Weltpremiere für das Herzpflaster an der Universitätsmedizin Göttingen

Allein in Deutschland leiden vier Millionen Menschen an Herzmuskelschwäche. Mit etwa 500000 Fällen pro Jahr ist diese Erkrankung die häufigste Ursache für eine Krankenhausaufnahme. Nun hat das Paul-Ehrlich-Institut erstmalig die Prüfung eines Herzmuskelpräparates aus Stammzellen, eines sogenannten „Herzpflaster“, genehmigt. An der Universitätsmedizin Göttingen (UMG) wird das Herzpflaster nun erstmals am Menschen angewendet, um die Pumpfunktion kranker Herzen nachhaltig zu verbessern. Nach mehr als 25 Jahren Forschung und präklinischer Entwicklung wird damit am Herzzentrum der UMG die klinische Studie BioVAT-HF-DZHK20 zur „Sicherheit und Wirksamkeit von aus induzierten pluripotenten Stammzell-abgeleitetem menschlichem Herzmuskelgewebe bei terminaler Herzinsuffizienz“ gestartet. Der neuartige biologische Therapieansatz wurde in Göttingen entwickelt. „Dies ist ein wichtiger Tag für die Herzmedizin in Göttingen“ sagte der Leiter des Herzzentrums, Prof. Gerd Hasenfuß, bei der Vorstellung der Studie und des Verfahrens am Dienstag. Herzmuskelschwäche sei bedingt durch einen Verlust von Herzmuskelzellen, beispielsweise durch das Absterben von Herzmuskelgewebe nach einem Herzinfarkt, sagte Prof. Wolfram-Hubertus Zimmermann, wissenschaftlicher Leiter der Studie und Direktor des Instituts für Pharmakologie und Toxikologie der UMG. Die Implantation von Herzmuskelzellen erscheine daher als logischer Ansatz. „Durchbrüche im Bereich der Stammzellforschung erlauben es uns heute, menschliche Herzmuskelzellen in großer Menge sowie klinischer Qualität herzustellen. Über das von uns entwickelte Herzpflasterverfahren sollen diese dauerhaft in das erkrankte Herz integriert werden“, so Zimmermann. Neue Option für Herzkranke: Patienten mit schwerer Herzmuskelschwäche bleibe häufig nur die Herztransplantation. „Vor dem Hintergrund des Mangels an Spenderorganen und der kontinuierlichen Zunahme der Patienten mit Herzmuskelschwäche kann die Implantation von Herzpflastern gerade Patienten mit schwerer Herzmuskelschwäche eine neue Behandlungsmöglichkeit bieten“, ergänzte Dr. Ahmad-Fawad Jebran, stellvertretender Leiter der klinischen Prüfung und Oberarzt der Klinik für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie an der UMG. Lesen Sie auch: UMG erhält zwei Millionen Euro Förderung für Herzpflaster-Forschung Zum Team der Studie gehören neben dem wissenschaftlichen Leiter Prof. Zimmermann, Prof. Tim Seidler, Klinik für Kardiologie und Pneumologie, der die klinische Leitung übernimmt, Prof. Ingo Kutschka, Direktor der Klinik für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie an der UMG, sowie Dr. Jebran und Dr. Joachim Riggert, Leiter der Abteilung für Transfusionsmedizin an der UMG. Die Entwicklung des Herzmuskelgewebes aus Stammzellen und auch des chirurgischen Verfahrens sei ein Musterbeispiel der Kooperation verschiedener Disziplinen, so Prof. Hasenfuß. Das Operationsverfahren bezeichnete Prof. Kutschka als minimalinvasiv. Es werde am schlagenden Herzen operiert, so dass keine Herz-Lungen-Maschine nötig sei und der Eingriff, der etwa eine Stunde dauere, recht schonend für den Patienten sei. Herzschwäche oder Herzinsuffizienz betrifft weltweit etwa 60 Millionen Menschen. Trotz der Fortschritte bei pharmakologischen und interventionellen Herzinsuffizienz-Therapien sterben 20 Prozent der von Herzinsuffizienz Betroffenen innerhalb eines Jahres. Nach fünf Jahren sind trotz optimaler medizinischer Therapie 50 Prozent der Erkrankten verstorben. Aufgrund des dramatischen demografischen Wandels und der alternden Bevölkerung wird die Häufigkeit (Prävalenz) von Herzinsuffizienz nach Angaben des Herzzentrums der Universitätsmedizin Göttingen (UMG) weiter zunehmen und dabei zum Tode von mehr Menschen führen als durch jede andere Krankheit. Neuartige Behandlungsoptionen für die Reparatur oder Regeneration des Herzens würden das Therapiespektrum erheblich erweitern, so die UMG. „Der Start der Studie weltweit erstmals am Menschen ist ein Signal an die Betroffenen, das Hoffnung macht: Wenn das Vorhaben gelingt, können weit schwerere und belastendere Therapieoptionen vermieden werden“ sagte der niedersächsische Wissenschaftsminister Björn Thümler bei der Studienvorstellung. Niedersachsen könne stolz sein auf diese medizinische Spitzenforschung mit hohem Innovationspotential. Grundlagen-Forschung in die Krankenversorgung bringen: Die Herz-Kreislaufforschung zähle seit langem zu den drei Forschungsschwerpunkten an der UMG, ergänzte Prof. Wolfgang Brück, Sprecher des Vorstandes der UMG. Ziel aller Anstrengungen sei es, den Transfer von Ergebnissen aus der Grundlagen-Forschung zügig in die Krankenversorgung zu bringen. „Wir sehen hier eine unserer zentralen Aufgaben als Einrichtung mit dem Anspruch auf universitäre Spitzenmedizin“, so Prof. Brück. Insgesamt 53 Patienten sollen in die Studie aufgenommen werden. Rekrutiert werden diese an der Universitätsmedizin Göttingen sowie am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Lübeck und am Herz- und Diabeteszentrum NRW des Universitätsklinikums der Ruhr-Universität Bochum in Bad Oeynhausen. Erste Ergebnisse erwartet Prof. Zimmermann für 2022. Von Christiane Böhm