesse sind sie über den Kohlenstoffkreislauf hinaus in die Atmosphäre gelangt, und es kommen jährlich etwa 37 Milliarden Tonnen CO2 hinzu. Daran sind wir Deutsche mit etwa 2,2 Prozent beteiligt. Diese Menge zu reduzieren ist eine Aufgabe von allerhöchstem Stellenwert. Sie wird in Deutschland mit dem Klimaschutz-Gesetz in Angriff genommen. Gigantisches Ausmaß: Es wird aber nicht reichen, nur die CO2-Emission auf unserer Erde drastisch zu verringern, wir müssen auch CO2 aus der Atmosphäre zurück holen und zwar in gigantischem Ausmaß und mit entsprechendem Aufwand. Es müssen CO2-Speicher angelegt werden, denn es wird dauern, bis sich der Verzicht auf die Nutzung fossiler Energiequellen durchgesetzt hat und bis er Wirkung zeigt. Drei Maßnahmen müssen ergriffen beziehungsweise verstärkt werden. Bei der ersten Maßnahme, dem CCS-Verfahren (carbon capture and storage) wird CO2 in Wasser gelöst und in poröses Basaltgestein gedrückt. Dort „versteinert“ es zu Carbonaten. Auch ehemalige Lagerstätten von Erdöl, Kohle oder Salz ließen sich zu CO2 Lagerstätten umrüsten. Es ist dringend geboten, diese CO2 –Speicher so auszubauen, dass Milliarden Tonnen von CO2 gespeichert werden können. Zwei Milliarden Bäume: Die zweite Maßnahme ist eine Waldwirtschaft in einer bisher noch nicht betriebenen Größenordnung. Der Kanadische Präsident hat kürzlich verkündet, dass er zwei Milliarden Bäume anpflanzen lassen wolle. Das ist ein Wort. Entsprechende Erklärungen könnten die Präsidenten der USA, Brasiliens, Russlands, Chinas und der EU abgeben. Das macht zwölf Milliarden Bäume, etwa 0,4 Prozent des weltweiten Baumbestandes. Über den Daumen gepeilt, wachsen diese in zehn Jahren zu einer langlebigen Biomasse (Holz) von zwölf Milliarden Tonnen heran. Auf keinen Fall soll diese als Brennmaterial verwendet werden. Riesige Holzdeponien: Und nun kommt eine Überlegung, die die meisten Leser für abwegig, möglicherweise sogar für verrückt halten werden. Aber wir können es drehen und wenden wie wir wollen, es geht nicht anders: Riesige Holzdeponien müssen angelegt werden und zwar so, dass die Verrottung minimal ist und wenig CO2 gebildet wird. Durch das Wachstum der Bäume wird der Atmosphäre CO2 entzogen, Holz wirkt praktisch als ein CO2 Speicher. Im gewählten Beispiel würden etwa zwölf Milliarden Tonnen CO2 am Boden bleiben. Das ist die Größenordnung der Anstrengungen, die unternommen werden müssen, um den Klimakollaps aufzuhalten. Treibstoffe aus Biomasse: Und schließlich die dritte Maßnahme: Weniger kurzlebige Biomasse, also das, was jährlich wächst und wieder vergeht, sollte den Bakterien, Pilzen und dem Feuer überlassen werden. Es gibt ja bereits Technologien zur Gewinnung von Biogas, Biodiesel, Biobenzin und von Kraftstoffen nach dem BTL-Verfahren. BTL steht für „Biomass To Liquid“. Das sind also Verfahren zur Gewinnung von Treibstoffen aus Biomasse. Nur damit haben Verbrennungsmotoren noch eine Zukunft. Deshalb müssen hier die Entwicklungen forciert werden. Biomasse einlagern: Das alles sind aber CO2 neutrale Prozesse. Darüber hinaus muss kurzlebige Biomasse auch als CO2-Speicher genutzt werden. Zu fragen ist, ob Maisstroh, es sind immerhin zwanzig Tonnen pro Hektar, nicht dauerhaft eingelagert werden kann. Bei einer Anbaufläche in Deutschland von 2,5 Millionen Hektar sind es 50 Millionen Tonnen Stroh pro Jahr. Wir schauen tatenlos zu, wie aus 50 Millionen Tonnen Stroh jährlich mehr als 50 Millionen Tonnen CO2 entstehen und in den Himmel aufsteigen. In den USA landen jährlich ungefähr 750 Millionen Tonnen Biomasse im Maisstroh. Was wäre das für ein CO2-Speicher, wenn diese Biomasse entsprechend eingelagert werden könnte. Nun, Klimaparks, in denen gepflanzt und geerntet wird, in denen CO2-Speicher angelegt werden, gehören noch ins Reich des kaum Vorstellbaren. Es ist aber unausweichlich, dass sie weltweit angelegt werden. Brachflächen gibt es genug. Natürlich kann nicht ausgeschlossen werden, dass kreativen Menschen eine praktikablere Lösung einfällt. Das Ziel ist aber unverrückbar, atmosphärisches CO2 muss zur Erde zurück geholt werden und zwar im Milliarden-Tonnen-Maßstab. Vom Gletscher zum Bächlein: Man kann aber auch warten, bis als Folge der Erderwärmung der letzte Alpengletscher als Bächlein zu Tale rinnt, Inseln versinken und sich die Fluten in Küstenregionen an Kirchenmauern und Rathäusern brechen. So weit sollte es nicht kommen, und es ist wohl besser, jetzt Anstrengungen zu unternehmen, wobei die Forstwirtschaft und die Landwirtschaft ins Zentrum des Handelns gehören. Gerhard Gottschalk, Autor des Tageblatt-Beitrags über Klimawandel, ist emeritierter Professor für Mikrobiologie und Genomforschung an der Georg-August-Universität Göttingen. Zu dieser Veröffentlichung ist ihm folgende Bemerkung wichtig: „Diesen Artikel schrieb der Autor aus Sorge um seine Enkel, aus Sorge um alle Enkel auf dieser Erde und aus Sympathie für ,Fridays for Future’“. Gottschalk, Jahrgang 1935, kam nach einem Chemie-Studium in Berlin an das Institut für Mikrobiologie und Genetik der Universität Göttingen, wo er 1963 im Fach Mikrobiologie promoviert wurde. Nach anschließender Postdoc-Tätigkeit in den USA kehrte Gottschalk nach Göttingen zurück und wurde 1970 auf den Lehrstuhl für Mikrobiologie berufen. Als einer der ersten Wissenschaftler Deutschlands erkannte er die künftige Bedeutung der Sequenziertechnologie für die Mikrobiologie. 1997 warb er die Mittel für die Gründung des Göttinger Laboratoriums für Genomanalyse ein. In den folgenden Jahren initiierte er ein bundesweites Netzwerk „GenoMik“ zur Genomforschung an Bakterien. Den Autor erreichen Sie per E-Mail an lokales@goettinger-tageblatt.de Lesen Sie auch: Göttinger Mikrobiologe Gottschalk für Virus-Attrappen gegen Corona-Viren „Faszinierend und weltbewegend“ - Uni Göttingen an Zentrum für Genomforschung beteiligt Von Gerhard Gottschalk

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