Man muss auch Lebenskünstler sein

Die Malerin Sigrid Nienstedt aus Krebeck erzählt im Interview von verschobenen Ausstellungen und den Auswirkungen der Corona-Krise auf ihre Arbeit, über ihre künstlerischen Themen und welche Vorzüge das Landleben für Künstler hat. Sie sind freischaffende Künstlerin, genauer Malerin. Wie verdienen Sie Ihren Lebensunterhalt? Mit dem Verkauf von Bildern. Und ein bisschen über Malkurse, die ich veranstalte. Aber das ist für mich eher eine Möglichkeit, um mich mit Gleichgesinnten auszutauschen. Wie geschieht der Verkauf Ihrer Bilder? Vor allem über Ausstellungen. Der Verkauf läuft fast zu 100 Prozent über Galerien und um als Künstler Aufmerksamkeit zu bekommen, muss man ausstellen. In der Regel stellt eine Galerie einen Künstler alle zwei Jahre aus. Mussten wegen der Corona-Krise Ausstellungen abgesagt werden? Nein, abgesagt zum Glück nicht, aber verschoben. Die kommende Ausstellung ist im Kunstraum Walshausen geplant und sollte Anfang Juni starten. Die Ausstellung eines Kollegen, die vor meiner stattfinden sollte, konnte keiner sehen, er hat richtig Pech gehabt: Keine Vernissage, keine Besucher. Zum Glück kann sie jetzt doch noch gezeigt werden. Meine dann hoffentlich ab Mitte Juli. Die ganze Terminplanung verschiebt sich um etwa zwei Monate nach hinten – und natürlich alles unter einem großen Fragezeichen. Wir wissen ja noch nicht, was dann ist. Ich hoffe auch, dass das Atelierfest, das ich für Ostermontag zusammen mit der jungen ungarischen Künstlerin Cintia Hortolanyi veranstalten wollte, im Herbst nachgeholt werden kann. Und was bedeutet es finanziell für Sie, wenn eine Ausstellung abgesagt oder verschoben wird? Keine Einnahmen. Verkaufte Bilder werden nach einer Ausstellung bezahlt, abgerechnet wird erst am Ende. Bei meiner geplanten Ausstellung wäre das Ende September. Bis das Geld dann bei mir ist, ist Oktober. Und die Galerien sitzen mit den Künstlern im selben Boot, die sind genauso am kämpfen. Ich hoffe, dass die Galerien diese Krise überstehen. Alles, was mit Kunst zu tun hat, ist von wirtschaftlicher Unsicherheit geprägt. Alle, die sich mit Kunst beschäftigen, müssen Unsicherheit aushalten können. Man muss auch Lebenskünstler sein. Die Kreativität hilft da in vielfältiger Weise. Man versucht, mit schwierigen Situationen kreativ umzugehen. Ich habe eine kleine Serie Klopapier auf Blattgold gemacht (lacht). Später erinnert man sich: das ist im Frühjahr 2020 entstanden, in der Blütezeit der Hamsterkäufe! Arbeiten Sie exklusiv mit einer einzigen Galerie zusammen oder mit mehreren? Ich arbeite mit mehreren Galerien zusammen, eine in Italien, die anderen in Deutschland. Die Galerie Ahlers in Göttingen betreut mich allerdings bereits seit mehr als 30 Jahren, das ist ungewöhnlich in der Branche, dass eine Galerie einen Künstler so lange begleitet. Wenn man sich als Künstler aber nur von einer einzigen Galerie vertreten lässt, muss das eine Galerie mit einem sehr großen Einzugsgebiet sein, die auch auf den großen Kunstmessen präsent ist, wo also ständig etwas passiert. Sonst muss man schon mehrere Galerien haben. Denn wenn man bedenkt, dass jeder Künstler nur alle zwei Jahre eine Ausstellung hat, bedeutet das ja auch, das man nur alle