Universität Göttingen: Prüfungen im Corona-Semester

Normalerweise füllen sich die Bibliotheken an der Universität Göttingen im Juni merklich mit Studierenden, die sich auf die kommende Klausurenphase vorbereiten. Aufgrund der Corona-Pandemie bleiben die Arbeitsplätze in diesem Semester jedoch weitestgehend leer. Dennoch sollen die Studierenden ihre Prüfungen auch im digitalen Semester ablegen können, wie die Universität auf Anfrage mitteilt. Platznummern und Maskenpflicht: „Wir wollen einen Prüfungsbetrieb gewährleisten, der allen gerecht wird“, sagt Dr. Wolfgang Radenbach. Er ist Leiter des Bereichs „Digitalisierung in Studium und Lehre“ und unterstützt Lehrende bei der Umsetzung von Prüfungen unter Corona-Bedingungen. Hierzu hat die Universität Göttingen die Allgemeine Prüfungsordnung angepasst, die nun unter anderem neue Online-Prüfungsformate und die digitale Abgabe von Hausarbeiten vorsieht. Für Präsenzprüfungen hat eine virtuelle Arbeitsgruppe eine Handreichung erarbeitet. Geltende Hygienevorschriften sollen unter anderem durch einen geordneten Einlass, eine kontaktfreie Anwesenheitskontrolle und einen Sicherheitsabstandes zwischen den Prüflingen gewährleistet werden. Prüfer werden dazu aufgefordert, die Räume regelmäßig zu lüften. Studierende sollen auf dem Weg zum Prüfungsplatz eine Maske tragen. Während der Prüfung kann die Maske abgenommen werden. „In den letzten Wochen ging es vor allem darum, praktikable Lösungen zu finden“, sagt Radenbach, „Alle Hörsäle wurden mit Platznummern versehen. Die Studierende sollen sich vorher online mit ihren Kontaktdaten anmelden und werden dann auf die Plätze verteilt.“ Studierende der Risikogruppe könnten die Prüfung in einem separaten Raum schreiben oder eine alternative Prüfungsform wählen. „Es ist klar, dass man Lösungen findet, die im Zweifelsfall im Sinne der Studierenden sind“, betont Radenbach. Digitale Alternativen: Einen anderen Weg geht die juristische Fakultät. „Wir haben nicht nur die Lehre, sondern auch alle Prüfungen auf Digital-Betrieb umgestellt“, sagt Studiendekan Prof. Ivo Bach. In der vergangenen Woche absolvierten mehr als 150 Studierende eine erste Prüfung an den heimischen Schreibtischen. In einer vorgegebenen Zeit galt es einen heruntergeladenen Sachverhalt juristisch zu erörtern. „Das ist relativ problemlos über die Bühne gegangen“, resümiert Bach. Der Vorteil bei einer solchen sogenannten „open-book“-Prüfung sei, dass es weniger um gelerntes Wissen, als mehr um eine Transfer-Leistung gehe, erklärt der Studiendekan. „Das bildet die späteren Berufsalltag von Juristen sogar besser ab als Klausuren.“ Am Ende des Semesters werde man evaluieren, ob sich einige der getroffenen Maßnahmen auch über die Corona-Krise hinaus als Alternative eigneten. Asta erhebt Datenschutzbedenken: Für den Asta wirft der digitale Prüfungsbetrieb einige Fragen auf. „Was passiert zum Beispiel, wenn mein Computer abstürzt oder meine Internetverbindung nicht funktioniert?“, sagt Jannes Rösener, Leiter des Hochschulreferats. „Wird die Prüfung dann als nicht bestanden gewertet?“ Außerdem sei es wichtig, dass Studierenden der Risikogruppe kein Nachteil aus den Prüfungsalternativen entstehe. Besonders ein Absatz der neuen Prüfungsordnung werfe zudem starke Datenschutzbedenken auf. Er soll, so Rösener, den Einsatz von Betrugserkennungssoftware auf den Geräten der Studierenden ermöglichen: „Das ist ein krasses Kontrollinstrument, das wir sehr kritisch sehen.“ Angesprochen auf den möglichen Einsatz einer solchen Software erwidert Wolfgang Radenbach: „Das ist ein sensibles Thema. Das ist alles bewusst. Die verschiedenen Bedürfnisse werden selbstverständlich in enger Zusammenarbeit mit dem Datenschutzbeauftragten abgewogen.