Göttinger Psychologin Eine Notbetreuung für belastete Kinder ist wichtig

In Deutschland soll der Schulbetrieb ab Montag, 4. Mai, schrittweise wieder aufgenommen werden. Insbesondere Schüler, die kurz vor dem Abschluss oder einem Schulwechsel stehen, sollen dann wieder ihre Lehranstalten besuchen. Darauf haben sich Bund und Länder am 15. April verständigt. Eine Notbetreuung in Kindertagesstätten und Schulen gibt es derzeit nur für Kinder von Eltern, die in „systemrelevanten“ Berufen arbeiten. Die Kinder- und Jugendpsychologin Prof. Anette Conzelmann von der Privaten Hochschule Göttingen (PFH) erklärt, warum diese Notbetreuung dringend ausgeweitet werden müsse. Bevorzugte Betreuung ist notwendig: „Familien mit psychisch auffälligen Kindern und Jugendlichen, konflikthafte Familien, in denen die Kinder bislang externe Hilfsangebote wahrgenommen haben, sowie Familien mit Kindern mit Behinderungen müssen jetzt bevorzugt betreut werden“, fordert Conzelmann. Durch Ausgangsbeschränkungen und die fehlende Außerhausbetreuung habe sich insbesondere die Situation dieser Kinder und Jugendlichen dramatisch verschärft. „Unser bisheriges Leben mit all seinen stabilisierenden Routinen ist außer Kraft gesetzt, dieser Ausnahmezustand ist schon für gesunde Familien ein Belastungstest“, so Conzelmann. Besonders problematisch sei die Situation für belastete Familien, weil inzwischen der Zugang zu externen Hilfen erschwert sei. Zudem steige laut Conzelmann die Gefahr von familiären Konflikten, dysfunktionaler Erziehung und Misshandlungen stark an. Dies würden auch Daten aus China belegen. Notbetreuung kann Situation entschärfen: „Eine bevorzugte Betreuung in Kindertagesstätten und Schulen würde die prekäre Situation von betroffenen Kindern, Jugendlichen und Familien deutlich entschärfen und auch die negativen Folgen auf die psychische und körperliche Gesundheit der Betroffenen abmildern“, so Conzelmann, die auch in der Abteilung Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie im Kindes-und Jugendalter am Universitätsklinikum Tübingen arbeitet. Conzelmann schließt sich damit der Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Psychologie (DGPs) an, die Ende März eine Notbetreuung für psychisch kranke Kinder und Kinder psychisch kranker Eltern forderte. Das tägliche GT/ET Corona-Update als Newsletter Alle News zum Coronavirus in Göttingen täglich gegen 17 Uhr im E-Mail-Postfach In dieser Stellungnahme der DGP heißt es weiter: „Die aktuellen Regelungen zur Notbetreuung der einzelnen Bundesländer sind nicht ausreichend, da in der Regel nur eine Notbetreuung bei akuter Kindeswohlgefährdung durch Veranlassung der Jugendämter möglich ist.“ Dies stelle für die Betroffenen allerdings eine hohe Hürde dar. In den meisten Fällen würden die psychisch kranken Kinder und Jugendliche sowie Kinder von psychisch kranken Eltern dieses Angebot nicht in Anspruch nehmen. Teletherapie kann zur Entlastung beitragen: Zur Entlastung der prekären Situation könne laut der Kinder-und Jugendpsychologin der Einsatz von Teletherapie beitragen. „Wir haben mit psychotherapeutischen Videositzungen und Telefonsprechstunden bereits vor der Corona-Krise gute Erfahrungen gesammelt, sie können jetzt dazu beitragen, die psychotherapeutische Versorgung aufrechtzuerhalten. Die Behandlung kann von Zuhause aus fortgesetzt werden, ohne dass die Betroffenen in die therapeutische Praxis kommen müssen, dadurch wird eine längere Behandlungspause vermieden“, sagt Conzelmann. Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) hat mit den Landesbildungsministern eine Ausweitung der Kinder-Notbetreuung am Freitag, 17 April, besprochen. In einer Telefonkonferenz sei Giffeys Vorhaben, eine einheitliche Regelung festzulegen, jedoch gescheitert, berichtet das RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). „Bis mindestens zum 3. Mai regeln und erweitern die Bundesländer die Notbetreuung im Rahmen ihrer landesspezifischen Notwendigkeiten und Gegebenheiten“, verkündete die Runde nach dem Gespräch schriftlich. Auch Kultusminister Grant Hendrik Tonne (SPD) sprach sich für die Ausweitung der Notbetreuung aus. Die Vereinte Dienstleitungsgewerkschaft (ver.di) erwartet dabei ein starkes Maß an Achtsamkeit, wie sie in einer Mitteilung am Freitag, 24. April, bekannt gab: „Wir haben vollstes Verständnis für die Eltern, dabei muss angesichts der Infektionsgefahren der Gesundheitsschutz einen höchsten Stellenwert haben, eine Ausweitung um jeden Preis wäre fahrlässig“, mahnt Landesleiter Detlef Ahting. Die Vermeidung von Ansteckungen und damit der Verbreitung des Coronavirus erfordere aus ver.di-Sicht bestmögliche Vorsorgemaßahmen für die Beschäftigten, Kinder und Eltern. Lesen Sie auch: Corona: Land will private Kinderbetreuung ermöglichen Corona-Krise: Die aktuellen Entwicklungen in Göttingen und der Region Sie erreichen die Autorin per E-Mail an: lokales@goettinger-tageblatt.de Von Anja Semonjek

Corona - Göttinger Psychologin: „Eine Notbetreuung für belastete Kinder ist wichtig“