Museum Friedland erzählt die Geschichte des Grenzdurchgangslagers

Um Ankunft und Abreise, um Heimkehr und Zwischenstation geht es im Museum Friedland, und deshalb ist seine Unterbringung im historischen Friedländer Bahnhofsgebäude geradezu ideal. Denn das Museum beschäftigt sich mit der Geschichte des Grenzdurchgangslagers Friedland, das einige 100 Meter entfernt liegt, und es beschäftigt sich mit den Geschichten der Menschen, die Friedland durchlaufen haben. Seit Ende des zweiten Weltkriegs sind 4,5 Millionen Menschen in Friedland angekommen und wieder abgereist. Dr. Anna Haut, wissenschaftliche Leiterin der Einrichtung, bezeichnet das Grenzdurchgangslager insofern auch als „Transitort“ und als „Welt auf Zeit“. Nach dem Eintritt ins Museum steht der Besucher zunächst in der ehemaligen Gepäckhalle des in den 1890er-Jahren errichteten Bahnhofsgebäudes – der frühere Haupteingang befindet sich im zweiten Ausstellungsraum. Die Dauerausstellung zur Geschichte des Grenzdurchgangslagers, die chronologisch aufgebaut ist, trage auch dem historischen Gebäude Rechnung, sagt Anna Haut. Zur Einführung ist im ersten Ausstellungsraum, dessen Thema wie in anderen Räumen auch mittels einer großen Schautafel skizziert wird, die Chronik des Lagers zu sehen – einmal unter Glas, einmal als Projektion an der Wand: virtuelles Durchblättern. Friedland als Fluchtpunkt von Geschichte und Gegenwart: Über Friedland als Fluchtpunkt deutscher, europäischer und globaler Geschichte und Gegenwart will die Schau informieren, und das mit multimedialen Präsentationen und Audioguides. Mit ihnen können im jeweiligen Raum über einen roten Kontaktpunkt Beschreibung und Multmediaschau gestartet werden. Den Corona-Hygienemaßnahmen ist geschuldet, dass die Audioguides in Plastiktüten ausgegeben werden, die am Ende entsorgt werden. Bodenmarkierungen weisen auf die Einhaltung der Abstandsregeln hin. Raum zwei beschäftigt sich mithilfe von fünf Monitoren mit dem Ende des zweiten Weltkriegs und der daraus resultierenden Zersplitterung von Familien und Gruppen. Originalaufnahmen werden durch schriftliche Informationen ergänzt. Die Schau thematisiert auch der „Mythos vom Ort der Freiheit“: eine Selbstinszenierung, die sich auch in der Chronik widerspiegelt, und in der Tat nahmen die heimkehrenden deutschen Kriegsgefangenen Friedland als „Tor zur Freiheit“ wahr. „Nicht reflektiert wurde in der damaligen BRD, dass es sich um ehemalige Soldaten und zum Teil um Kriegsverbrecher handelte“, verdeutlicht Anna Haut. Zur „mythischen Aufladung“ trugen auch die emotionalen Momente bei, die Hoffnung der Ehefrauen und Mütter auf ein Wiedersehen mit ihren Männern und Söhnen. Über Friedland sind von 1945 bis heute mehr als vier Millionen Menschen in die Bundesrepublik Deutschland gekommen – das Museum thematisiert den politischen und gesellschaftlichen Umgang mit der Aufnahme von Menschen in Deutschland. Es zeichnet nach, zeigt aber auf rund 350 Quadratmetern Ausstellungsfläche auch die Dynamik von Migration ebenso wie die Versuche, sie zu steuern und zu kontrollieren. Öffnungszeiten des Museums, das im historischen Friedländer Bahnhof, Bahnhofstraße 2, untergebracht ist, sind mittwochs bis sonntags jeweils von 10 bis 18 Uhr. Zu erreichen ist das Museum mit dem Fahrrad über den Leine-Heide-Radweg, mit der Bahn über die zwischen Göttingen und Kassel pendelnde Regionalbahn oder mit dem Auto über die A38 und die B27 – ausreichend Parkplätze, auch für Busse, stehen direkt am historischen Bahnhofsgebäude zur Verfügung. Der Eintritt kostet fünf Euro, das ermäßigte Ticket beläuft sich auf drei Euro. Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre haben freien Eintritt, ebenso Studierende und Auszubildende mit Kulturticket. Öffentliche Führungen (Kostenpunkt für Erwachsene: drei Euro) gibt es sonnabends und sonntags um 11 Uhr (90 Minuten) und 15 Uhr (60 Minuten) für bis zu 15 Personen. Sonderführungen mit bestimmten thematischen Schwerpunkten sind möglich und montags bis freitags zwischen 10 bis 16 Uhr unter Telefon 05504/8056-200 oder per Mail an besuch@museum-friedland.de zu buchen. Die Sonderausstellung I Feel ist coronabedingt momentan geschlossen. Weitere Infos gibt es im Internet unter museum-friedland.de. Friedland, gelegen in der britischen Besatzungszone, wurde als Durchgangslager wegen der Nähe zur amerikanischen und sowjetischen Zone ausgewählt. Außerdem lag es günstig an der B27 und der Bahnlinie. Viele Friedland-Bewohner der Nachkriegszeit haben sicherlich noch lange das Klicken der Stempelmaschine im Ohr gehabt – als Untermalung ist es ergänzend zur Installation der Ausweispapiere zu hören. In Schubladen kann tiefer gegraben werden: Einzelschicksale ergänzen den Überblick, und wer will, kann Schubladen aufziehen und mittels weiterführender Lektüre tiefer graben. Wer waren die Kinder ohne Namen, nach denen vom DRK-Suchdienst gefahndet wurde? Warum wurde die Ankunft der chilenischen Flüchtlinge lediglich zur Kenntnis genommen, während die vietnamesischen „Boatpeople“ fast per Staatsakt begrüßt wurden? Und wann wurden Aussiedler zu Spätaussiedlern? „Das Lager“, sagt Anna Haut, „erzählt so viele Geschichten wie es Menschen gibt“. Eigentlich hätte am 20. September der 75. Geburtstag des Grenzdurchgangslagers gefeiert werden wollen, die Feier wurde aber wegen der Corona-Krise verschoben. Auf Hochtouren laufen dagegen die Planungen für einen Neubau, ein 80 Meter langes und zwölf Meter breites Gebäude entlang der Gleise in Richtung Göttingen, das 2023 eröffnet werden soll und in dem Verwaltungsräume und eine thematische Erweiterung zur Migration der Gegenwart untergebracht sein werden: „Als aktive Erstaufnahmeeinrichtung ist das Grenzdurchgangslager ein Spiegel der Welt“, sagt Anna Haut. Sie erreichen den Autor per E-Mail an e.warda@goettinger-tageblatt.de Von Eduard Warda