Uni Göttingen und Akademie der Wissenschaftlichen: Buch zur Forschung im Nationalsozialismus

Im Wintersemester 2017/18 haben die Universität Göttingen und die Akademie der Wissenschaften eine Ringvorlesung über außeruniversitäre Forschungseinrichtungen in der Zeit des Nationalsozialismus veranstaltet. Die Vorträge sind in überarbeiteter Fassung in dem Band „Forschen im ,Zeitalter der Extreme‘ – Akademien und andere Forschungseinrichtungen im Nationalsozialismus und nach 1945“ gesammelt, der im Frühjahr im Wallstein Verlag erschienen ist. Das Buch umfasst neben einer Einleitung von Dirk Schumann zwölf Aufsätze, die sich mit Institutionen und Personen befassen. Es geht dabei um die Göttinger Akademie der Wissenschaften, die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft – Vorgängerin der heutigen Max-Planck-Gesellschaft –, um den Reichsforschungsrat, die Akademie für Deutsches Recht, die NS-Akademien der Wissenschaften und die Deutsche Akademie der Luftfahrtforschung. Porträtiert werden außerdem der Völkerkundler Hans Plischke, der Historiker Hermann Heimpel, der Biochemiker Adolf Butenandt und der Mediziner und Anthropologe Josef Mengele. „Hort unpolitischen Gelehrtentums“: Lange hat es gedauert, bis sich die deutsche Wissenschaft mit ihrer Vergangenheit in der Zeit des Nationalsozialismus befasste. Wie brisant eine solche Vergangenheitsaufarbeitung ist, genauer: wie groß die Angst vor dem Vorwurf der Nestbeschmutzung ist, zeigt sich an der Vorsicht, mit der der Historiker Reinhard Rürup argumentiert. Es könne nicht darum gehen, „einzelne Personen an den Pranger zu stellen“. Er möchte in erster Linie klarstellen, „dass Wissenschaft auf höchstem Niveau nicht davor schützt, an dem Verrat des christlichen, humanistischen und liberalen europäischen Erbes, an dem Absturz in die Barbarei beteiligt zu sein.“ Lange Zeit hatten Wissenschaftler argumentiert, sie hätten allein Grundlagenforschung betrieben. Die Universitäten galten als „Hort unpolitischen Gelehrtentums“, das sich „einer Indienstnahme für den Nationalsozialismus weithin verweigert und fachliche Standards aufrechterhalten habe“. Aus der Fülle des ausgebreiteten Materials seien einige Beispiele herausgegriffen, die belegen, dass auch die außeruniversitäre Wissenschaft sehr wohl mit dem NS-Staat kooperiert hat. Schon am 16. Mai 1933 machte Max Planck, Präsident der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft (KWG), Hitler seinen Antrittsbesuch. Dabei äußerte er, wie er nach 1945 sogar noch öffentlich machte, „dass es doch verschiedenartige Juden gäbe, für die Menschheit wertvolle und wertlose, unter ersteren alte Familien mit bester deutscher Kultur, und dass man doch Unterschiede machen müsse“. Das ist gewiss kein grundsätzlicher Protest gegen den NS-Rassismus. Wie der Berliner Historiker Rüdiger Hachtmann zusammenfasst, gab es in der KWG einen regelrechten Tauschhandel mit dem NS-Regime: Die KWG stellte ihr hochwertiges wissenschaftliches Kapital zur Verfügung, im Gegenzug bot das NS-Regime politisches, soziales und ökonomisches Kapital. Es habe sogar eine politisch-weltanschauliche Teilidentifikation mit zentralen Zielen des NS-Regimes gegeben. Keinen Protest erhoben: Wie sich die Mitglieder der Göttinger Akademie der Wissenschaften zum NS-Regime stellten, hat Désirée Schauz untersucht. Ihr Fazit: Zwar hätten sie sich nach 1945 gegenseitig bescheinigt, „Widerstand gegen die nationalsozialistische Wissenschaftspolitik geleistet zu haben“. Doch habe die Göttinger Gelehrtengesellschaft gegen die rassistisch und politisch motivierten Vertreibungen von Forschenden keinen Protest erhoben. Die vom Ausschluss betroffenen Mitglieder seien ohne Mitteilung gestrichen worden, um den Anschein einer Abgrenzung gegenüber der Sphäre des Politischen zu wahren. In den Beiträgen wird eine Fülle von Fakten fachgerecht und differenziert aufbereitet und nachvollziehbar dargestellt. Deutlich wird die enge Verflechtung von Wissenschaft und Politik. Nicht zuletzt ließen sich Wissenschaftler durch Mittelzuweisungen korrumpieren, die außeruniversitäre Institute im Zusammenhang mit rüstungsrelevanten Forschungen erhalten konnten. Ergänzt wird der Band durch Kurzporträts der Autorinnen und Autoren und ein ausführliches Personenregister. Forschung im Zeitalter der Extreme. Akademien und andere Forschungseinrichtungen im Nationalsozialismus und nach 1945, herausgegeben von Dirk Schumann unter Mitwirkung von Désirée Schauz, Wallstein Verlag Göttingen 2020, 392 Seiten, 36 Euro. Von Michael Schäfer