Lungengewebe bei Covid-19: Neues Bildgebungsverfahren unter Göttinger Leitung entwickelt

Röntgenphysiker der Universität Göttingen haben zusammen mit Pathologen und Lungenspezialisten der Medizinischen Hochschule Hannover ein neues Bildgebungsverfahren entwickelt, mit dem geschädigtes Lungengewebe nach Erkrankung an Covid-19 hochaufgelöst und dreidimensional dargestellt werden kann. Dafür werde eine besondere Röntgenmikroskopietechnik genutzt, um die durch das Virus hervorgerufenen Veränderungen der Lungenbläschen, der so genannten Alveolen, und der Blutgefäße darzustellen. Die Ergebnisse der Studie sind in der Fachzeitschrift eLife erschienen. Schaden lässt sich großräumig darstellen: Bei schweren Krankheitsverläufen von Covid-19 seien nach Angaben des Forschungsteams starke Veränderungen der Gefäßarchitektur, zahlreiche Entzündungen, Thromben und sogenannte hyaline Membranen zu beobachten. Mit dem neuen Verfahren ließen sich diese Schäden erstmals großräumig und dreidimensional darstellen, ohne das Gewebe durch Schnitte und Färbung zu verändern. Das Verfahren eigne sich damit besonders zur Darstellung der Verästelung kleinster Gefäße, zur Bestimmung der räumlichen Verteilung von Immunzellen im Gewebe und zur Messung der Trennschichten zwischen Blutzellen und den Luftbläschen. „Die in Wachs eingebetteten Lungengewebeproben konnten vor einer Detail-Untersuchung auch großräumig durchstrahlt werden, um besonders interessante Bereiche um Entzündungen, Blutgefäße oder Bronchien herum zu lokalisieren“, sagt Professor Tim Salditt vom Institut für Röntgenphysik der Universität Göttingen. Winzige Laufzeitunterschiede der Röntgenwelle: Bei dem Verfahren handele es sich um eine virtuelle dreidimensionale Histologie, sagt Salditt. Die Histologie als die Lehre des Aufbaus von Geweben und die Histopathologie als Lehre der krankheitsbedingten Veränderungen entstanden in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Dreidimensionale Bildgebung sei wiederum aus der herkömmlichen Computer-Tomographie (CT) bekannt. Bei der Phasenkontrast-Methode entstehe das Bild aber nicht wie bei der klassischen CT durch unterschiedliche Abschwächung der Röntgenstrahlung im Gewebe, sondern durch winzige Laufzeitunterschiede der Röntgenwelle und den daraus resultierenden Verschiebungen der Wellenfront. Salditt und seine Arbeitsgruppe haben nun speziellen Algorithmen und Beleuchtungsoptiken entwickelt, mit denen sich die Gewebestruktur scharf und dreidimensional darstellen lässt. Je nach Einstellung könnten damit auch Strukturen sichtbar gemacht werden, die mit herkömmlicher Lichtmikroskopie nicht mehr aufgelöst werden können. Um dies zu erreichen, nutzt das Göttinger Team hochbrillante Röntgenstrahlung, welche am Speicherring PETRAIII des Deutschen Elektronen-synchrotrons (DESY) in Hamburg erzeugt wird. Kooperation physikalischer und medizinischer Forschung: Wie schon vor 150 Jahren nach Erfindung des modernen Mikroskops ergebe sich ein wesentlicher Fortschritt aus der Verbindung physikalischer und medizinischer Forschung, sagt Salditt. Das interdisziplinäre Forschungsteam hoffe, dass mit der neuen Methode die Entwicklung von Behandlungsmethoden und Wirkstoffen unterstützt werden kann, um schwere Lungenschäden bei Covid-19 zu verhindern, zu lindern oder die Regeneration zu fördern. „Erst wenn man sieht, was passiert, kann man Mittel und Eingriff zielgerichtet entwickeln“, sagt Prof. Danny Jonigk, der den medizinischen Teil der Studie leitete. Lesen Sie auch UV-Licht gegen Keime: Bestrahlung soll Rolltreppen in München desinfizieren Forscher bündeln Suche nach Corona-Medikament Vitamin-D-Mangel und Corona: Kann das Vitamin den Verlauf von Covid-19 beeinflussen? - Mediziner skeptisch Von Yasmin Dreesen