Zu hoch gebaut in Duderstadt: Investor zahlt hohes Bußgeld

„Problematischer Vorgang“, „schlimme Geschichte“, „empörend“, „ärgerlich“ und „ungeheuerlich“ – wer sich derzeit unter Duderstädter Ratsmitglieder umhört, merkt schnell: Der Ärger um die Neubauten am Clara-Gerlach-Garten an der Christian-Blank-Straße unweit der historischen Duderstädter Altstadt ist längst noch nicht verraucht. Es ist aber auch zu merken: Man müht sich um Schadensbegrenzung – für die neuen Mieter und Eigentümer in den Häusern, für den Ruf der Stadt Duderstadt. Nicht aber für den Bauherren und Investor Volkmar Sommerfeld. Was war geschehen? Spätestens Ende Januar kam durch einen Tageblatt-Bericht an die breite Öffentlichkeit, dass das Neubauprojekt höher gebaut wurde als genehmigt und als es der Bebauungsplan vorsieht. Und das in einem Maß, „das eine Anpassung des Bebauungsplans an die realen Gegebenheiten notwendig macht“, wie Bürgermeister Thorsten Feike (FDP) damals formulierte. Um bis zu knapp 90 Zentimeter überschreiten die Häuser „in Teilbereichen die festgesetzten Grenzwerte“ der Firsthöhen, erläutert Feike. „Die abweichende Bauausführung hat Auswirkungen auf die Größe der Wohnungen.“ Konkret bedeutet dieser Verstoß des Bauherren mehr Wohnfläche, die er in den entstandenen 29 Wohnungen vermarkten kann. Ob auch die festgelegten Eckwerte der Grundflächenzahl und Geschossflächenzahl (GFZ) bei dem Bau überschritten wurden, habe „noch nicht abschließend geprüft werden“ können, sagt Feike. Für Investor Sommerfeld stellt sich der Verstoß gegen den gültigen Bebauungsplan „Am Hellergraben“ als teures Unterfangen dar. Die Stadt Duderstadt hat wegen der Ordnungswidrigkeiten ein Bußgeldverfahren gegen ihn eingeleitet. Dieses sei bereits abgeschlossen, das Bußgeld zwischenzeitlich bezahlt, erklärt Feike. Investor lässt Fragen unbeantwortet: „Die Höhe des Bußgeldes wurde unter Berücksichtigung der Verhältnismäßigkeit und der Abschöpfung des wirtschaftlichen Vorteils ermittelt“, erläutert Bürgermeister Feike. Nach Tageblatt-Informationen soll es sich um 500.000 Euro handeln – die Höchstsumme, die die niedersächsische Bauordnung in so einem Fall vorsieht. Lesen Sie auch: Das sagt die Politik zu den Neubauten am Hellergraben „Bauherr Sommerfeld und sein Architekt wussten, was sie taten“, sagt ein Duderstädter Ratsmitglied, das anonym bleiben möchte. Sommerfeld selbst lässt hingegen offen, wie es überhaupt dazu kommen konnte, dass sein Bauprojekt zu hoch geraten ist. Fragen dazu, zur Höhe der Häuser und zum Verkauf der Wohnungen will Sommerfeld weiterhin nicht beantworten. Er verweist wie schon im Januar auf „ein schwebendes Verfahren“. Kein Eintrag ins Grundbuch: Für die potenziellen Käufer, die sich entschieden haben, in den Sommerfeld-Häusern eine Wohnung zu kaufen, entpuppt sich die jetzige Situation als eine Hänge- und Zitterpartie. Denn was dem Bauherren Sommerfeld derzeit noch fehlt, ist die sogenannte Abgeschlossenheitsbescheinigung für die Häuser von der Stadt Duderstadt. Ohne diese Bescheinigung, so erläutert Bürgermeister Feike, sei es dem Bauherren „derzeit nicht möglich, Eigentumswohnanteile im Grundbuch einzutragen“. Feike berichtet von potenziellen Käufern, die schon ihre Einfamilienhäuser verkauft hatten und gezwungen waren, in die neuen Wohnungen einzuziehen. Angelegenheit für Investor noch nicht ausgestanden: Auch Ottobock -Chef Hans Georg