Unter der Ägide des Landesmuseums Hannover sollen in den kommenden drei Jahren die eigenen Bestände sowie die ethnografischen Sammlungen der Göttinger Georg-August-Universität, des Landesmuseums Natur und Mensch in Oldenburg, des Roemer- und des Pelizaeus-Museums in Hildesheim und des Städtischen Museums in Braunschweig umfassend erforscht werden, teilt Dennis von Wildenradt, Pressesprecher des Landesmuseums Hannover, mit. Gefördert wird dieses Forschungsprojekt, für das 1,2 Millionen Euro veranschlagt wurden, durch die Volkswagen Stiftung.
Provinienzforschung wird zunehmend politisches Thema
„Provinienzforschung und damit verbundene Transparenz ist schon lange Teil unserer Lehre. Daher begrüßen wir auch den Leitfaden und den politischen Willen, der dahinter steht“, sagt Dr. Michael Kraus, Kustos der Ethnologischen Sammlung der Uni Göttingen. Es gehe in der ethnologischen Forschung in erster Linie nicht um das Sammeln von Objekten, sondern um Informationen. „Wissenschaft beruht auf Dialog, kulturelles Erbe ist kein Alleinbesitz“, spricht der Kustos die historischen und kulturellen Verknüpfungen an. Sollte es Hinweise auf eine zweifelhafte Herkunft von Objekten geben, müsse diesen nachgegangen werden und Rückgabeforderungen überprüft werden. Kraus spricht sich für Transparenz und Erkenntnis sowie für gute Beziehungen zu den Herkunftsländern und den Dialog mit den Nachfahren aus. Dass auch auf politischer Ebene Provinienzforschung zunehmend thematisiert werde, sieht Kraus ebenfalls positiv, da nun auch Geld in die Forschung investiert werde. Die Digitalisierung von Daten werde an der Uni Göttingen ohnehin schon weitgehend umgesetzt.
Sensibilisierung im Umgang mit Sammlungen
Die Direktorin der Zentralen Kustodie, Dr. Marie Luisa Allemeyer, begrüßt ebenfalls, dass das Thema Kolonialismus über den Leitfaden in den Fokus rücke. „Das wurde höchste Zeit“, sagt sie. Zwar seien in den Göttinger Sammlungen nur wenige Objekte aus der Kolonialzeit zu finden. „Die Ethnologie wurde erst in den 1930-er Jahren gegründet, also nach der Kolonialzeit“, erklärt sie. Aber das Thema Provinienzforschung sein ja nicht auf eine Epoche zu beschränken. Allemeyer befürwortet eine allgemeine Sensibilisierung im Umgang mit Sammlungen. Die betreffe nicht nur die jeweilige Herkunft und die Umstände des Erwerbs, sondern auch den Umgang mit den Ausstellungsstücken selbst – wenn es sich beispielsweise um menschliche Überreste handelt.
In Berlin hatte die Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) gemeinsam mit Eckart Köhne, Präsident des Deutschen Museumsbunds, den neu erarbeiteten Leitfaden vorgestellt, der Hintergrundinformationen und Empfehlungen zum Umgang mit Objekten aus kolonialen Kontexten beinhaltet. Ziel sei die Sensibilisierung der Mitarbeiter in den betroffenen Institutionen sowie die Bereitstellung von Hilfsmitteln für die Praxis, die ja auch die Rückgabe von Exponaten an die Herkunftsländer bedeuten könne, so Köhne. Allerdings heißt es auch im Leitfaden: „Die Feststellung, dass ein kolonialer Kontext vorliegt, beinhaltet noch keine Aussage darüber, ob die Provinienz als problematisch einzustufen oder gar eine Rückgabe in Betracht zu ziehen ist, sondern sie ist ein Hinweis darauf, dass Sensibilität und genauere Prüfung geboten sind.“ Wichtige Schlüssel beim Umgang mit Sammlungen aus kolonialen Kontexten seien die Provinienzforschung und die Digitalisierung der Sammlungsbestände. Große Lücken in beiden Bereichen erschwerten aktuell noch die Aufarbeitung kolonialer Sammlungskomplexe, meinte Köhne. „Viel zu lange war die Kolonialzeit ein blinder Fleck in unserer Erinnerungskultur“, bestätigte auch Grütters.
Ethnologische Sammlung schließt
Die Ethnologische Sammlung der Uni Göttingen, Theaterplatz 15, schließt ab dem 28. Mai 2018 wegen Sanierungsarbeiten für voraussichtlich zwei Jahre.
Vorträge in der Alten Mensa
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Von Claudia Nachtwey