Universitätsmedizin Göttingen gewinnt Niedersächsischen Gesundheitspreis

Das niedersächsische Ministerium für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung hat das Projekt „Dictum-Rescue“ mit dem Niedersächsischen Gesundheitspreis 2020 in der Kategorie „e-health – digitale Lösungen in herausfordernden Zeiten“ ausgezeichnet. Das Institut für Allgemeinmedizin der Universitätsmedizin Göttingen (UMG) war maßgeblich an der Entwicklung des Projekts beteiligt. Gemeinsam mit dem Medizin-IT-Start-Up aidminutes, dem Malteser Hilfsdienst in Königslutter, Wendhausen und Braunschweig, der Berufsfeuerwehr Braunschweig und dem Rettungsdienst des Landkreises Helmstedt hat das Projektteam die App „aidminutes.rescue“entwickelt, um in Notfallsituationen bei Sprachbarrieren eine adäquate und sichere medizinische Versorgung zu ermöglichen. Entwickelt wurde die App für den Rettungsdienst. Sie kann kostenlos heruntergeladen werden. Mit Hilfe der App können Rettungssanitäter mittlerweile, auch offline, auf über 20 Sprachen Fragen stellen und Informationen übermitteln. „Wir haben vorher erhoben, wie viele Menschen bei Rettungseinsätzen kein Deutsch sprechen“, erzählt Dr. Eva Maria Noack vom Institut für Allgemeinmedizin. Sprachbarrieren bestünden bei ein bis zwei Prozent der Einsätze. So funktioniert die App: Zunächst wähle der Benutzer aus, ob es sich bei der zu behandelnden Person um einen Erwachsenen oder ein Kind handele. In einem zweiten Schritt folge die Auswahl des Geschlechts. Je nach Auswahl unterscheiden sich später die Fragesets und ihre Formulierung. Bei Frauen gebe es beispielsweise eine Unterkategorie zu Gynäkologie und Geburt, die Fragen für Kinder seien kindgerecht formuliert. Für den Fall, dass der Patient sich nicht verständlich machen könne, welche Sprache er spricht, bietet die App folgende Lösung: In allen verfügbaren Sprachen gibt es es die Möglichkeit zu fragen, ob die abgespielte Sprache verstanden wird. Dass er das Gesagte verstanden hat, soll der Patient mit einem Daumen nach oben oder einem deutlichen Zwinkern kommunizieren. Ist ermittelt, welche Sprache der Patient die Sprache versteht, folge ein Hinweis mit der Bitte nur mit Gesten auf die folgenden Ja-Nein-Fragen zu reagieren. Neben der Kategorie „Beschwerdeabfrage“ gibt es weitere wie beispielsweise „Unfall“, „Schlaganfallsymptomatik“ oder „Gewalt“. Unter dem Reiter „Schmerzen“ können Patienten selbst auf einer menschlichen Silhouette anklicken, wo sie Schmerzen verspüren. Außerdem gibt es die Möglichkeit mit anwesenden Dritten zu kommunizieren. Die Eingaben werden von der App bis zu ihrem Neustart in einem Protokoll gespeichert und können mithilfe eines QR-Codes weiterübermittelt werden. Gemeinsame Entwicklung: „Für die Entwicklung der App sind wir zusammen mit den Programmierern in die Wachen gegangen und haben dort Workshops gemacht“, erzählt Noack. Auch bei Einsätzen seien diese mitgefahren. „Auf manches wären wir nie gekommen“, fährt sie fort und verweist auf die Bedeutung der Erfahrung der Rettungssanitäter. Eine wichtige sei Frage so zum Beispiel, ob Eltern eine Babyschale für ihr Kind hätten, da diese nur so in einem Rettungswagen mitgenommen werden dürfen. „Letztlich sind es auch die vielen Beteiligten, die den Erfolg des Projekts ausmachen.“ Das digitale Forschungsprojekt „Dictum Friedland“* hat Dr. Frank Müller vom Institut für Allgemeinmedizin der Universitätsmedizin Göttingen (UMG) bereits 2017 im Grenzdurchgangslager Friedland vorgestellt. Während der Projektlaufzeit von zwei Jahren entwickelte das Forschungsteam eine digitale Kommunikationshilfe, mit der über ein Tablet eine strukturierte Krankengeschichte in 13 verschiedenen Sprachen erhoben werden konnte. Die Idee stammt aus der Flüchtlingshilfe, berichtete Müller 2018 anlässlich der Nominierung für den Innovationspreis des Landkreises. Professionelle Dolmetscher ständen nur selten zur Verfügung. Übersetzten Familienangehörige sprächen die Patienten nicht immer alles an oder die Angehörigen ließen Dinge weg. Letztlich war Dictum Friedland auch der Grundstein für die App, die in dem Projekt „Dictum Rescue entstanden ist. „Es gab eine Veranstaltung zu Dictum Friedland – dort waren auch Vertreter vom Rettungsdienst der Malteser, die sagten, dass sie dieses Problem auch hätten“, erzählt Dr. Eva Maria Noack vom Institut für Allgemeinmedizin der UMG, die seit 2019 an dem Projekt „Dictum Rescue“ mitarbeitet. „Die Einführung der App fiel mit dem Beginn der Corona-Pandemie zusammen“, erinnert sich Noack. „Innerhalb kürzester Zeit wurde auf die Initiative von aidminutes eine Erweiterung zu Covid-19 entwickelt. Darin gibt es zum Beispiel Sätze wie „Bitte nicht erschrecken, wir ziehen uns Schutzkleidung an“. Mittlerweile ist die App weltweit verfügbar – als Ausgangssprache kann nicht mehr nur deutsch, sondern auch alle anderen in der App verfügbaren Sprachen ausgewählt werden. Das Konzept geht auf: Selbst in Südafrika gäbe es Downloads, sagt Noack. Lesen Sie auch Innovationspreis Göttingen App erfasst Krankengeschichte in 13 Sprachen Projekt Dictum im Friedland Wie die App im Rettungsdienst konkret eingesetzt werden kann, zeigt ein Video, das auf der Homepage des Projekts* zu finden ist. Unter dem Reiter „Königslutter“ gibt es zudem einen Podcast, in dem Noack ausführlich von der Entwicklungsgeschichte von „Dictum Rescue“ berichtet. Von Asja Wortmann