zwei Jahre etwas verkauft. Wie läuft denn die Organisation einer Ausstellung aus Künstlersicht ab? Man wird von der Galerie eingeladen. Die Galerien planen Jahresprogramme mit Ausstellungen, meist ein oder zwei Jahre im Voraus. Man wird also angefragt: Möchtest Du im nächsten Jahr ausstellen? Meist gibt es dann auch schon ein Konzept, ob es eine Einzel- oder eine Gruppenausstellung wird, mit anderen Malern oder vielleicht einem Bildhauer. Der Titel wird besprochen, die thematische Richtung. Wenn der Termin näher rückt, kommt der Galerist auf Atelierbesuch und sucht sich Bilder aus. Bestimmt die Galerie allein das Thema der Ausstellung und welche Bilder gezeigt werden? Nein, man tauscht sich aus. Das reift im Laufe des Prozesses. Man hat kreative Freiheit als Künstler, aber es ist wichtig, sich abzustimmen. Es ist eine Mischung aus beidem. Eine Ausstellung darf thematisch nicht beliebig sein, meist werden dort bestimmte Werkgruppen gezeigt. Es ist auch wichtig, bei der Auswahl der Bilder den konkreten Ausstellungsraum im Hinterkopf zu haben, ob er groß ist oder eher klein. Die Formate müssen dazu passen. Nehmen Galeristen denn Einfluss auf das, was die Künstlerin malt? Sie müssen es ja verkaufen... Galeristen haben großen Respekt vor der Arbeit von Künstlern. Das ist meine Erfahrung. Sie mischen sich nicht in die Motivwahl ein. Es kommt auch nicht viel Gutes dabei rum, wenn man den kreativen Prozess einengt. Ich habe zwei große Themen: Landschaften und Tiere. Manche meiner Galerien haben sich auf eine Richtung spezialisiert, andere möchte beides. Und lassen Sie als Malerin sich davon beeinflussen, welche Motive sich gut verkaufen? Es gibt bei Ausstellungen eigentlich immer ein Bild, das man mehrfach verkaufen könnte. Aber tatsächlich ist es eher störend, wenn es einen Publikumsfavoriten gibt, weil es einen ungünstig beeinflusst. Will man es wiederholen, wird es vielleicht nur ein lauwarmer Aufguss. Ich bin überzeugt, die Leute sehen es, wenn man als Künstler so marktstrategisch denkt. Es fällt auf. Umgekehrt sieht man einem Bild an, ob ein Maler dabei ein Risiko eingegangen ist, ein Abenteuer erlebt hat, man spürt, ob Innovation dabei ist. Es macht auch mit den Reiz eines Bildes aus, dass es einmalig, nicht zu wiederholen ist. Wenn man als Künstler kein Risiko eingeht, verliert ein Bild seine Spannung, und gerade das macht ein Bild kraftvoll und lebendig. Das springt dann auf den Betrachter über. In der öffentlichen Wahrnehmung haben Künstler ja so ein Image der kreativen Freiheit und Unabhängigkeit, das wohl auch gepflegt werden will. Aber ganz nüchtern betrachtet, ist es ein Beruf, mit dem man seinen Lebensunterhalt verdient. Man muss auch ans Geld, ans Verkaufen, an den Preis des Kunstwerks denken. Ist es schwierig, sich in diesem Spannungsfeld zu bewegen? Kunst ist sehr vielschichtig. Und das Wesen der Kunst ist etwas, was man nicht klar benennen kann, mit einem Stempel. Kunst ist eine Behauptung. Und deshalb ist es sehr schwer, einen Preis dafür festzulegen. Ein Bild ist ja etwas Materielles, wie ein Produkt. Aber die eigentliche Arbeit des Künstlers ist etwas Geistiges und man muss sich mit der Idee eines Honorars für diese geistige Arbeit beschäftigen. Es ist