Schiedsmann in Adelebsen: Rüdiger Wagener war ein erfolgreicher Schlichter

Ein Vierteljahrhundert lang war Rüdiger Wagener Schiedsmann in Adelebsen. Jetzt soll Schluss sein mit dem Amt – mit immerhin 84 Jahren. Dass er einmal Schiedsmann werden würde, sei gar nicht vorhersehbar gewesen, erzählt er. Früher sei es in Adelebsen Sitte gewesen, dass immer der Rektor der Schule das Amt des Schiedsmanns übernahm, so Wagener. Erst als einer der Rektoren „die Nase voll“ hatte davon, und die Konrektorin vom Gericht den guten Rat bekam, das Amt nicht anzunehmen, weil sie noch nicht viele Adelebser kannte, kam Wagener ins Spiel. „Ich bin ja hier geboren“ erzählt er, „ich kenne hier fast alle“. Was nicht nur damit zusammenhängt, dass er seit über 80 Jahren im Flecken lebt, im Gemeinderat und im Kirchenvorstand war. Er war auch fast 60 Jahre lang Fahrlehrer. Viele haben bei ihm den Führerschein gemacht. Die Wahl der Gemeinderatsmitglieder fiel daher auf den lebhaften, freundlichen Mitbürger. Eine Entscheidung, die der Gemeinderat offensichtlich nicht bereut hat. Am 1. September 1995 trat Wagener sein Amt an. Erfolgsquote von beinahe 100 Prozent: 150 offizielle Fälle hat der Adelebser gelöst, fast immer konnte er die Parteien bewegen, sich zu einigen. Besonders erfolgreich sei er gewesen, wie ihm bei seiner Verabschiedung im September bestätigt wurde. „Ich habe Glück gehabt, dass ich einen Richter hatte, der mich sehr unterstützt hat“, erzählt Wagener. Der Richter beim Amtsgericht – Martin Rammert – bedankte sich bei Wageners Verabschiedung für die viele Zeit und die Nerven die dessen Wirken den Gerichten und Richtern erspart hat. Wagener habe eine Erfolgsquote von beinah 100 Prozent gehabt. Tatsächlich sei es ihm nur ein einziges Mal in 25 Jahren nicht gelungen, den Streit zu schlichten, so Rammert. Von der Landesvereinigung Niedersachsen beim Bund Deutscher Schiedsmänner und Schiedsfrauen (BDS) erhielt Wagener für seine 25-jährige Tätigkeit die Ehrennadel in Silber. Zeit, Geld und Nerven sparen: Schiedsämter sind bei den Gemeinden eingerichtet, die Schiedsleute werden vom Gemeinderat gewählt und vom Gericht bestätigt und verpflichtet. Bei vielen kleineren Straftaten muss der Verletzte zunächst versuchen, sich mit dem Beschuldigten zu versöhnen. Erst dann könne er Privatklage bei einem Strafgericht einreichen, heißt es beim BDS. Eine Schlichtung ist auf Vergleich und Einigung angelegt, was vor allem in Nachbarschaftsstreitigkeiten das weitere Zusammenleben in der Regel verbessert. Bei einer freiwilligen Konfliktlösung können Antragsteller und Antragsgegner viel Zeit, Geld und Nerven sparen. Und eine erfolglose Schlichtung verbaut nicht den Klageweg. „Viele wissen gar nicht“, dass es die Schiedsleute gebe, erzählt Wagener. Die werden dann von der Gemeinde auf die Möglichkeit beziehungsweise Notwendigkeit hingewiesen zunächst zum Schiedsmann zu gehen, statt vor Gericht zu ziehen. Ein bisschen Bluffen gehört dazu: Fast immer seien es Streitigkeiten zwischen Familienangehörigen oder Nachbarn und Beleidigungen, die vor den Schiedsleuten landen. Selten seien es erhebliche Straftaten gewesen, mit denen Mitbürger zu ihm gekommen seien, so Wagener. Bei „solchen Fällen musste ich sofort das Gericht einschalten.“ Er erinnert sich an Scheidungsfälle, da sei eigentlich alles geregelt gewesen, und dann seien die Paare doch noch um die letzten Güter in Zwist geraten. Und dann zu ihm gekommen. Wenn der Streit unschön wurde, habe er schon mal gedroht: „Wenn das so weiter geht, höre ich gleich auf.“ Lesen Sie auch: Schiedsmann in Adelebsen: Rüdiger Wagener schlichtet 25 Jahre lang erfolgreich Schwitters ist Schiedsmann im Flecken Bovenden Wagener ist ein freundlicher, zugewandter, sympathischer Mensch, aber energisch wenn es um Konflikte geht. Und Streit könne er nicht leiden. Da setzt er sich mit viel persönlichem Engagement für eine Einigung ein. Wie bei einem Fall wegen Beleidigung und einer drohenden Anzeige. Da habe er lieber erstmal mit dem Beleidiger gesprochen. Und dem klar gemacht, was er für Konsequenzen zu erwarten hat. Ein bisschen drohen und bluffen dabei gehöre manchmal dazu, gesteht er. „Das Können wir doch anders lösen“, habe er gesagt. Sein Einsatz führte zu einer Entschuldigung in aller Form. Versöhnen, das sei ihm immer wichtig gewesen. Wenn die Parteien nur gesagt haben, ok, das Problem ist gelöst, aber vertragen, nee, dann war er nicht zufrieden. Wenn sich aber Angehörige oder Freunde, die jahrelang nicht miteinander gesprochen haben, dann geeinigt hätten, und „sich in den Arm genommen haben, dann war ich auch glücklich“, sagt der Schiedsmann. Tür-und-Angel-Fälle: „Warum nehmen sie das überhaupt an“, habe der Richter manchmal gesagt, wenn er sich wieder einmal mit Familienangelegenheiten beschäftigte. Die sind zu mir gekommen, war dann seine Antwort. Und dann wollte er eben auch helfen. Rund 150 Fälle hat er neben seinen offiziellen Fällen als sogenannte Tür- und Angel-Fälle behandelt, ohne Protokoll, ohne Gebühr. „Ich hab das wirklich gern gemacht“, sagt er. Aber langsam werde es Zeit, kürzer zu treten. 84 Jahre ist er alt. War im Kirchenvorstand, eine Zeit lang im Gemeinderat, Gründungsmitglied und stellvertretender Vorsitzender des Seniorenbeirats in Adelebsen. Er singt normalerweise in drei Chören, gern auch allein, tritt mit einem Programm im Altenstift auf. Fast 60 Jahre ist er Fahrlehrer gewesen, theoretisch könnte er immer noch junge Menschen ausbilden, sagt er. Er war sein Leben lang aktiv. Als er 60 Jahre alt war, ist er mit einer Gruppe von Berlin nach Basel geradelt, um für Terres des Hommes Spenden zu sammeln. Es werde schwierig werden jetzt weniger zu tun, gibt er zu. Aber ich „sehe zu, dass ich das hinkriege“. Er hat es seiner Familie versprochen. Von Christiane Böhm