So erleben Schüler und Fahrer in Göttingen Busfahrten in Corona-Zeiten

Um 13.20 Uhr fährt Ralf Diedrich mit dem Bus am Bussteig F des ZOB in Göttingen vor. Sieben Schüler mit Mund-Nasen-Schutz steigen in die Linie 110 nach Barterode ein – ganz normal. „Vor zwei Wochen war mein Bus noch ganz leer“, sagt Diedrich. Nur wenige Jugendliche in Stadt und Landkreis Göttingen nutzen in der Corona-Krise bereits wieder den Bus, um zur Schule und zurück zu fahren. Wie nehmen Schüler und Fahrer die Ausnahmesituation mit Abstandsregeln, Maskenpflicht und fehlenden Sitznachbarn wahr? Zwei Tageblatt-Volontäre sind im Bus mitgefahren. An der Haltestelle Schützenplatz drängen sich normalerweise nach Schulschluss die Jugendlichen. Heute steigt nur eine Schülerin zu. Es bleibt ruhig im Bus – die Jugendlichen müssen wie alle anderen Fahrgäste auch Abstand halten. In den wenigen Unterhaltungen dominiert ein Thema: Corona. Was wird aus den Klassenfahrten? Ist eigentlich jemand in der Klasse Risikopatient? Wen vermisst man – und wen überhaupt nicht? Neuntklässler Jarne Groß ist am Montag, 18. Mai, einer der wenigen Fahrgäste im Bus nach Barterode. Für ihn ist es der erste Schultag nach der Corona-Pause. „Mein Vater versucht, mich so oft wie möglich zur Schule zu fahren. Aber zurück muss ich mit dem Bus, das war von Anfang an klar“, erzählt der Schüler des Otto-Hahn-Gymnasiums. Mit den neuen Regeln komme er gut klar. Im Bus höre er Musik – viel anderes gebe es schließlich momentan nicht zu tun. „Ich war sehr aufgeregt“: Die Schülerin, die am Schützenplatz zugestiegen ist, geht in die fünfte Klasse des Otto-Hahn-Gymnasiums. „Normalerweise fahre ich zusammen mit meiner Freundin. Aber die wird im Moment zu Hause unterrichtet“, erzählt das Mädchen, die namentlich nicht genannt werden möchte. Die Schülerin sagt, sie habe sich sehr darüber gefreut, zum ersten Mal seit Ausbruch der Pandemie wieder in die Schule gehen zu dürfen: „Ich war sehr aufgeregt.“ Doch die Ausnahmesituation birgt auch Probleme: „Ich zahle 90 Euro pro Monat für mein Busticket. Da ich die Oberstufe besuche, muss ich das Ticket selbst bezahlen – dabei fahre ich nur an zwei statt an fünf Tagen in der Woche zur Schule“, klagt Liv Gretha Märtens. Die Elftklässlerin am Hainberg-Gymnasium nimmt morgens den ersten Bus Richtung Stadt und bleibt dabei zurzeit oft einzige Mitfahrerin. „Ich frage mich, ob es wirklich nötig ist, einen leeren Bus durch die Dörfer zu schicken“, sagt die Schülerin. Schüler halten sich an Regeln: Auch, wenn die aktuelle Situation für die Schüler herausfordernd ist – sie halten sich offenbar vorbildlich an die Regeln. „Es funktioniert prima“, sagt Busfahrer Diedrich an der Glasscheibe vorbei, die ihn neuerdings von den Fahrgästen trennt. Die Jugendlichen benehmen sich in seiner Wahrnehmung besser als viele Erwachsene. Die Schüler setzten sich von allein einzeln in die Reihen und trügen auch durchgehend ihre Masken. „Ich muss gar nichts tun“, erzählt der 59-Jährige. In Adelebsen endet die Fahrt für Diedrich. Seit Barterode ist sein Bus bis auf ihn und zwei Tageblatt-Volontäre leer. Die Rückfahrt übernimmt Diedrichs Kollege Heinz Heise. Der 62-Jährige zeigt sich begeistert von der Disziplin der Jugendlichen, die in seinem Bus mitfahren: „Alle halten sich an die Regeln, und die Kinder wissen auch alle Bescheid, warum diese Regeln eigentlich gelten.“ „Wir leben in einer neuen Normalität“, sagt Diedrich am Ende seiner Fahrt. Die Fahrgäste akzeptierten das offenbar. Der Fahrer weiß: „Eine hundertprozentige Sicherheit gibt es nicht. Aber so, wie es bisher läuft, funktioniert es.“ Zur Schülerbeförderung in der Corona-Krise zieht die Politik eine positive Zwischenbilanz: Seit Wiederaufnahme der Schülerbeförderung gebe es bislang keine Probleme, antwortet Ulrich Lottmann, Pressesprecher des Landkreises. Bislang leiste der Zweckverband Verkehrsverbund Süd-Niedersachsen (ZVSN) „eine tolle, schwierige Arbeit“. Landeselternratsvorsitzende Cindy-Patricia Heine aus Göttingen befürchtet Komplikationen: „Wenn bald wieder mehr Schüler den Unterricht besuchen, kann es voll im Bus werden. Wie soll dann der Abstand garantiert werden? Und wenn nur eine bestimmte Anzahl von Menschen in den Bus einsteigen darf – wer entscheidet, wer mitfahren darf? Ist es dann der stärkere Schüler?“ Heine wünscht sich, dass in einem Schreiben des Ministeriums die Sicherheit der Schüler versichert wird. „Die Maßnahmen haben ihre Grenzen“, räumt Lottmann ein. Kreisverwaltung und ZVSN seien aber in der Lage, Lösungen zu finden. Seit Montag, 18. Mai, ist in Niedersachsen fast die Hälfte der Schüler wieder in den Schulen. Die Klassen 3, 4, 9, 10, 12 und 13 werden wieder unterrichtet – die restlichen sollen bald folgen. Mehr zum Thema: Busfahrt zur Schule in Corona-Zeiten: Das sollten Schüler und Eltern im Landkreis Göttingen wissen Unterricht in Corona-Zeiten: Schulen in Göttingen und der Region gerüstet Schulstart im Kreis Göttingen: Das müssen Eltern, Schüler und Lehrer wissen Sie erreichen die Autoren per Mail an lokales@goettinger-tageblatt.de. Von Anja Semonjek und Tammo Kohlwes

Eine Fahrt im Schulbus nach Barterode - „Eine neue Normalität“: So erleben Schüler und Fahrer in Göttingen Busfahrten in Corona-Zeiten