Angespannte Stimmung im Göttinger Iduna Zentrum nach Corona Ausbruch

Kaum ein Gebäude steht bundesweit derzeit so im Fokus des öffentlichen Interesses wie das Göttinger Iduna-Zentrum. Hier sind vor einigen Tagen gehäuft Infektionen mit dem Corona-Virus aufgetreten. Während in Bund und Land die Zeichen auf Entspannung stehen, gilt mitten in Göttingen aktuell das genaue Gegenteil. Die beiden Wohntürme mit den 17 Etagen ragen trist und grau in den Frühsommerhimmel. Leichter Regen fällt auf den staubigen Boden des Parkplatzes vor dem Komplex, der einst zu einem der attraktivsten Wohnquartiere der Stadt zählte. Diese Zeiten sind längst vorüber, die Adresse Maschmühlenweg 4 und 6 gilt als sozialer Brennpunkt. Für viele Bewohner ist das hier kein Zuhause, sondern eine Notlösung. Wie beispielsweise für Katrin (Name von der Redaktion geändert). Die 28-Jährige wird seit 2010 immer wieder hier angespült. Massentest angekündigt: Mit ihr leben ungefähr 700 Menschen „im Iduna“, ganz genau weiß das niemand. Das ist zumindest die Zahl, mit der der Corona-Krisenstab bei der Vorbereitung der Massentests arbeitet, die für das Wochenende geplant sind. Das hat der Hausmeister erzählt. Es ist eine der Maßnahmen, mit der die Stadt auf die akut steigenden Infektionszahlen reagiert. Katrin hat sich schon vor zwei Tagen auf eigene Faust testen lassen, wartet derzeit aber noch auf das Ergebnis. „Ich bin ein bisschen nervös.“ Sie selbst macht niemandem einen Vorwurf, andere tun das schon. Weil einige Wenige bei Feierlichkeiten zum Ende des muslimischen Fastenmonats unvorsichtig gewesen sein sollen, scheinen alle Bemühungen um einen milden Verlauf der Pandemie in Südniedersachsen in Frage gestellt zu sein. So zumindest ist es momentan vielerorts in Göttingen hinter Maske und vorgehaltener Hand zu hören. Dünnhäutige Reaktion: Plötzlich sind die Schulen und Kitas wieder geschlossen, die Sportvereine müssen ihren Spiel- und Trainingsbetrieb einstellen. Außerdem ist ein Freibad kurz nach Eröffnung wegen eines infizierten Mitarbeiters gleich wieder dicht gemacht worden. Und anders als beim urspünglichen Ausbruch des Virus scheint es plötzlich Schuldige für all das zu geben – die da im Iduna-Zentrum. Für die Bewohner, speziell die Mitglieder der Großfamilien, ist diese Stigmatisierung nur schwer zu ertragen. Sie sind Kriegsflüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien und leben mehrheitlich seit Jahrzehnten in Göttingen, oftmals mit unklarem Aufenthaltsstatus und abseits der Gesellschaft. Der jetzt im Raum stehende Generalverdacht macht für sie einen normalen Alltag endgültig unmöglich. Entsprechend dünnhäutig fallen derzeit die Reaktionen auf mutmaßliche Eindringlinge aus. Nicht viel zu sehen: „Was willst du hier? Sieh zu, dass du wegkommst“, tönt es von einem der vielen hundert Balkons. An wen die Worte des jungen Mannes gerichtet sind, lässt sich nicht unmittelbar feststellen. Dennoch verfehlen sie ihre Wirkung nicht. Eine Passantin wechselt erschrocken die Straßenseite und einige Journalisten, die das Haus seit Tagen nicht aus den Augen lassen, blicken sich neugierig um. Am Vortag gab es einen Zwischenfall mit fliegendem Gemüse. Die Polizei musste eingreifen. Trotzdem sind heute wieder mehrere Kameras auf die Fassade des Gebäudes gerichtet. Dabei gibt es eigentlich nicht viel zu sehen. Das tägliche GT/ET Corona-Update als Newsletter Alle News zum Coronavirus in Göttingen täglich gegen 17 Uhr im E-Mail-Postfach Weder die in Quarantäne befindlichen Bewohner, noch die großen Menschengruppen, die hier üblicherweise den Platz bevölkern, lassen sich blicken. Wer das Haus an diesem regnerischen Vormittag verlässt, tut dies allein und trägt eine Maske. „Seit zwei Tagen hängen im Haus entsprechende Hinweise“, erzählt Katrin. Aufenthalt im Gebäude nur mit Mund-Nase-Schutz und maximal zwei Personen im Aufzug, lauten die Regeln. „Die meisten halten sich dran, bleiben in ihren Wohnungen. Es war lange nicht mehr so ruhig hier.“ Ruhe am Zuckertag: Das sagt sie übrigens auch über den 23. Mai. Den Tag, an dem mehrere Familienfeiern in den kleinen Appartements des Idunazentrums maßgeblich zur Verbreitung des Virus beigetragen haben sollen. „Davon habe ich nichts mitbekommen“, so ihre Aussage über die Situation am sogenannten Zuckertag. Ähnlich äußern sich übrigens auch Horst und Frank (Namen geändert). Die beiden kommen gerade beladen mit mehreren Tüten aus der Stadt zurück. „Ich habe nix gehört“, sagt Horst. Mehr wollen die beiden Männer aber auch schon nicht mehr erzählen. Es gehört offenbar zu den unausgesprochenen Regeln im Iduna-Zentrum, dass man sich besser nur um seine eigenen Angelegenheiten kümmert. Die Männer wollen ins Trockene, ihre überwiegend flüssigen Vorräte für die nächsten Tage verstauen. Bevor sie im Hauseingang Nummer 6 verschwinden, binden sie sich notdürftig Tücher vor das Gesicht. Nicht mehr zurück: Auch für den ungebetenen Besucher ist es Zeit zu gehen. Die aggressiv wirkenden Rufe vom Balkon sind mittlerweile zweistimmig. Fremde sind dieser Tage verständlicherweise unerwünscht. Allerdings dürfte sich deren Zahl an den kommenden Tagen durch die großangelegte Testaktion noch erhöhen. Auch wenn die eigentlich die Sicherheit im Haus erhöhen und den Bewohnern helfen soll, ist sie nicht willkommen. Katrin wird dann allerdings schon nicht mehr hier sein. Ihr Testergebnis ist endlich gekommen: negativ. Sie ist erleichtert und kehrt dem Iduna-Zentrum erst einmal den Rücken. „Am liebsten würde ich nicht mehr zurückkommen“, sagt sie. Vermutlich ein häufig geäußerter Wunsch – nicht erst seit dem Corona-Ausbruch. 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Corona-Hotspot - Angespannte Stimmung im Göttinger Iduna-Zentrum