Universität Göttingen: Rose und Schwerdtfeger sprechen über die Corona-Krise

Um „Beschleunigten Stillstand“ ist es am Montagabend in einer Podiumsdiskussion gegangen, die live auf Youtube übertragen wurde. Gesprächsteilnehmer waren der Soziologe Prof. Hartmut Rosa, der in Jena vor der Kamera saß, und die Göttinger Juristin Prof. Angela Schwerdtfeger, die sich zum Thema Krisengesetzgebung habilitierte. Moderiert wurde das Gespräch von der Doktorandin Laura Wanner. Verlangsamtes Leben: Einerseits verlangsame die Corona-Pandemie das Leben, andererseits seien die acht Monate seit ihrem Beginn schnell vergangen, meinte Moderatorin Wanner zum Auftakt. Vieles müsse neu gelernt werden, neue Herausforderung habe die Krise gebracht, einen „beschleunigten Stillstand“, so der Titel der Veranstaltung. Rosa knüpft in seinem einführenden Vortrag daran an. Märkte, Medien und Krisen reagierten sehr schnell, Parlamente dagegen eher langsam. Die Regierung könne als kleines Gremium schneller reagieren als das Parlament. Daher habe sich vieles – beispielsweise die Gesetzgebung – zur Regierung hin verlagert. Das eigentlich zuständige Parlament nicke nur ab. Rosa: „In der Pandemie ergibt es Sinn, dass das schnellere Organ agiert, nicht das demokratischere.“ Viel beachtetes Werk: Rosa befasst sich intensiv mit dem Thema Beschleunigung. Als Habilitationsschrift reichte das seine Arbeit „Die Veränderung der Zeitstrukturen in der Moderne“, ein viel beachtetes Werk, das auch als Buch erschien. Eine „Besonderheit der modernen Gesellschaft“ hat er formuliert: Sie könne sich nur durch Dynamisierung erhalten, sagte Rose. Immer größere Segelschiffe habe es gegeben, mehr Kutschen. Später dann immer schnellere Eisenbahnen und Automobile. Heute seien immer mehr Flugzeuge immer schneller unterwegs. Eine Folge der Corona-Pandemie: Zum ersten Mal sei die kinetische Energie angehalten. „Corona ist eine massive Entschleunigung.“ Allerdings habe das nicht das Virus verursacht, sondern politisches Handeln, erläuterte Rosa. „Die Reaktion auf Corona war gewaltig“, meinte er beeindruckt. Als problematisch schätzt er das das Fehlen von Kontakten ein. Das verhindere soziale Energie, die aus Interaktion entstehe. „Social Distancing führt zum Verlust emotionaler Energie.“ Massive Eingriffe in die Grundrechte: Schwerdtfeger wandte sich in ihrem Beitrag vor allem der gesetzgebenden Seite zu. Eine Pandemie erfordere „weitreichende Entscheidungen von weitreichender Bedeutung“, die auf vager Grundlage getroffen würden. Die Maßnahmen, die während der Pandemie getroffen worden seien, bedeuteten massive Eingriffe in die Grundrechte. Einschränkungen der Grundrechte müssten vom Parlament getroffen werden, das politische Wertungsfragen klären müsse. Die Regierung allerdings sei ein kleines, mit den Ministerien im Hintergrund sachkundiges Organ, das schnell entscheiden könne, so Schwerdtfeger. Eigentlich sei aber der Gesetzgeber verpflichtet, Krisen zu meistern. Sie verwies auch darauf, dass wir uns in Deutschland in einer Ausnahmesituation befänden, nicht aber in einem Ausnahmezustand. Das bedeute, dass die Verfassung noch gelte. Demokratisches Vorgehen: Sehr schnell seien zwei Gesetze zum Bevölkerungsschutz beschlossen worden. Das zweite sei ohne Veränderung vom Parlament beschlossen worden. Dennoch hält Schwerdtfeger die Vorgehen für demokratisch, weil Debatten darüber geführt worden seien. Der Konsens zwischen Regierung und Opposition nehme normalerweise mit steigender Bedeutung einer Gesetzesvorlage ab. Nicht aber in Zeiten der Pandemie. Inzwischen allerdings würde das Parlament wieder aktiver. Sie „mischen sich wieder ein“. Schwerdtfegers Resümee: „Langsam nehmen die Parlamente die Rolle ein, die ihnen von der Verfassung zugedacht ist. Aber da ist noch Luft nach oben.“ Organisiert wurde die Veranstaltung vom Verein Göttinger Rechtszeitschrift und der Regionalgruppe Kassel/Göttingen des Alumnivereins der Studienstiftung des Deutschen Volkes. Die Zeitschrift wird von Studierenden und Promovierenden der Juristischen Fakultät konzipiert und herausgegeben. „Sie versteht sich als Ausbildungszeitschrift und soll Studierenden und jungen WissenschaftlerInnen die Möglichkeit zur Publikation eigener wissenschaftlicher Beiträge geben“, so die eigene Einordnung. Die Studienstiftung ist eine Institution zur Begabtenförderung in Deutschland, die an besonders begabte Studenten und Doktoranden Stipendien vergibt. Die Podiusmdiskussion sollte aus juristischer und soziologischer Perspektive die Auswirkungen der Pandemie auf die Gesellschaft wie auch auf den Gesetzgebungsprozess beleuchten, versprach die Ankündigung. Lesen Sie auch: Corona-Liveblog: Die Lage in Göttingen und der Region am 10. November Inzidenzwert im Landkreis Göttingen liegt jetzt bei 52,8 19 neue Corona-Fälle in Göttinger Wohnkomplexen Von Peter Krüger-Lenz