„Bezahlbaren Wohnraum für alle“: Aktivisten in Göttingen brechen in Gothaer-Haus ein

Um gegen „jahrzehntelangen Leerstand“ und für „bezahlbaren Wohnraum für Alle“ zu demonstrieren, haben unbekannte Aktivisten am Montagvormittag ein Transparent mit diesen Aufschriften aus dem obersten Stockwerk des Gothaer-Hauses an der Weender Straße 80 in der Göttinger Innenstadt gehängt – und sich dabei vermutlich strafbar gemacht. Denn in einem im Internet veröffentlichten Video der Aktion mit dem Titel „Gegen die Pandemie der Immobilienhaie“ ist zu sehen, wie jemand die Tür zu dem Gebäude mit einem Schraubenzieher aufhebelt und sich somit Zugang verschafft. Die Gesichter der Aktivisten sind in dem Video nicht zu sehen. Sie forderten eine „sofortige Nutzung des Gothaer Hauses für Wohnzwecke“. „Göttingen wird immer mehr zum Spielball von Immobilienspekulanten“, heißt in einer Erklärung. Sie forderten darin Politik und Verwaltung in Göttingen auf, „anstatt sich als zahnloser Tiger gegenüber den Miethaien darzustellen, endlich zu handeln und Großinvestoren in die Schranken zu weisen“. In einem ersten Schritt müsse das Gothaer Haus „jetzt bezugsfertig“ gemacht werden. Lesen Sie auch Obdachlose in Göttingen verlieren ihre Zuflucht am Gothaer Haus Polizei räumt Platz Planungen für das Gothaer Haus in Göttingen sind ins Stocken geraten Development Partner plant um Gothaer Haus in Göttingen: Abriss verzögert sich weiter Göttingen: Graffiti an mehreren Stellen angebracht Hann. Münden: 18 Personen treffen sich auf Abenteuerspielplatz Autoknacker unterwegs: Drei Autos in Hann. Münden aufgebrochen Göttinger Polizei warnt vor Weihnachtsgeschäft der Onlinebetrüger „Sofort nach Bekanntwerden“ des Videos hätten sich Ermittler der Polizei ein Bild von der Aktion gemacht und den Sachverhalt aufgenommen, sagt Polizeisprecherin Jasmin Kaatz auf Tageblatt-Nachfrage. Das Transparent sei zu diesem Zeitpunkt schon vom Haus entfernt worden, teilt sie mit. Da sich aus dem Video Hinweise auf bei der Tatbegehung verursachte Schäden wie die Beschädigung der Tür und Farbschmierereien ergeben hätten, sei ein Ermittlungsverfahren wegen Hausfriedensbruch und Sachbeschädigung eingeleitet worden. Die Polizei gehe derzeit von einer politisch motivierten Tat aus, so Kaatz weiter. Das Verfahren werde deshalb vom Göttinger Staatsschutzkommissariat bearbeitet. Die Polizei sucht zudem Zeugen des Vorfalls. Diese könnten sich unter Telefon 0551/4912115 melden. Wechsel der Zuständigkeiten im Gothaer Haus: Die Eigentümerin des ehemaligen Gothaer Hauses in der Weender Straße in Göttingen ist die „Projektentwicklung Weender Straße in Göttingen GmbH & Co. KG“. In den vergangenen Jahren habe die Düsseldorfer Development Partner die Geschäftsbesorgung für die Projektentwicklungsgesellschaft erbracht, erklärte Mark Simon, Projektleiter bei der PLB Provinzial-Leben-Baubetreuungs-GmbH, im Juli. Das Mandat von Development Partner sei kürzlich zu Ende gegangen. „Die jetzige Geschäftsführung möchte nach einer Einarbeitungsphase Projekt und Standort voranbringen“, sagte Simon, der weitere Einzelheiten auf Anfrage damals nicht nannte. Zuletzt war die Entwicklung des Innenstadtareals ins Stocken geraten. Peek & Cloppenburg war der Development Partner nach Tageblatt-Informationen als Ankermieter für einen dort geplanten Neubau abgesprungen. Die bis dahin vorgesehene Einzelhandelsnutzung durch einen großen, einzelnen Mieter war infrage gestellt. Vorgelegte Umplanungen zielen stärker als bislang auf eine Wohnnutzung ab. In den Blick der Entwickler soll auch der Bau von Studentenwohnungen an dem Standort gerückt sein. Bislang sahen die Pläne von Development Partner vor, das alte Gebäude abzureißen und ein neues Wohn- und Geschäftshaus mit einer Bruttogeschossfläche von etwas mehr als 13.000 Quadratmeter zu bauen: mit Einzelhandel auf einer Fläche von etwa 7200 Quadratmetern und 40 bis 45 Mietwohnungen zwischen 30 und 100 Quadratmeter auf einer Gesamtfläche von 3500 Quadratmetern. Eine Quote für günstigen Wohnraum, wie bei anderen Neubauprojekten, gibt es hier bislang nicht. 2016 hatten die Düsseldorfer Investoren das 1975 gebaute Gebäude von der Hamburger Firma Atos Asset Management gekauft. Die hatte bereits 2011 eine sechs bis acht Millionen Euro teure Sanierung des Hauses vorgestellt. Auch hier hatte die Suche nach einem großen Ankermieter immer wieder für Verzögerungen gesorgt, bis Atos schließlich an Development Partner verkaufte. Von Tobias Christ und Michael Brakemeier