250. Geburtstag: Göttinger Musiker erzählen ihre ganz persönlichen Beethoven-Geschichten

Die Welt feiert den 250. Geburtstag von Ludwig van Beethoven: Der 16. Dezember 1770 gilt als sein Geburtstag – dokumentiert ist nur die Taufe am 17. Dezember in Bonn. Der Komponist ist Schöpfer von Meisterwerken an Sinfonien, Sonaten oder Streichquartetten. Er ist Vollender der Wiener Klassik und Wegbereiter der Musik des 19. Jahrhunderts. Das Tageblatt hat Göttinger Musiker aus Klassik, Rock und Jazz nach ihrem Bezug zu Beethoven gefragt – und erhielt ganz persönliche Erinnerungen und Gedanken. Gerrit Zitterbart – Pianist: Beethoven ist für mich – trotz Bach, Haydn, Mozart, Schubert, Schumann, Chopin und Brahms – dann doch der wichtigste Komponist, weil er mich in fast allen Gattungen schier umhaut mit seiner von unendlicher Zartheit kontrapunktierten Wucht. Ob ein Streichquartett, eine Sinfonie oder eine Klaviersonate: Aus allen Werken spricht er aus der Distanz von nun 250 Jahren ganz direkt mit meiner Emotion, trifft mich im Innersten. Für mich als Pianist ist sein Oeuvre von den Anfängen bis ins Spätwerk wie eine Bibel: Man kann jedes Werk immer wieder neu üben und hören, entdeckt immer wieder neue Aspekte und kommt nie ans Ende. Insofern ist mein Lieblingsstück immer das, das ich gerade übe. Felix Klieser – Hornist: Als ich 13 Jahre alt war, gab mir mein Lehrer eine Aufnahme von sich mit Sonaten für Horn und Klavier. Zuhause angekommen, schob ich die CD sofort in den Player. Gleich zu Anfang ertönte eine imposante Hornfanfare. In dem Alter fand ich das super. Später las ich im Booklet, dass es sich um eine Sonate von Beethoven handelte. Ich kaufte die Noten und begann zu üben. Noch heute ist sie eines meiner Lieblingsstücke, die ich schon in den diversesten Ländern dieser Welt aufgeführt habe. Ich mag sehr gerne seine Klavierkonzerte. Mein Lieblingswerk ist allerdings sein Septett für Violine, Viola, Cello, Kontrabass, Klarinette, Horn und Fagott. Nächste Saison werde ich damit mehrere Tourneen spielen. Bernd Eberhardt – Göttinger Stadtkantorei: In meiner Kindheit habe ich oft heimlich, weil die Hifi-Anlage der Eltern noch nicht von mir bedient werden sollte, die Klavierkonzerte mit Rubinstein gehört. Diese Musik hat mich in ihren Bann gezogen. Erst im Studium habe ich in den Vorlesungen von Elmar Budde verstanden, wie diese Musik funktioniert. Sicherlich war Beethoven neben Bach der Grund für die Entscheidung zum Musikstudium. Lieblingswerk: Ist es das vierte Klavierkonzert, die siebte Sinfonie, die Chorfantasie, die Missa solemnis…? Ich weiß es nicht. Persönlich habe ich eine sehr intensive Beziehung zur Missa solemnis – allein weil ich sie schon einige Male habe dirigieren dürfen. Klaus Faber – Göttinger Rock-Urgestein: In den sieben Jahren klassischen Klavierunterrichts durften Sonatinen von Beethoven nicht fehlen. Stolz war ich, wenn ich „Für Elise“ fehlerfrei zu Gehör brachte. Später zog es mich zur Beat- und Rockmusik. Mitte der sechziger Jahre gründeten wir die Rockband „The Original Beatniks“. Der Titel „Roll over Beethoven“ gehörte zum Repertoire. Auf keiner der fünf Göttinger Oldie Nights durfte er fehlen. Lieblingswerk: 9. Sinfonie, Sonaten und Klavierkonzerte. Ein Stück fasziniert mich besonders: „Die Wut über den verlorenen Groschen“. Gunter Hampel – Jazzmusiker: Wir Jazzmusiker sagen: „Man muss große Ohren haben“. Und das war auch zu Beethovens Zeit nicht anders. Sehr oft habe ich gemeinsame Improvisationskonzerte mit aus dem klassischen Bereich kommenden Kirchenmusikern improvisiert. Das kann man verstehen als „Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg“ – wenn man denn Spaß daran hat. Als ich gemeinsam mit dem Komponisten Hans Werner Henze in der deutschen Staatsoper und in Italien werkelte, hatten wir Jazzer und die klassisch geschulten Musiker jedenfalls enormen Spaß, einander zuzuhören und mit Teamgeist aufeinander zu reagieren. Alexander Schimpf – Pianist: Ich sehe Beethoven als den ersten großen Individualisten in der Musikgeschichte. Dies gilt für seine Positionierung in der damaligen Gesellschaft genauso wie für seine gewaltige stilistische Entwicklung: Sein eigenwilliges Spätwerk legt aus heutiger Sicht die Grundlage für Romantik und Moderne in der Musik zugleich. Für einen Pianisten sind seine Klavierwerke immer wieder eine gewaltige Aufgabenstellung: Beethoven fordert den Kopf und die Klangqualität, die Disziplin und die persönliche Auseinandersetzung, die Klarheit und den Ausdruckswillen immer zugleich; stärker als ich das bei den meisten anderen Komponisten empfinde. Als Lieblingswerk würde ich das 4. Klavierkonzert in G-Dur op. 58 nennen, weil es den Punkt markiert, an dem Beethovens Individualität als Komponist