Näder befindet sich in dieser Hängepartie. „Ich habe Kaufoptionen auf drei Wohnungen. Bekanntermaßen gibt es noch keine Notarverträge wegen mangelnder Grundbuchblätter“, sagt Näder. Nach Tageblatt-Informationen sollen andere potenzielle Käufer inzwischen wieder von einem Kauf abgesprungen sein. Auch für Investor Sommerfeld ist die Angelegenheit längst noch nicht ausgestanden. Auf ihn kommen nun die Planungskosten für die Änderung des Bebauungsplanes zu. „Hier gilt das Verursacherprinzip“, sagt Feike. Denn Rat und Verwaltung verfolgen derzeit folgenden Plan: Statt die Gebäude dem bestehenden Bebauungsplan anzupassen – was zumindest deren teilweisen Rückbau bedeutet hätte –, soll der Bebauungsplan vielmehr an die vom Investor geschaffenen Tatsachen angepasst werden. Einen entsprechenden Beschluss hatte der Rat der Stadt Anfang März mehrheitlich – bei Enthaltungen der SPD – beschlossen. Zuvor hatten Ortsrat, Stadtentwicklungsausschuss und Verwaltungsausschuss diesem Vorhaben einstimmig zugestimmt. Inzwischen, so Feike, habe Vorhabenträger Sommerfeld unterschriebene Einverständniserklärungen aller betroffenen Nachbarn eingereicht. Als Nächstes müsse ein städtebaulicher Vertrag zwischen der Stadt Duderstadt und dem Investor abgeschlossen werden, erläutert Feike die nächsten Schritte. Neubau in Duderstadt höher als genehmigt: Das hat Konsequenzen Duderstadt: Clara-Gerlach-Garten aus Dornröschenschlaf erwecken Duderstädter Gartendenkmal: Teure Sanierung Neuer Wohnraum nah am Zentrum von Duderstadt Bauphase am Clara-Gerlach-Garten gestartet Neue Wohnungen in Duderstadt geplant Clara-Gerlach-Garten: Grüne Oase oder Hundeklo? Bauprojekt am Hellergraben: Wie geht es weiter am Clara-Gerlach-Garten in Duderstadt? Historischen Graben freigelegt Plan für Bebauung „Am Hellergraben“ Stadtverdichtung in Duderstadt: Wohnungsbau in sensiblem Bereich Neue Wohnungen in Innenstadtnähe Appartementhäuser an Stadtmauer geplant Feike: „Der Vorhabenträger trägt die Kosten der Planung“: „Der Vorhabenträger trägt die Kosten der Planung. Die Stadt behält dennoch die Planungshoheit“, sagt Feike. Ein vom Vorhabenträger beauftragtes Planungsbüro erstelle einen Entwurf der notwendigen Unterlagen für die Bebauungsplanänderung. Der städtische Fachdienst Stadtplanung prüfe dann den Entwurf auf Vollständigkeit und inhaltliche Kohärenz. Danach beginnt die Beteiligung der Öffentlichkeit und Diskussion in den Gremien der Stadt Duderstadt, die dann zum Satzungsbeschluss für die Änderungen führt. Wann das sein wird, ist derzeit noch offen. So liege derzeit etwa noch kein Entwurf für die Änderung des B-Plans vor, so Feike. Staub aufgewirbelt: Investor Sommerfeld selbst will nun „Ruhe“ in die Angelegenheit bekommen. „Wir haben ein schönes Haus gebaut“, betont er. Und wer sich derzeit unter Duderstädter Ratsmitglieder umhört, hört auch: „Lassen Sie die Sache ruhen, die hat schon genug Staub aufgewirbelt.