250. Geburtstag: GSO-Chefdirigent Nicholas Milton über Ludwig van Beethoven

„Vom ersten Augenblick an wusste ich, dass diese Aufnahmen etwas Magisches haben, das meine Seele berührt“, sagt Nicholas Milton über Beethovens Musik. Die hat auch Miltons beruflichen Werdegang „unwiderruflich“ verändert. Herr Milton, wie war Ihr Zugang zu Beethoven? War es Liebe auf den ersten Blick? Eine meiner allerersten Musikkassetten – kopiert von einem Schulfreund, der das Glück hatte, sie zu besitzen – waren die vollständigen Beethoven-Sinfonien, gespielt von den Berliner Philharmonikern unter Karajan. Ich hörte sie mir ununterbrochen an. Vom ersten Augenblick an wusste ich, dass diese Aufnahmen etwas Magisches haben, das meine Seele berührt. Sie begleiteten mich durch meine Kindheit in Australien und weckten eine tiefe und beständige Liebe zur Orchestermusik und zum Orchesterklang. Sie sind auch Violinist. Haben Sie gerne Beethoven gespielt? Das Violinkonzert habe ich als junger Mann oft gespielt, meist mit der Kadenz von Joseph Joachim – eine schöne Verbindung zu Göttingen! In New York habe ich den Zyklus der Violinsonaten aufgeführt. Als Kammermusiker konnte ich Klaviertrios für ABC Classics in Australien aufnehmen. Mit meinem Studentenquartett spielte ich viele Beethoven-Quartette. Als ein Gastprofessor uns hörte, wurden wir eingeladen, das „Quartet in Residence“ an der Universität in Michigan (USA) zu werden – und das veränderte meinen Lebensweg unwiderruflich. Was zeichnen Beethovens Symphonien aus Ihrer Sicht aus? Ihre strukturelle und architektonische Perfektion, ihre außerordentlich fantasievolle Orchestrierung, das breite Spektrum ihrer Emotionen und vor allem ihr tiefer Ausdruck der menschlichen Existenz. Wie erreichen Sie als Dirigent den „Gänsehaut-Effekt“ bei Beethovens „heroischen“ Werken? Mir kommen sofort die 3., 5., 7. und 9. Symphonie in den Sinn. Hier gibt es magische Momente, in denen die Musik die Seele berührt und man die Gegenwart Gottes spürt. Ein Dirigent darf dem Genie des Komponisten nicht in die Quere kommen. Lässt man diese herrliche Musik aus den Noten in einen Konzertsaal schweben, so wird man mit einem wunderbaren Orchester wie dem Göttinger Symphonieorchester von Perfektion und Schönheit überwältigt. Welche Symphonie wird am meisten unterschätzt? Die 8. Sinfonie ist eine der am wenigsten aufgeführten Sinfonien. Beethoven sagte, sie sei besser als die populärere 7. Sinfonie. Sie ist kurz, temperamentvoll und ein inspirierendes Meisterwerk. Hätte er die 9. nicht geschrieben, könnte sie als Abschluss und Zusammenfassung seines symphonischen Schaffens fungieren. Lesen Sie auch Göttinger Musiker erzählen ihre ganz persönlichen Beethoven-Geschichten Brief von Beethoven für 275.000 Dollar versteigert Göttingen: Pianist Felix Reuter entstaubt Beethoven im alten Rathaus 250 Jahre Beethoven: Das muss man sehen 250 Jahre Beethoven: Das muss man hören Hat sich Ihre Sichtweise auf Beethoven im Laufe der Jahre geändert? Ja! Vor allem, wenn ich die Faksimiles vieler Werke studiere. Ich habe ein Faksimile der Partitur des Violinkonzerts, das wunderschön in Farbe nachgedruckt ist. Hier sehe ich, wie Beethoven das Material bearbeitet und umgearbeitet hat, wie ernst er jede Dynamik, jede Wendung einer Phrase bedachte. Seine Notizbücher sind voller kompositorischer Ideen und das Ergebnis müheloser Perfektion. Aber der Kampf in seiner Arbeit und die schiere Entschlossenheit seiner Vision, können keinen Interpreten unberührt lassen. Welches Werk von Beethoven hören Sie zu Hause am meisten? Das Streichquartett op. 131. Von Udo Hinz