Vor 30 Jahren: 50.000 Eichsfelder starten Kofferdemo am Grenzübergang Duderstadt-Worbis

Es war die größte Demonstration, die es im Eichsfeld gab: die legendäre Kofferdemo vor 30 Jahren, genauam 21. Januar 1990. Mehrere zehntausend Menschen aus dem Eichsfeld deuteten mit ihrer Teilnahme ihre Ausreise aus der DDR an. Zwei Teilnehmer erinnern sich. Die Frage damals: Was, wenn die SED-Nachfolgepartei PDS die Wahlen gewinnt? „Es war eine Idee, die während einer Versammlung der damaligen CDU im Landkreis Worbis entstanden ist“, erzählt Horst Dornieden, Vorsitzender des Trägervereins des Grenzlandmuseums Eichsfeld. Es sei eine ungewisse Zeit für die Menschen in der damaligen DDR gewesen. Zwei Monate waren vergangen, seit sich die Grenze zwischen Ost- und Westdeutschland geöffnet hatte. In zwei Monaten sollten die Vertreter der Volkskammer gewählt werden. Doch was würde geschehen, wenn die SED-Nachfolgepartei PDS die Mehrheit bekommen würde? Für die Allianz für Deutschland, ein Bündnis aus der DDR-Blockpartei CDU sowie der neu gegründeten Deutschen Sozialen Union (DSU) und dem Demokratischen Aufbruch (DA), war die Wiedervereinigung das erklärte Ziel. „In den Landkreisen Worbis und Heiligenstadt gab es da auch keine Zweifel, aber wie sah es im Rest von Thüringen aus?“, so Dornieden. Leute wachrütteln: „In Willibald Böck reifte die Idee, die Leute wachzurütteln“, so Dornieden. „Die Befürchtung war: Wenn die Volkskammerwahl in die Hose geht und die PDS gewinnt, dann tut sich wieder nichts.“ Und so wurde Kontakt mit Wolfgang Nolte, Lothar Koch und Renate Ewers in Duderstadt aufgenommen und eine Kundgebung auf dem Großraumparkplatz in Gerblingerode organisiert. Dann kam der Tag der Demonstration: Sonntag, 21. Januar 1990. „Die Menschen fuhren mit dem Auto nach Teistungen und reihten sich in den Zug ein“, erzählt der frühere Europaabgeordnete Rolf Berend, der zwei Monate später in die letzte DDR-Volkskammer gewählt wurde. „Sie hatten Koffer und Rucksäcke dabei, aber auch Handwagen und Schubkarren. Das Motto lautete: Kommt die SED wieder an die Macht, gehen wir noch in der selben Nacht.“ Die Teilnehmer hätten damit zum Ausdruck bringen wollen, dass sie auf gepackten Koffern sitzen. Andererseits hätten sie auch bewusst ausrufen wollen, dass sie bleiben, wenn sich etwas ändert. Das zweite Motto lautete: „Diesmal kommen wir noch wieder.“ Tausende Menschen auf der B 247: „Es war eine Wahnsinns-Menschenkette unterwegs“, sagt Dornieden. Von Teistungen aus sei es so organisiert gewesen, dass die Straßen gesperrt wurden, damit die Teilnehmer auf der heutigen Bundesstraße 247 laufen konnten. „Ich kann mich noch erinnern, dass Karl-Walter Strozynski immer in das Mikrofon rief: ,Und sie strömen immer noch’“, so Dornieden. „Viel mehr hat er eigentlich nicht gesagt.“ Der Parkplatz sei zu dem Zeitpunkt bereits gut mit Menschen, zumeist aus dem Obereichsfeld, gefüllt gewesen. „Es waren 50.000 bis 60.000 Menschen dort“, sagt Berend. „Kaum einer hat sich die Mühe gemacht und in den bewegten Zeiten wirklich gezählt“, erläutert Dornieden die unterschiedlichen kursierenden Zahlen. „Der Parkplatz war jedenfalls dicke voll. Die Menschen haben einer am anderen gestanden. Und es ging immer weiter auf der Straße.“ Kribbeln im Bauch: „Es war sehr beeindruckend“, sagt Dornieden. „Ich hatte ein Kribbeln im Bauch, dass die Leute das so angenommen haben, auf die Straße zu gehen und die notwendige Begeisterung zu entfachen.“ Durch die Kofferdemo habe es thüringenweit einen Ruck gegeben. „Die Menschen haben auf das Eichsfeld geschaut.“ Und Willibald Böck sei bis nach Südthüringen als Redner angefordert worden. „Zum Abschluss der Veranstaltung haben wir die Nationalhymne der DDR gesungen, deren Text seit 1972 in der DDR verboten war“, erzählt Berend. Der Text der DDR-Hymne wurde auf die Melodie der westdeutschen Hymne gesungen. „Die Menschen haben das Lied gebrüllt“, erinnert er sich: „Auferstanden aus Ruinen und der Zukunft zugewandt, lass uns dir zum Guten dienen, Deutschland, einig Vaterland.“ Die deutsch-deutsche Geschichte wird im Grenzlandmuseum Eichsfeld in Teistungen nachgezeichnet. Ein Raum der Dauerausstellung steht dabei unter dem Motto „Friedliche Revolution und deutsche Einheit“. In diesem Raum wird auch auf die Kofferdemo am 21. Januar 1990 eingegangen. „Wir stellen aber auch gerade eine Sonderausstellung zum Thema zusammen“, sagt Geschäftsführerin Mira Keune. Die Sonderausstellung mit Original-Dokumenten und -Fotografien soll ab Dienstag, 28. Januar, zu sehen sein. Das Grenzlandmuseum in der Duderstädter Straße 7-9 in Teistungen ist dienstags bis sonntags von 10 bis 17 Uhr geöffnet. Lesen Sie auch: Bürgermeister der Städte im Eichsfeld wollen 30 Jahre Wiedervereinigung gemeinsam feiern „1989 x 4“ – Was die Wende für KZ-Gedenkstätten und Museen in der Region bedeutete 1000 Lichter und Video-Projektionen setzen die ehemalige Grenze in Szene Weitere Themen rund um die Grenze und das Grenzlandmuseum Eichsfeld finden Sie auf unserer Themenseite zum Grenzlandmuseum. Von Rüdiger Franke

Erinnerung an den 21. Januar 1990 - Vor 30 Jahren: 50.000 Eichsfelder starten Kofferdemo am Grenzübergang