voll entwickelt erscheint – und weil ich persönlich mit diesem Stück viele positive Erlebnisse verbinde. Alexander Busche – Geschäftsführer Göttinger Symphonieorchester: Beethoven ist ein Komponist, dessen Werk man nicht ohne größte Demut und Ehrfurcht begegnen kann – und darf. Das führt dazu, dass seine Werke – abgesehen von Ausnahmen wie den Violinromanzen und der Chorfantasie – von Laienensembles gemieden werden. Meine intensivste Erfahrung nach eher erfolglos zu nennenden Versuchen an der Mondscheinsonate, der Frühlingssonate und den Violinromanzen war daher, die 5. Sinfonie selber in einem Laienorchester spielen zu dürfen. Lieblingswerk: Beethovens kammermusikalische Variationen vereinen in zauberhaften Miniaturen sein musikalisches Universum. Bernd Schumann – Göttinger Abende Zeitgenössischer Musik: Zum ersten Mal ist mir Beethoven mit seiner „Elise“ im „Meisterbuch“ begegnet, der Klavierbibel aller Hausmusiker. Später habe ich einige – zu wenige! – Sonaten von ihm gespielt und im Studium Werke analysiert. Er ist ein Neuerer bei Harmonik, Instrumentation, Satztechnik, Formentwicklung u. v. m. und vollendete Gattungen wie Sonate und Sinfonie. Sein Schaffen ist ein monumentaler Meilenstein auf dem Weg über Schumann, Wagner, Mahler, Schönberg, Stockhausen u. v. a. zur Musik von heute. Während meines Tonmeisterstudiums nahm ich mit der Pianistin Inga Kasantseva einen ganzen Tag lang die Hammerklaviersonate auf. An der Nachbearbeitung saß ich zwei Monate – daher kenne ich sie von allen Werken Beethovens am besten. Julia Bartha – Pianistin: Beethoven spielt in meinem Leben eine große Rolle – ich fühle mich ihm sehr nah. Mich fasziniert seine Musik, seine Persönlichkeit, sein Leben, seine Gedanken. Als Pianistin liebe ich an seinen Werken die emotionalen und dynamischen Kontraste, die sich zwischen tiefster Innigkeit, Stille und Versenkung und virtuos wütender Energie voller revolutionärer Sprengkraft bewegen. Lieblingswerk: Es sind immer wieder die Klaviersonaten op.109 und op.111. Die Werke berühren und erschüttern mich wie kaum etwas anderes. Stefan Kordes – Jacobikantorei: Ohne Beethoven wäre ich kein Musiker geworden! Als Klavierlernender habe ich immer besonders gern seine Sonaten gespielt. Auch jetzt, wo sich seit vielen Jahren mein Schwerpunkt als Kantor mehr zum Chor und zur Orgel verlagert hat, genieße ich es immer wieder, mit befreundeten Musikerinnen und Musikern Sonaten für Violine, Violoncello oder Horn und Klavier zu proben und aufzuführen. Mein Lieblingswerk ist eindeutig die Missa solemnis – gerade, weil gerade weil es ein zutiefst persönliches Werk ist. Das Stück begleitet mich seit vielen Jahrzehnten und ich bin glücklich, dass meine Kantorei St. Jacobi dieses große und extrem schwierige Werk 2019 in Hochform aufführen konnte. Der Pianist in mir liebt die Appassionata und op. 111, der Kammermusiker die Cellosonate A-Dur und der Dirigent die jugendlich-frische 2. Sinfonie. Michael Schäfer – Journalist, Pianist, Göttinger Kammermusikgesellschaft: Beethoven hat mich von Kindesbeinen an begleitet. Je älter ich wurde, desto größer wurde mein Staunen über das, was sich in seiner Musik an Geist offenbart. Mit Sonatinen ging es vor rund 65 Jahren los, dann über „Für Elise“ zu den frühen Sonaten. Später zu den späten, von denen das meiste für mich zu schwierig ist. Dennoch rieselt es einem den Rücken herunter. Allein das Herantasten macht ehrfürchtig. Ein Lieblingswerk? Nicht zu beantworten. Es sind zu viele. Bernd Lünser – Gitarrist der Panzerknacker: Als kleiner Junge kannte ich Beethoven nur von einem Bild, das mir aufgefallen war, weil er darauf so grimmig guckte. Als Jugendlicher war ich begeistert von der Beatles-Version „Roll over Beethoven“ und fand den Song so toll, dass ich ihn sofort auf der Gitarre gespielt und zur Platte mitgesungen habe. Ehrlich gesagt war das zu dem Zeitpunkt das erste Mal, dass ich seinen Namen bewusst wahrgenommen habe. Natürlich gehörte der Song später in Göttingen zum Repertoire der Panzerknacker. Lieblingsstück: die Klaviersonaten. Ich sehe sie als „emotionale Begleiter“ an – gerade auch in diesem Jahr, in dem ich geheiratet habe. Lesen Sie auch GSO-Chefdirigent Nicholas Milton über Ludwig van Beethoven So stimmt Pianist Gerrit Zitterbart auf das Beethoven-Jahr 2020 ein Göttingen: Pianist Felix Reuter entstaubt Beethoven im alten Rathaus 250 Jahre Beethoven: Igor Levit und Anselm Cybinski im Podcast Joe Pentzlin – Jazzpianist: Meister Beethoven hat mich natürlich mit seinem großen Schaffen schwer beeindruckt, beeinflusst allerdings kaum, was mein Spielen betrifft. Lieblingswerk: Ohne Wenn und Aber die 32 Klaviersonaten, gespielt von Friedrich Gulda – einfach unerreicht und unschlagbar. Von Udo Hinz