Dokumentarfilm „Wir sind Juden aus Breslau“: Regisseurin erzählt von Arbeit mit Holocaust-Überlebenden

Der Kinodokumentarfilm „Wir sind Juden aus Breslau“ von Karin Kaper und Dirk Szuszies ist am 23. Januar in der Movietown Eichsfeld in Duderstadt zu sehen. Regisseurin Karin Kaper gibt den Zuschauern vor der Vorführung eine Einführung und steht hinterher für ein Filmgespräch zur Verfügung. Im Tageblatt-Interview spricht sie vorab über Hintergründe zum Film und die Arbeit mit Zeitzeugen, die den Holocaust überlebt haben. Frau Kaper, was hat Sie bewogen, den Film „Wir sind Juden aus Breslau“ zu drehen? Diese einmalige Gelegenheit, ein ganzes Generationenporträt mit 14 Überlebenden des Holocaust realisieren zu können, wird nie wieder kommen. Es war uns eine große Ehre, diesen wunderbaren Menschen begegnen zu dürfen und wir haben all unsere Liebe und tiefen Respekt vor ihnen im Film zum Ausdruck gebracht. Inzwischen sind Fritz Stern, Walter Laqueur, Max Rosenberg und erst im Februar 2019 Wolfgang Nossen, der langjährige Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde von Erfurt, gestorben. Unser Film bewahrt das Vermächtnis all dieser beeindruckenden Menschen würdig auf, kann es eine sinnvollere Motivation geben? Wie haben Sie Ihre Protagonisten gefunden? Und waren die sofort bereit, sich darauf einzulassen? Zwei Wissenschaftlerinnen spielen bei der Zusammensetzung der Protagonisten die entscheidende Rolle. Wir Regisseure haben in dem früheren Film „Aber das Leben geht weiter“ das heikle Thema Flucht und Vertreibung im deutsch-polnischen Kontext sehr privat und persönlich behandelt, dadurch hatten wir auch einen jahrelangen Bezug zur Region Schlesien und besonders auch zu Breslau – unsere Arbeit war den zwei Wissenschaftlerinnen bekannt. Die eine ist Dr. Katharina Friedla, sie ist Polin, hat aber auch einen deutschen, einen israelischen Pass und ihr Werk „Leben von Juden in Breslau von 1933 und 49“ ist so etwas wie eine wissenschaftliche Vorlage unseres Films. Katharina Friedla hat auch viele Jahre in Yad Vashem gearbeitet und kannte persönlich alle dort lebenden Protagonisten. Die zweite, Maria Luft, ist Beauftragte für die Geschichte der Deutschen im östlichen und mittleren Europa in Oldenburg. Sie ist große Breslau-Expertin und hat jahrelang in Wroclaw studiert. Es gab von diesen beiden Wissenschaftlerinnen den Wunsch, dass man nicht nur akademisch und trocken mit dem Thema umgeht, sondern sich der Aufgabe auch emotional widmet. Damit sind sie bei uns auf offene Herzen und Ohren gestoßen. Maria Luft und Katharina Friedla kannten alle Mitwirkenden im Film seit mehreren Jahren. Und das Vertrauen, das ihnen entgegengebracht wurde, wurde auch auf uns übertragen, ein großes Geschenk. Wie war die Arbeit mit den Zeitzeugen? Wo haben Sie gedreht? Wir profitierten enorm von der absoluten Bereitschaft der Zeitzeugen, sich am Ende ihres Lebens offen und ohne Scheu vor der Kamera zu äußern. Diese unglaubliche Ehrlichkeit mit sich selbst spürt der Zuschauer des Films, wir alle tauchen ein in die berührenden Geschichten dieser Menschen. Gedreht haben wir natürlich immer wieder in Wroclaw und überall dort, wo die Protagonisten heute leben: New York, Boston, Washington, London, Südfrankreich, Erfurt, Jerusalem, Haifa, Tel Aviv. Was hat Sie am meisten bewegt beziehungsweise beeindruckt? Das ist schwierig auszuwählen. Besonders dramatisch verlief das Schicksal der beiden Schwestern Anita Lasker-Wallfisch und Renate Lasker-Harpprecht, die Überlebende von Ausschwitz und Bergen-Belsen waren. Anita Lasker-Wallfisch hat Berühmtheit erlangt, weil sie im Mädchenorchester in Ausschwitz Cellistin war. Und weil sie das war, konnte sie auch ihrer Schwester helfen zu überleben. Ergreifend auch das Schicksal von Eli Heymann, der in Ausschwitz war und sogar den Todesmarsch überlebt hat. Besonders bewegt haben uns auch die intensiven persönlichen Begegnungen bei den Vorführungen in den USA, Israel und Polen. Wenn hochbetagte Überlebende des Holocaust einen nach dem Film umarmen und danken, das erfüllt uns auf immer mit großer innerer Genugtuung. Und dass der Film auch bei Jugendlichen in Deutschland ein so großartiges Echo gefunden hat, bestätigt uns in der Hoffnung, dass es sich lohnt, die Erinnerung an die Schrecken des Naziregimes aufrecht zu erhalten. Bilder zum Film: Was war Ihre Zielgruppe? Und welche Menschen erreichen Sie? Unser Film wendet sich an alle jungen und alten Menschen, die immer noch