Lehre in Gefahr Drastische Mittelkürzungen für das Theater im OP in Göttingen

Die schlechte Nachricht kam im August per Post: Das Theater im OP (ThOP) wird in den kommenden vier Semestern keine Förderung aus den sogenannten Studienqualitätsmitteln (SQM) bekommen. 48.000 Euro werden so wegfallen, allein 11.500 Euro für das Wintersemester 2019/2020. „Mangel an Mitteln“, lautet die knappe Begründung der Philosophischen Fakultät. Die neue Finanzlücke durch die fehlenden Mittel hat teils gravierende Folgen für das ThOP-Angebot. „Damit ist das theaterpraktische Studienangebot in akuter Gefahr“, schildert ThOP-Geschäftsführerin Barbara Korte. Hinzukomme, dass für die Lehrbeauftragten ein beträchtlicher Teil ihres Lebensunterhaltes wegfalle. „Berufsrelevante Erfahrungen“ schon während des Studiums: Mit den SQM werden am ThOP die praxisorientierten, berufsfeldbezogenen Studienangebote zu einem großen Teil finanziert. Dazu gehören etwa Lehrveranstaltung zu Dramaturgie, Öffentlichkeitsarbeit oder Projektmanagement. Mit ihnen können Studierende Credits für die Schlüsselkompetenzen oder im Optionalbereich für ihr Studium erwerben. Die ThOP-Lehrveranstaltungen erfreuten sich großer Beliebtheit, sagt Korte. „Denn gerade für Studierende der Geisteswissenschaften ist es sinnvoll und wichtig, sich bereits während des Studiums praktisch zu orientieren und berufsrelevante Erfahrungen und Kompetenzen zu erwerben.“ Romas Bielke, Sprecher der Uni Göttingen betont dabei aber, dass durch die SQM nur zusätzliche Maßnahmen finanziert werden sollen. Durch ihre Kürzung, falle „also kein grundständiges Angebot weg, sondern ein zusätzliches“. SQM: Ersatz für abgeschaffte Studiengebühren: Die SQM sind Mittel, die die Uni vom Land erhält. Sie sollen die seit 2014 abgeschafften Studiengebühren ersetzen. Das Geld sei für die Sicherung und Verbesserung der Qualität der Lehre und der Studienbedingungen zu verwenden, heißt es auf der Seite der Uni Göttingen. Bei den Mitteln für das ThOP handele es sich um sogenannte dezentrale Mittel, erläutert Bielke. Studierende bestimmten gleichberechtigt mit, wofür die SQM genutzt werden sollen. Bei den dezentralen SQM entscheide das Uni-Präsidium im Einvernehmen mit der Studienkommission – im ThOP-Fall die Studienkommission der Philosophischen Fakultät – nach Stellungnahme des Fakultätsrates über die Durchführung von dezentralen Maßnahmen aus SQM, erläutert Bielke das Verfahren. Warum der Antrag des ThOP auf Förderung abgelehnt worden ist, erklärt Bielke so: Die dezentralen SQM der Philosophischen Fakultät seien in zwei Bereiche unterteilt. Aus einem Bereich würden rund 400.000 Euro für Personal- und fächerübergreifende Maßnahmen finanziert, aus dem anderen Bereich alle anderen Maßnahmen. „Durch Bewilligungen aus den Vorsemestern sind die Mittel aus Topf 1 gebunden“, sagt Bielke. „Davon, dass gar keine Mittel vorhanden wären, war nicht die Rede.“: Bei den Bewilligungen handele es sich im Wesentlichen um Mittel für Lehrpersonal in verschiedenen Fächern, die noch für rund zwei Jahre gebunden seien, sagt Bielke. Daher habe die Studienkommission beschlossen, für das Wintersemester 2019/2020 keine fächerübergreifenden Maßnahmen zu bewilligen, erläutert Bielke weiter. „Dies betrifft leider auch den Antrag aus dem Seminar für Deutsche Philologie, Lehraufträge zur Theaterpraxis’“, sagt Bielke. Es gebe eine Vielzahl von weiteren Anträgen, die nicht berücksichtigt werden konnten. Details nennt Bielke nicht. Nach Tageblatt-Informationen betrifft es auch das studentische Online-Magazin „Litlog“ für Literatur, Kultur und Wissenschaft. Das Magazin hatte schon im Mai auf kommende Probleme hingeweisen. Bielkes Antwort sei „spannend“, kommentiert Korte. „Denn vor beziehungsweise während der Antragsphase hieß es nur, es gebe wenige oder weniger Mittel in Topf 1. Davon, dass gar keine Mittel vorhanden wären, war nicht die Rede.