110 Grad unter Null: So fühlt sich ein Besuch in der „Kälteoase“ in Göttingen an

60 Grad unter Null können ganz schön warm sein. Der Aufenthalt in einer sehr kalten kleinen Kammer ist nach drei Minuten in einer noch viel kälteren kleinen Kammer geradezu angenehm – darüber sind sich hinterher Sportler und Schreiber einig. Aber was haben eine Fußballmannschaft und ein Volontär mit diesen extremen Temperaturen zu schaffen? Am frühen Abend treffen sich die 1. Herrenmannschaft des I. SC Göttingen 05 zu einer ungewöhnlichen Trainingseinheit. Treffpunkt: die Kälteoase im Promotio in Göttingen. Im Betrieb von Prof. Michael Weber werden Besucher kräftig abgekühlt. Der Mediziner verspricht Muskelentspannung, Schmerzlinderung, Entzündungshemmung, eine Steigerung der Leistungsfähigkeit – und Glück. Die Eistonne ist out: Die niedrigsten jemals auf der Erde gemessenen Temperaturen liegen bei rund 90 Grad unter Null – die Kältekammer setzt noch 20 Grad drauf. Entsprechend viele Voraussetzungen muss man erfüllen, um sich hier professionell schockfrosten zu lassen: Auf einem Fragebogen werden Vorerkrankungen, Implantate und eine mögliche Schwangerschaft abgefragt. Jeder muss seinen Blutdruck messen lassen – ist er zu hoch, bleibt die Kältekammer verschlossen. Wie kommt eine Fußballmannschaft darauf, sich schockfrosten zu lassen – zum zweiten Mal? Für SC-Trainer Steffen Witte ist die Lage klar: Eistonnen sind out. Bei ihrem ersten Besuch in der Kälteoase sei die Mannschaft mit einigen Verletzten angetreten. Über die langfristige Wirkung herrsche im Team noch Uneinigkeit, sagt Witte. Aber: „Es ist ein gutes Erlebnis, und es macht allen Spielern Spaß.“ 60 Grad unter Null – zur Eingewöhnung: Tatsächlich ist den meisten Fußballern die Vorfreude anzusehen, während sie sich in Vierer-Teams auf die Kältekammer vorbereiten. Bei -110 Grad ist Vorsicht angebracht: Mund- und Nasenschleimhäute müssen mit einer Atemmaske, die Ohren mit einem Stirnband, Hände und Füße mit (Hand-)Schuhen geschützt werden. Wer in die Kälte möchte, muss Ohrringe und andere Piercings ablegen – Erfrierungsgefahr. Für den Rest des Körpers muss dafür eine kurze Hose genügen. Die Kältekammer besteht aus drei kleinen Räumen: Nach 15 Sekunden bei -10 Grad geht es für weitere 15 Sekunden in den zweiten Raum mit -60 Grad – zur Eingewöhnung. Durch Fenster ist die warme Außenwelt zu sehen. Davor steht eine Kälteoase-Mitarbeiterin und gibt Aufgaben vor: Im Kreis laufen, Kniebeugen, Dehnübungen. Dadurch soll die Kälte noch besser im Körper verteilt werden. Lesen Sie auch: Medizinprofessor betreibt Kälteoase Maximal drei Minuten Aufenthalt sind im dritten Raum bei 110 Grad unter Null erlaubt. Innerhalb von Sekunden bildet sich ein dichter Nebel aus der Atemluft, die Haut wird rot wie bei einem Sonnenbrand, und unvermittelt wird die Atmung flacher, während Après-Ski-Hits und andere Pop-Songs aus einem Lautsprecher dudeln. Auch auf dem Rückweg wird geturnt, bevor es zurück in die Wärme geht. Euphorie in der Kälte: Die Kälte stelle verschiedene Dinge mit dem Körper an, erklärt Kälteoase-Besitzer Weber. Durch den plötzlichen Temperaturabfall werde die Durchblutung gefördert, Muskeln entspannt – und vor allem verschiedene Hormone ausgeschüttet, die Schmerzen abschalten und Euphorie hervorrufen. Nicht umsonst, scherzt Weber, gelte der alkoholisierte Kältetod gemeinhin als vergleichsweise angenehm. Kälteoase-Betreiber Prof. Michael Weber verspricht Nutzern der Kältekammer eine Reihe von Wohltaten: Muskelentspannung, Schmerzlinderung, Entzündungshemmung, eine Steigerung der Leistungsfähigkeit – und Glück. Doch wie kommt es dazu? Bei 110 Grad Celsius unter Null falle die Oberflächentemperatur des Körpers innerhalb kurzer Zeit auf 15 Grad, erklärt Weber. Als Folge verengen sich die Blutgefäße, das Blut fließt schneller und die Muskeln entspannen sich. Zeitverzögert sinke auch im Körper die Temperatur, sagt Weber. Die Folgen: eine vorübergehende Abschaltung von Schmerzrezeptoren – und die plötzliche Ausschüttung verschiedener Botenstoffe, die zu Schmerzlinderung, Entzündunghemmung und Glücksgefühlen beitragen sollen. Über weitergehende Versprechen der Kältetherapie herrscht in der Wissenschaft keine Einigkeit: Dass regelmäßige Besuche in der Kältekammer beim Abnehmen helfen oder gar gegen Burn-Out helfen, ist wissenschaftlich noch nicht bestätigt. Und tatsächlich: Man verlässt die Kälte mit einem gewissen euphorischen Gefühl und ziemlich energiegeladen. Die meisten SC-Spieler können sich ein Grinsen nicht verkneifen. „Man kommt mit Glücksgefühlen da raus, und meine Rückenschmerzen sind auch besser geworden“, vermeldet Kapitän Mehdi Mohebieh – dann geht es für die Mannschaft zum Pumpen auf die Trainingsfläche. Und der Volontär summt auf dem Heimweg beschwingt einen Pop-Song, den er gar nicht mag. So erreichen Sie den Autor: E-Mail: lokales@goettinger-tageblatt.de Von Tammo Kohlwes

Schockgefrostet - 110 Grad unter Null: So fühlt sich ein Besuch in der „Kälteoase“ in Göttingen an