davon überzeugt sind, dass wir alle gemeinsam aus den schrecklichen Ereignissen der Vergangenheit lernen können und sollten. Bei diesem Film haben wir wirklich ein breites Spektrum von Interessierten gefunden, Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit, Gewerkschaften, alle demokratischen Parteien, die Kirchen, Initiativen gegen rechts, Kommunen und Kulturämter, Stadtjugendringe, Integrationsbeaufttragte, Schulen ... Immerhin hat der Film bereits mehr als 40 000 Zuschauer erreicht, das ist für einen Dokumentarfilm mehr als respektabel. Wie reagieren die Zuschauer auf den Film? Ich gebe vor dem Film eine Einführung und führe mit dem Publikum hinterher ein Filmgespräch. Allerdings ist es sehr wichtig, dem Publikum erst etwas Luft zu lassen, um die Eindrücke zu verdauen, denn der Film ist keine leichte Kost. Beim Publikum wirkt sehr stark, dass es keinen Kommentator gibt. Die Protagonisten sprechen wirklich für sich, es wird nichts bewertet oder beurteilt. Das gibt den Zuschauern viel zu denken und fordert die Menschen auch dazu auf. Sie haben mit dem Film auch eine Tour durch Israel gemacht. Wie waren die Reaktionen dort? Wir sind stolz und glücklich, dass die fünf größten Kinematheken in Israel uns eingeladen haben, die Finanzierung der hebräischen Untertitel übernommen und dafür gesorgt haben, dass all unseren in Israel lebenden Protagonisten eine großartige Würdigung ihres Lebens in ausverkauften Kinos zuteil wurde. Und dass die Gedenkstätte Yad Vashem unseren Film in das offizielle Museumsprogramm aufgenommen, erfüllt uns mit großer Freude und Dankbarkeit. Wie wichtig ist Ihnen die Arbeit mit Schülern? Ich glaube, dass durch die Parallele des ungefähr gleichen Alters – wir sagen, dass der Film ab 14 Jahren jungen Menschen zuzumuten ist – die Jugendlichen sehr aufnahmebereit und konzentriert sind. Ich bin sicher, so auch das Feedback der Lehrer, dass es gut bei Jugendlichen rüberkommt, worum es im Kern geht. Wenn sie die Bilder sehen, als die Protagonisten jung waren, müssen sie sich fragen: „Was ist mit mir, wenn ich einmal ausgegrenzt würde, wenn ich verfolgte Minderheit wäre?“ Ohne, dass man groß darauf hinweisen muss, liegt das ziemlich klar auf der Hand. Wir sind sehr angetan von der Reaktion Jugendlicher. Der Film hat auch für die Schülerinnen und Schüler eine sehr aktuelle politische Brisanz. Nationalistische und antisemitische Tendenzen haben auch in Deutschland und fast in ganz Europa zugenommen, deshalb ist dieser Film zu Ehren der Protagonisten ein einziger Aufschrei, der deutlich fordern soll: Nie wieder! Wie sind Sie auf Duderstadt als Aufführungsort gekommen? Vor Jahren war ich mit dem Film „Aber das Leben geht weiter“ im Movietown. Ich erinnere mich an spannende Gespräche mit dem Publikum und die gute Zusammenarbeit mit Roy Kleinecke, dem Kinobetreiber. Durch sein Engagement sowie die Unterstützung von Isa Sandiraz, Integrationsbeauftragter des Landkreises Göttingen und Evi Stellhorn, Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Duderstadt, sowie des Dekanats Untereichsfeld konnten wir jetzt die Veranstaltungen planen. Es freut mich, dass zusätzlich drei Schulvorführungen mit Beteiligung von vier Schulen stattfinden. Der Kinodokumentarfilm „Wir sind Juden aus Breslau“ ist in einer Sondervorführung mit Einführung durch die Regisseurin Karin Kaper und anschließendem Filmgespräch am Donnerstag 23. Januar, in der Movietown Eichsfeld zu sehen. Die Vorführung im Kino in der Feilenfabrik beginnt um 19.45 Uhr. Zusätzliche Schulvorführungen mit der Regisseurin folgen am 24. Januar. Die Dokumentation handelt von Kindern in Breslau zu der Zeit, als Hitler an die Macht kam. Ab diesem Punkt verbindet die Heranwachsenden das gemeinsame Schicksal der Juden-Verfolgung durch Nazi-Deutschland. Der Heimat beraubt, entkamen sie in andere Länder, einige halfen beim Aufbau Israels wesentlich mit. Im Mittelpunkt des Films stehen 14 Zeitzeugen, die sich an ihr vergangenes Leben erinnern. Somit schlägt die Doku eine Brücke von der Vergangenheit in die heutige Zeit, in der Antisemitismus wieder hochkocht. Der Dokumentation wurde im Jahr 2017 der Kulturpreis Schlesien der niedersächsischen Landesregierung verliehen. rf/tc Lesen Sie auch: Sondervorstellung im Kino: Vorführungen von „Wir sind Juden aus Breslau“ in Duderstadt Von Rüdiger Franke

Dokumentarfilm „Wir sind Juden aus Breslau“ - Vor Aufführung in Duderstadt: Regisseurin erzählt von Arbeit mit Holocaust-Überlebenden