“ Aus Kreisen des Fakultätsrates der Philosophischen Fakultät ist zu hören, dass die Information von Seiten des Uni-Finanzverwaltung zu tatsächlich vorhandenen Mitteln sehr spärlich geflossen seien. Mitglieder des Rates sehen das ThOP als wichtiges Leuchturm-Projekt. Sie wollen die aktuelle Entscheidung keine SQM ans ThOP zu geben, entstanden aus dem Zwang anderweitiger Verpflichtungen, nicht als Entscheidung gegen das Theater verstanden wissen. Premiere Theater im OP: „Andorra“ spielt in der Göttinger Gegenwart 10 und 14 Lehraufträge pro Semester: Pro Semester bietet das ThOP nach Kortes Angaben rund 30 Lehrveranstaltungen an. Ein Großteil davon sei unbezahlt. Dazu gehörten alle Stückererarbeitungen, die dann in den Aufführungen enden, und auch die Improtheaterkurse. Für die Lehrveranstaltungen, die zum Berufsprofil und Zertifikat gehören, würden die Lehrbeauftragten bezahlt. Bislang waren das zwischen 10 und 14 Lehraufträge pro Semester. Die Teilnehmerzahlen lägen pro Semester – inklusive der Stückerarbeitungen – zwischen 200 und 300, in den Berufsprofil-Zertifikat-Veranstaltungen bei rund 160. Trotz ausbleibender Mittel kann das ThOP aus eigenen Mitteln und Rücklagen im kommenden Semester immerhin neun von ursprünglich 14 geplanten Lehrveranstaltungen für das Berufsprofil „Theaterpraxis“ und das Zertifikat „Theaterpraxis und Präsentation“ anbieten. Gestrichen wurden etwa die Kurse „Einführung in die Dramaturgie“ durch einen Dramaturgen des Staatstheaters in Braunschweig und „Kreativer Zugang zum Theater. Seminar mit Theaterbesuchen“, das in Kooperation mit Deutschem und Jungen Theater angeboten werden sollte. Suche nach alternativen Finanzierungsmöglichkeiten: Dass das ThOP Lehrveranstaltungen aus eigenen Mitteln und Rücklagen finanziere, „ist keine Dauerlösung und nur in dieser Ausnahmesituation machbar“, macht Korte deutlich. Nun seien Einsparungen an anderen Stellen nötig, wie etwa bei der Ausstattung der Stücke oder bei technischen Anschaffungen. „Wie es im Sommersemester 2020 weitergehen wird, ist noch nicht geklärt“, sagt Korte. Laut Bielke seien Fakultät und das ThOP „wegen alternativer Finanzierungsmöglichkeiten in Kontakt“. Seit dem Wintersemester 2014/15 sind nach Bielkes Angaben knapp 66.000 Euro aus Studienqualitätsmitteln an das ThOP geflossen. Weitere finanzielle Unterstützung des ThOP: Das ThOP erhält laut Bielke zur Zeit weitere finanzielle Unterstützung für die Stelle, die das ThOP koordiniert, und Mittel für Hilfskräfte aus verschiedenen universitären Quellen. Die Mittel für die Koordinationsstelle stammten in erster Linie aus dem Präsidium und der Philosophischen Fakultät. „In diesem Jahr jeweils knapp 13.000 Euro“, so Bielke. Auch das Studentenwerk Göttingen, die Universitätsmedizin, die Uni-Bibliothek und sechs weitere Fakultäten beteiligten sich. Die Mittel für Hilfskräfte stammten aus der Philosophischen Fakultät – in diesem Jahr knapp 29.000 