ähnlich wie einen Text zu schreiben oder etwas zu erforschen. Der Preis eines Bildes ist also ein Honorar für eine geistige Arbeit. Und wenn man in seinem Beruf viel Erfahrung hat, kann man ein anderes Honorar verlangen, als ein Anfänger. Wie finden Sie Ihre Themen und Motive? Lassen Sie sich vom Zeitgeschehen beeinflussen – wie bei dem Klopapier? Das Brandaktuelle ist mir nicht so wichtig, der übergeordnete Zeitaspekt schon. Ich finde es gut, wenn man einem Bild ansieht, wann es ungefähr gemalt worden ist. Die Zeit prägt einen Künstler, man nimmt den Zeitgeist auf. Ich glaube zwar, dass Kunst auch etwas Zeitloses hat, auf der Vergangenheit aufbaut, aber dennoch Bezüge zur Gegenwart hat. Man will sich ja auch nicht wiederholen. Es geht um Innovation, das ist etwas zukunftsweisendes. Eines meiner Hauptthemen ist die Bedrohung der Tiere. Und meine Tiere werden leider immer aktueller, die Situation der Tiere rückt immer mehr in den Fokus: Artensterben, Massentierhaltung, Umweltverschmutzung. Wie stellen Sie Ihre Empfindung der Tiere und deren Bedrohung in Ihren Gemälden dar? Der Bär zum Beispiel (zeigt auf ein Bild) ist in eine sehr seltsame, abstrakte Landschaft gestellt, als ob er auf einem fremden Planeten gelandet ist. Ich versuche in letzter Zeit, etwas Großstadt-Licht in die Bilder zu bringen, bei dem Fuchs da zum Beispiel (zeigt auf ein anderes Bild) das Leuchten im Hintergrund. Die Tiere werden ihres natürlichen Lebensraumes beraubt. Das ist da alles mit drin. Das beschäftigt mich. Aber ich finde es erstaunlich, wie Tiere immer ihr Selbstbewusstsein und ihre natürliche Würde behalten. Ich setze mich auch damit auseinander, wie Tiere früher in der Kunst dargestellt wurden, nämlich oft als Objekte. Ich male die Tiere alleinstehend, das Bild dominierend. Ich stelle sie als Persönlichkeiten dar, wie bei einem klassischen Porträt. Das gibt den Tieren Würde. Es geht mir aber auch um den Aspekt ihrer Bedrohung, Verletzlichkeit, der Entfremdung. Und ich will die große Frage nach der Zukunft stellen. Welche Tiere malen Sie? Hauptsächlich Arten, die hier bei uns leben oder gelebt haben. Ein paar Exoten sind aber auch dabei, Löwen zum Beispiel. Jedenfalls freilebende Tiere. Ich finde es schön, wenn ein Tier etwas erzählt von sich. Und Wildtiere haben eine ganz andere Anmutung als Haustiere. Da ist dieser Ausdruck von Unabhängigkeit: Sie brauchen uns Menschen gar nicht. Es war wie eine Evolution: Ich habe angefangen mit Insekten, dann kamen Fische, Vögel, schließlich Säugetiere. Dann fing es an, dass die Tiere auf den Bildern etwas machen: Bewegung, Sprünge, kämpfende Tiere. Ich bin wie eine Beobachterin: Was mache sie jetzt? Später stellte ich sie dann in Farbräume, fast expressionistisch. Teilen das Publikum, die Käufer Ihrer Bilder, diese Empfindungen, die Sie ausdrücken wollen? Ja, das deckt sich immer sehr, habe ich festgestellt. Man kauft sich ein Bild ja aus Freude, weil man es in seinem Leben haben will, weil ein Funke übergesprungen ist. Die gemalten Tiere sind auch Stellvertreter für Gefühlszustände: Diese Idee der Freiheit, der Unabhängigkeit. Und was man bestimmten Tieren früher schon zugeschrieben hat, Schönheit, Schläue, Kraft, diese Projektionen schwingen