“ Erste Abweichung bei den Neubauten an der Christian-Blank-Straße in Duderstadt sind nach Auskunft von Bürgermeister Torsten Feike (FDP) im März 2020 festgestellt worden. So sei der Verwaltung bei der Beantragung der Abgeschlossenheitsbescheinigung durch den Investor aufgefallen, dass sich die Anzahl der Wohnungen durch die Aufteilung von drei großen Wohnungen in sechs kleinere Wohnungen von 26 auf 29 erhöht hatte. Der genaue Umfang der Abweichungen habe aber erst nach „ausgiebiger Prüfung der nach mehrmaliger schriftlicher Aufforderung“ im September 2020 vorgelegten Bauunterlagen festgestellt werden können. Erst dann, so Feike, konnte die ausgeführte Planung mit den genehmigten Unterlagen abgeglichen werden. Zuvor habe es keine Hinweise auf etwaige Abweichungen gegeben. „Das Bauvorhaben war zu dem Zeitpunkt schon weitestgehend fertiggestellt. Einige Wohnungen waren bereits bezogen“, schildert Feike. Um die „schutzwürdigen Interessen“ der Bewohner, die zu dem Zeitpunkt schon eingezogen waren, und der zukünftigen Eigentümer nicht für baurechtswidriges Handeln Dritter verantwortlich zu machen, sei von einem Baustopp und Rückbau abgesehen worden, erläutert Feike. Auch habe man ein jahrelanges Gerichtsverfahren mit ungewissem Ausgang und eine leerstehende Immobilie beziehungsweise Bauruine in der Zeit von zunehmender Wohnungsknappheit vermeiden wollen. Bislang liegen der Stadt Duderstadt keine Klagen von benachbarten Grundstückseigentümern oder Dritten vor. „Der Bauherr hat im Vorgriff bereits Einverständniserklärungen aller Nachbarn für die Abweichungen vorgelegt“, sagt Feike. Verantwortung bei Bauherr und Bauleiter Der Bürgermeister betont, dass seitens der Bauaufsichtsbehörde keine Pflicht zur Bauabnahme besteht. „Die Verantwortung für die korrekte Bauausführung liegt ausschließlich beim Bauherrn und beim Bauleiter“, sagt Feike. Eine Prüfung, dass Vorgaben aus dem Bebauungsplan eingehalten werden, finde bei Bauvorhaben nur im Bauantragsverfahren statt, sagt Feike und verweist auf die Niedersächsische Bauordnung. Bei deutlich kleineren, genehmigungsfreien Baumaßnahmen von Wohngebäuden der Gebäudeklassen 1 bis 3 gebe es wegen der gesetzlichen Vorschriften gar keine Prüfung seitens der Bauaufsicht, erläutert Feike. Das sagt das Ministerium Bei Verstößen würden Ordnungswidrigkeitenverfahren eingeleitet, so Feike. Widersprechen bauliche Anlagen dem öffentlichen Baurecht, so könne die untere Bauaufsichtsbehörde nach pflichtgemäßem Ermessen die Maßnahmen anordnen, die zur Herstellung rechtmäßiger Zustände erforderlich seien, zitiert Feike die Niedersächsische Bauordnung. Die Ausübung des Ermessens hänge immer vom Einzelfall ab, erklärt Matthias Eichler, Sprecher im niedersächsischen Ministerium für Umwelt, Energie, Bauen und Klimaschutz. Er nennt als mögliche Maßnahmen Nutzungsuntersagungen, Abrisse, Teilabrisse und Änderungen an der baulichen Anlage. Möglich sei aber auch, das Bauvorhaben nachträglich zu genehmigen und damit einen rechtmäßigen Zustand herbeizuschaffen oder den vorhandenen rechtswidrigen Zustand für einen gewissen Zeitraum zu dulden. Und zwar dann, so betont Eichler, wenn es „hinreichende städtebauliche Gründe“ für eine Änderung des Bebauungsplanes Plans gebe. „Allein die Legalisierung eines rechtswidrigen Vorhabens ist als Planrechtfertigung nicht ausreichend“, sagt Eichler. Am Ende entscheidet die Politik Feike verweist hier auf die „uneingeschränkte Planungshoheit“ der Stadt Duderstadt. „Die politischen Gremien der Stadt Duderstadt werden am Ende entscheiden, ob die Änderung des B-Plans beschlossen wird oder nicht.“ Sollte das nun begonnene Verfahren zur Änderung des Bebauungsplanes also ergeben, „dass städtebauliche Gründe vorhanden sind und die öffentlichen Belange berücksichtigt wurden, steht der Planänderung planungsrechtlich nichts im Wege“, sagt Feike. Von Michael Brakemeier