Euro. Korte ergänzt, dass der Restbetrag von mehr als 10.000 Euro, um die halbe Stelle der wissenschaftlichen Mitarbeiterin zu finanzieren, aus Eintrittseinnahmen des ThOP komme. Für den laufenden Theaterbetrieb, also für Bühnenbilder, Aufführungsrechte, Technik und mehr – gebe es kein Budget, das werde ebenfalls aus den Einnahmen des ThOP finanziert. „Da reden wir pro Jahr über Ausgaben von etwa 60.000 Euro, mal etwas mehr, mal etwas weniger“, sagt Korte. Online-Petition gestartet: Vergangene Woche ist eine Online-Petition gestartet. Mehr als 600 Unterstützer – darunter viele, die selbst am ThOP gespielt und gearbeitet haben – haben sie inzwischen unterzeichnet. Sie fordern mit ihrer Unterschrift, die Lehre am ThOP zu erhalten. Auch das Junge Theater Göttingen (JT) gehört zu den Unterzeichnern: „Das ThOP ist ein wichtiger Faktor für die kulturelle Vielfalt der Stadt Göttingen. Kürzungen am ThOP haben Folgen für alle“, kommentiert das JT. Andere Unterzeichner betonen die Bedeutung des ThOP für Studierende: Dort hätten die Studierenden die Möglichkeit, Credits und Erfahrungen in nahezu allen Bereichen, die ein Theater ausmachen, zu sammeln, heißt es in einem Kommentar. Das Angebot des ThOP sei für viele Studierende und für alle Studienfächer relevant und wichtig. In der „normalen“ Lehre kämen die dort vermittelten Fähigkeiten viel zu kurz, kommentiert ein anderer Unterzeichner. „Die im ThOP gesammelten Erfahrungen haben meinen beruflichen Werdegang entscheidend beeinflusst. Nach meinem Studium habe ich als Dramaturgin an verschiedenen Theatern gearbeitet. Besonders für die Bewerbung für mein erstes Engagement war der Nachweis theaterpraktischer Erfahrungen sehr hilfreich“, schildert Dramaturgin und Projektmanagerin Margit Schumann aus Kassel. Seit 1984 gibt es das Theater im OP am jetzigen Standort im Käte-Hamburger-Weg 3 in Göttingen. Nach Jahrzehnten ohne feste Spielstätte habe die Dramaturgische Abteilung des Seminars für Deutsche Philologie damit eine Heimat gefunden, die seitdem durchgängig bespielt werde, heißt es in der Selbstdarstellung des Theaters. Das ThOP gilt als das größte Studententheater in Deutschland und als eines des größten in ganz Europa. Zehn bis zwölf eigene Produktionen pro Jahr bringt das ThOP, das tatsächlich in dem ehemaligen Anatomiehörsaal und Schau-Operationssaal des alten Uniklinikums untergebracht ist, auf die Bühne. „Gute Stücke mit möglichst hohem Niveau“ ist der Anspruch der Theatermacher, die fast alle ehrenamtlich arbeiten – vom Schauspiel über Kartenvorverkauf, Öffentlichkeitsarbeit und Abendkasse bis hin zu Bühnenbau und Maske. Einige ehemalige ThOP-Mitwirkende sind inzwischen bundesweit bekannt: Alexis Kara spielt den Dennis Knossalla in der „heute show“. Die gebürtige Göttingerin Marie-Lou Sellem war in diversen Tatorten zu sehen, gab ihr Kinodebüt 1989 in Christoph Schlingensiefs „100 Jahre Adolf Hitler – Die letzte Stunde im Führerbunker“. Seit 2005 richtet das Theater einen Dramatikerwettbewerb aus. 2018 ging der Preis an Amanda Lasker aus Berlin, die für ihr Stück „Gelbe Wüste / Rosa Raum“ ausgezeichnet wurde. Wettbewebsthema in diesem Jahr ist „Leben in der digitalen Gesellschaft“. Sie erreichen den Autor unter: E-Mail: m.brakemeier@goettinger-tageblatt.de Twitter: @soulmib Facebook: michael.brakemeier Von Michael Brakemeier

Studententheater in Göttingen - Förderantrag abgelehnt: Theater im OP in Gefahr