in den Bildern mit. Wenn jemand so ein Bild kauft, kauft er auch ein bisschen die Idee von dem Tier und verbindet sich damit. Bei den Landschaften ist es oft so, dass man erinnert wird an einen Urlaub, ein Naturerlebnis oder eine Sehnsucht. Das Bild ist wie ein großes Fenster. Es spricht zum Betrachter. Und das geschieht bestenfalls immer wieder neu. Bilder sollen etwas an sich haben, das nie ganz aufgeht, etwas Rätselhaftes, die Möglichkeit des Neu-Sehens. Das Betrachten eines Bilds ist auch ein kreativer Prozess, weil ein Bild nichts erklärt, nur die eigenen Fragen aufzeigt. Wie haben Sie Ihren künstlerischen Stil und Ihre beiden großen Themen gefunden? Das hat sich über die Jahre ergeben. Zuerst kam die Landschaft. Mir war recht früh klar, dass ich mich durch Farbe ausdrücken will. Das war fast wie eine Befreiung, denn ich habe früher, vor und während des Kunststudiums viel gezeichnet. Malerei ist etwas ganz anderes. Man arbeitet mit Flächen. Ich bin erst durch eine Übung bei meinem Professor dazu gekommen und habe mich dann jahrelang mit Farbe förmlich ausgetobt. Ich hatte auch eine fast ungegenständliche Phase. Aber Landschaft als Motiv bietet so viel: große Flächen, Freiheit in der Gestaltung. Und als Menschen sind wir ja auf dieses Oben-Unten-Schema programmiert, Himmel und Erde, ein waagerechter Strich ist der Horizont. Es ist etwas, das man niemandem erklären muss. Landschaft ist auch eine Projektionsfläche für Stimmungen, hat etwas Entrücktes. So bin ich zur gegenständlichen Malerei zurückgekehrt. Man kann sich bei einer Landschaft rein malerisch ausleben und trotzdem etwas darstellen. Apropos Landschaft: Sie leben seit einigen Jahren wieder auf dem Land, in ihrem Geburtsort Krebeck, sind aus Hamburg hierher zurückgekehrt. Wie kam es dazu? Ich wusste immer, dass ich irgendwann hierher zurückkehren werden, nur nicht wann. Zurück zu den Wurzeln: Meine Mutter wohnt hier, meine beiden Brüder in der Nähe. Es ist schön, die Familie um sich zu haben. Und das Landleben ist heute ja auch ganz anders als früher, man ist hier keineswegs abgehängt. Ihr Atelier ist der Saal einer alten Dorfkneipe – ziemlich groß... Ein Atelier kann gar nicht groß genug sein! (lacht) Aber solche Räume sind in einer Großstadt schwer zu finden und vor allem: zu finanzieren. Es ist für Künstler eine große Herausforderung, geeignete Räume zu finden und zu unterhalten. Man muss sich eine Möglichkeit schaffen, Kunst zu machen. Und da bietet gerade der ländliche Raum viele tolle Möglichkeiten. Ich kenne viele Kollegen, die ins Ländliche zurückgekehrt sind oder es für sich entdeckt haben. In der Stadt ist es komplizierter und auch viel teurer. Und dann ist da auch der Aspekt der Ablenkung: Hier auf dem Land hat man eine ganz andere Ruhe, sich seiner Arbeit zu widmen. Früher war es für Künstler wichtig, in der großen Stadt zu sein, sich dort mit der Szene zu vernetzen. Das ist heute so nicht mehr nötig: Der Austausch funktioniert heute über das Internet von jedem Ort aus, die ganze Welt ist vernetzt. Ich kann mir über Instagram ansehen, was die Künstler zum Beispiel in New York machen. Lesen Sie auch: Von Martin Baumgartner

Kunst - Sigrid Nienstedt aus Krebeck: „Man muss auch Lebenskünstler sein“