“ Unvermeidbare Verzögerungen: Für manche Studierende bedeutet die Corona-Krise trotz der universitären Maßnahmen eine unweigerliche Pause. So auch für Mischa P. (Name geändert). Der 30-jährige Psychologiestudent wurde durch die Pandemie im Abschluss seines Studiums ausgebremst. „Für meiner Masterarbeit mache ich ein Experiment mit EEG-Messungen an Probanden. Da ist es unmöglich, einen Abstand von eineinhalb Metern einzuhalten.“ Deshalb verschiebt sich das Ende seines Studiums um ein Semester. Das tägliche GT/ET Corona-Update als Newsletter Alle News zum Coronavirus in Göttingen täglich gegen 17 Uhr im E-Mail-Postfach Mischa sieht das gelassen: „Für mich ist das nicht so schlimm, da ich eh schon über ein Zusatzsemester nachgedacht habe.“ Er habe Verständnis für die Maßnahmen und hat die Zwangspause sogar genießen können. „Das Semester davor war sehr vollgestopft. Da ist schon Stress weggefallen.“ Doch während der angehende Psychologe durchatmen und Pläne für die Zukunft schmieden konnte, ist ihm bewusst, dass andere weniger Glück haben: „Ich kenne auch Kommilitoninnen, deren Pläne durch die Krise komplett über den Haufen geworfen wurden. Außerdem nehme ich war, dass die Ungewissheit vielen zu schaffen macht.“ „Wir brauchen eine generelle Regelung“: Mischa und anderen Studierenden mit Bafög-Bezug entsteht nach einem Beschluss des Ministeriums für Bildung und Forschung während der Corona-Krise kein Nachteil in ihrer Ausbildungsförderung. Die Universität teilt zudem auf Anfrage mit, dass Studierende einen Antrag auf Erlassung der Langzeitstudiengebühren stellen können, wenn sie „dabei glaubhaft darlegen, dass ihr Studienfortschritt durch die Pandemie behindert wird.“ Der Studierendenvertretung geht diese Lösung nicht weit genug. „Härtefallregelungen sind gut, aber wir brauchen eine generelle Regelung“, sagt Jannes Rösener, „Studierende haben alle unterschiedliche Voraussetzungen wie die persönliche Lernsituation, die ökonomische Situation oder psychische Probleme.“ Die Krise verstärke bestehende Ungerechtigkeiten und Nachteile, die es auszugleichen gelte. „Eine echte Lösung wären ernsthafte Schritte in Richtung eines Kann-Semesters“, so Rösener. In diesem Modell könnten Studierende weitere Credits erwerben, während das Semester nicht auf die Semesterzeit, die Maximalstudienzeit oder die Wohnzeit im Studentenwohnheim angerechnet werde. Vor noch größeren Herausforderung stünden Studierende, denen durch Verzögerung Probleme mit anschließenden Praktika, Referendariaten oder Arbeitsstellen entstünden: „Generell hat sich das Studium beschleunigt. Es wird erwartet, nach einer bestimmten Zeit fertig zu sein und dann gleich ein Praktikum zu machen. Dadurch wiegen die Verzögerungen im Studium viel schwerer.“ „Machen Sie sich bemerkbar“, rät Diplom-Pädagoge Aljoscha Niklesz Studierenden, die während ihres Studiums vor Krisen und Problemen stehen. Er berät Studieninteressierte und Studierende bei der Zentralen Studienberatung der Universität Göttingen. Auch in der Corona-Krise finden Beratungen per E-Mail, Telefon und Videochat statt. Studierende mit Zweifeln in Bezug auf ihr Studienfach könnten sich ebenso melden, wie Studierende mit Lern- oder Motivationsproblemen. „Wir unterstützen die Studierenden fächerübergreifend, indem wir Orientierung und Entscheidungshilfen bereitstellen.“ Studierenden, die in der Corona-Krise mit Prüfungs-Problemen oder Verzögerungen in der Studienplanung zu kämpfen haben, rät Niklesz, zunächst die Studien- und Prüfungsberatung in den Fakultäten zu kontaktieren, aber je nach Anliegen auch das umfangreiche Beratungsnetz der Universität zu nutzen: „Es gibt neben der Studienberatung viele weitere Stellen, an die sich Studierende wenden können: von der Beauftragten für Studierende mit Behinderungen und chronischen Erkrankungen über die Psychosoziale Beratungsstelle bis zur Studierendenvertretung.“ Eine Übersicht aller Informations- und Beratungsstellen findet sich online unter uni-goettingen.de/anlaufstellen-studium. 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