Göttinger Professor Achim Spiller will Klimalabel für Lebensmittel

Studenten der Wirtschaftswissenschaften an der Universität Göttingen erfahren von Professor Achim Spiller in Seminaren wie „Marketing und Marktforschung für Agrarprodukte und Lebensmittel“ funktioniert. Als frischgewählter Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirats des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft nimmt der zuletzt immer wieder unter die einflussreichsten deutschen Wissenschaftler gewählte Spiller auch Einfluss auf Entscheidungen auf höchsten Ebenen. Aktuell setzt sich Spiller für ein Klimalabel für Lebensmittel ein. Warum, erklärt er im Tageblatt-Interview. Herr Spiller, was genau wollen Sie mit einem Klimalabel erreichen? Wir wissen, dass Verbraucher kein Gefühl dafür haben, welche Klimabelastung mit einzelnen Lebensmitteln einhergehen. Es gibt lediglich ein grobes Gefühl dafür, dass Fleischkonsum die Umwelt mehr belastet, als der Verzehr von pflanzlichen Lebensmitteln. Dass es dabei, beispielsweise in Bezug auf Wasserbedarf und Co2-Ausstoß, schnell um den Faktor zehn geht und nicht nur um kleine Unterschiede – dafür gibt es allerdings kaum ausgeprägtes Bewusstsein. Label als Hilfe für eine klimabewusste Ernährung: Und warum sollte es das geben? Weil wir die Verbraucher mitnehmen müssen, wenn wir den Klimawandel erfolgreich bekämpfen möchten. Etwa ein Fünftel der Klimabelastung eines Bürgers in Deutschland wird durch Lebensmittel verursacht. Was wir essen beeinflusst das globale Klima, und eine klimafreundliche Lebensmittelwahl ist ein wichtiger Beitrag zum Klimaschutz. Ein Klimalabel würde den Verbrauchern dabei helfen, sich klimabewusst zu ernähren. Wie soll das Label aussehen? Vorbild ist die Nährwertkennzeichnung von Lebensmittel durch den auch „Lebensmittel-Ampel“ genannten Nutri-Score, dessen freiwilliger Nutzung der Bundesrat im Oktober zugestimmt hat und der Kaufentscheidungen im Lebensmitteleinzelhandel aufgrund der Nährwertqualität einzelner Produkte bereits beeinflusst. Ein Klimalabel könnte auch mit diesen leicht verständlichen Farben und einer fünfstufigen Einteilung arbeiten. Lesen Sie auch Göttinger Prof. Spiller übernimmt Beirats-Vorsitz des WBAE Forscher erklärt, warum wir Labels wie den Nutri-Score brauchen Göttinger Forscher: Corona-Krise könnte bei Bewältigung von Umweltproblemen helfen Pragmatisches Vorgehen für Label-Etablierung: Um den Nutri-Score gab es ein ziemliches Tauziehen, die Freiwilligkeit der Kennzeichnung wurde immer wieder kritisiert, Bundesernährungsministerin Julia Klöckner sah sich Lobby-Vorwürfen ausgesetzt und kam in der Sache insgesamt nicht gut weg. Wie optimistisch blicken Sie auf die Umsetzung ihrer Idee? Vor zehn Jahren scheiterten Vorstöße für eine entsprechende Kennzeichnung in Großbritannien und Frankreich auch deswegen, weil die Kosten noch zu hoch waren. Es ging damals um etwa 50000 Euro pro Produkt, bei mehr als 100000 Lebensmitteln auf dem deutschen Markt. Heute können wir die Angaben deutlich günstiger und einfacher zur Verfügung stellen, weil wir mehr Daten haben, aber auch ein pragmatisches Vorgehen anregen: Die Kennzeichnung mit dem Klimalabel soll sich zunächst – Beispiel Milch – auf Durchschnittswerte beziehen, nicht auf Werte, die für jede Molkerei einzeln berechnet werden. Unternehmen, die besser sind, können dann für ihr Lebensmittel genau rechnen und damit werben. Das ist ein Punkt, der mich optimistisch stimmt. Es gibt also weitere? Ja. Die Produzenten, teils sehr große Nahrungsmittelproduzenten wie Nestlé, Unilever oder Wiesenhof, aber auch große Handelsketten, fangen zunehmend an, mit eigenen Klimalabeln zu arbeiten. Die Sache bekommt insgesamt Drive. Denn auch bei den Verbrauchern, das wissen wir aus Studien, ändert sich das Bewusstsein. Insbesondere junge Menschen entscheiden sich immer häufiger und gerade auch aus Gründen der Klimafreundlichkeit für eine überwiegend vegane oder vegetarische Ernährung. Das Problem ist nur, dass wir Stand jetzt keine einheitliche Kennzeichnung haben und es ganz unterschiedliche Vorschläge gibt. Das wird die Verbraucher eher verwirren, als eine Orientierung für klimafreundliche Ernährung bieten. Diese Lücke könnte ein staatliches Label schließen. Ziel: Klimalabel in den nächsten Koalitionsvertrag der Bundesregierung: Was sind ihre konkreten Ziele? Ich wünsche mir die Einführung eines staatlichen Klimalabels als Bestandteil des nächsten Koalitionsvertrages. Mittelfristig ist es ein wichtiges Ziel zur Erfüllung der EU-Klimavereinbarungen, die Verbraucher noch mehr in Sachen Klimaschutz mitzunehmen. Dass klimafreundliche Nahrungsmittel geringer besteuert werden als klimaschädliche, halte ich ebenfalls für erstrebenswert. Prof. Achim Spiller ist seit 2000 Professor für „Marketing für Lebensmittel und Agrarprodukte“ am Department für Agrarökonomie und Rurale Entwicklung der Georg-August-Universität Göttingen. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Konsumentenverhalten, Nachhaltigkeitsmanagement, Animal Welfare und Supply-Chain-Management im Agribusiness. Spiller hat mehr als 150 Beiträge für begutachtete wissenschaftliche Fachzeitschriften und zahlreiche Bücher und Praxispublikationen verfasst. Der Agrarökonom ist seit Dezember 2020 Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirats des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft für „Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlichen Verbrauchschutz“. Das Gremium berät das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft und besteht aus führenden Wissenschaftlern beider Disziplinen und erarbeitet Vorschläge für die Weiterentwicklung der Agrar- und Ernährungspolitik. Bereits im Juli 2020 wurde Spiller in die vom Bundeskabinett eingerichtete Zukunftskommission Landwirtschaft berufen. Seit 2019 ist er auf Einladung der Bundesministerin zudem Mitglied im BMEL Kompetenznetzwerk Nutztierhaltung („Borchert-Kommission“). Außerdem ist der Göttinger Wirtschaftswissenschaftler Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirats des „Tierwohllabels des Deutschen Tierschutzbundes“. Im Ökonomen-Ranking der Frankfurter Allgemeinen Zeitung wurde er zudem 2015, 2016, 2018 und 2020 jeweils als einer der 100 führenden deutschen Ökonomen ausgezeichnet. Von Steffen Kahl