Black Lives Matter: Göttinger Historiker äußert sich zu Denkmalstürzen

Zum Umgang mit umstrittenen Denkmälern äußert sich Prof. Peter Aufgebauer im Tageblatt-Interview. Aufgebauer, Jahrgang 1948, war nach Staatsexamen und Promotion am Seminar für Mittlere und Neuere Geschichte und am Institut für Historische Landesforschung der Göttinger Universität tätig. Seit 2013 ist er Vorsitzender des Geschichtsvereins für Göttingen und Umgebung. Wie haben Sie sich gefühlt, als Sie die Berichte und Fotos über die Angriffe auf Denkmäler in den USA und London gesehen haben? Hat man als Historiker auch Verständnis für derartige Bilderstürmerei oder lehnt man sie kategorisch ab? Es ist ja zu erkennen, dass hinter den Denkmalzerstörungen berechtigte Proteste und Empörungen stehen, die sich seit längerem aufgestaut haben und nur eines Anlasses bedurften, um gleichsam eruptiv loszubrechen – natürlich ist das verständlich. Wie sollte man mit anrüchigen Denkmälern aus der Vergangenheit umgehen - sie einfach für sich sprechen lassen, sie mit Ergänzungen relativieren und kritisch einordnen oder ab ins Museum? Die Vergangenheit kann man nicht entsorgen, und aus der Geschichte kann man nicht aussteigen. Man muss sich ihr stellen und sich mit ihr auseinandersetzen. Und dazu gehört als Voraussetzung, dass man sich informiert. Denkmäler sind gegenständliche Geschichtsquellen und sollten als solche kritisch interpretiert werden; das geht kaum, wenn man sie beseitigt. Dass frühere Generationen ihre eigenen subjektiven Gründe für dieses ehrende Erinnern durch Errichten von Denkmälern hatten, gehört auch zu unserer Vergangenheit, ist Teil unserer Identität und kann und muss kritisch befragt werden. Was ist am Göttinger Süd-West-Afrika-Denkmal, das die Stadt durch eine Infotafel ergänzt hat, besonders heikel? Dieses Denkmal hat ein Jahrhundert lang unbehelligt, schließlich stark zugewachsen und überwiegend vergessen im Kreuzungsbereich zweier vielbefahrener Straßen gestanden, bis einige politische Aktivisten durch Zerstörung und Entwendung von Teilen auf die rund einhundert Jahre zurückliegende Kolonialpolitik des Kaiserreichs und die Beteiligung von Soldaten eines Göttinger Infanterieregiments am Völkermord an den Nama und Herero aufmerksam gemacht haben. Zu historischer Aufklärung oder historischer Bildung haben sie damit natürlich kaum beigetragen und wollten es wohl auch nicht – das erscheint eher als Symbolpolitik mit dem damals aktuellen Bezug auf den Unabhängigkeitskampf in Namibia und Parteinahme für diesen Kampf. Die jüngere Geschichte des noch immer teilzerstörten Denkmals mit der 2007 angebrachten erläuternden Plexiglas-Schrifttafel ist inzwischen selbst zu einem historischen Zeugnis über einen Teil unserer Vergangenheit geworden. Wie sollte Ihrer Meinung nach mit der viel diskutierten Rückgabe kolonialer Beutekunst verfahren werden? Kunst- und Gebrauchsgegenstände aus den Kolonien sind in den europäischen Museen und wissenschaftlichen Sammlungen aufbewahrt, restauriert bzw. konserviert und durch Forschung erschlossen worden. Insofern gehören sie nicht nur zum kulturellen Erbe der Völker, von denen sie stammen, sondern auch zum wissenschaftlichen und kulturellen Erbe Europas. Ohne den Erwerb für die europäische Wissenschaft würde Vieles davon heute gar nicht mehr existieren. Und was davon tatsächlich „Beutekunst“ ist, müsste wohl im Einzelfall geklärt werden. Da wo die politischen und Verfassungsverhältnisse afrikanischer Staaten es möglich machen, sind die Europäer inzwischen ja beispielhaft dazu übergegangen, auch mit Rückführung von Kolonialkunst und anderen Relikten an der Identitätspräsentation afrikanischer Völker mitzuwirken. Denkmalstürze und Bilderstürmerei hat es in der Geschichte schon immer gegeben - zumeist regional begrenzt. Unterscheiden sich die aktuellen Vorkommnisse davon, sorgen die Globalisierung und mediale Vernetzung für eine neue Qualität? Historische Denkmalstürze und Bilderstürmerei fanden zumeist in einer revolutionären Situation statt – sie waren Teil eines gewaltsamen Umsturzes der bestehenden Verhältnisse. Das ist aktuell nicht der Fall. Die derzeitigen Denkmalstürze zielen eher auf so etwas wie eine ausgleichende historische Gerechtigkeit – die Verhältnisse, über die man sich zu Recht empört, haben eben auch eine längere Vorgeschichte, und als deren Urheber oder Repräsentanten gelten die durch Denkmäler geehrten Personen. Diese aktuellen Denkmalstürze sind sozusagen eine situative und eruptive Symbolpolitik, die mit eigentlicher Politik kaum etwas zu tun hat. Ein Sonderfall sind Verstrickungen in der NS-Zeit, auf die die aktuellen Diskussionen über die Umbenennung von Sohnreystraßen in der Region ein Schlaglicht werfen. Abgesehen davon gibt es aber auch andere Umbenennungen wie die des Göttinger Rathausvorplatzes als ehemaliger Exerzierplatz, der 1992 auf Antrag der Grünen vom nach einem Infanterie-Regiment benannten "82erPlatz" in Hiroshima-Platz umgetauft wurde. War das eine richtige Entscheidung? „Richtige Entscheidungen“ sind in der parlamentarischen Demokratie solche, die von einer Mehrheit unter den gewählten Mandatsträgern getroffen werden. Sowohl die Mandatsträger als auch ihre Entscheidungen sind von Kenntnissen, Vorstellungen, Meinungen und Absichten, auch Einflüssen und Interessen geprägt – und nicht zuletzt sind sie Repräsentanten der Strömungen und des Diskurses ihrer Zeit. Und da dieser Diskurs oft auch strittig sind, sind solche Entscheidungen naturgemäß auch vielfach umstritten. Insofern sind solche Umbenennungen weniger „richtig oder falsch“, als vielmehr aufschlussreich und bezeichnend für den politischen Diskurs. Interview: Kuno Mahnkopf Lesen Sie auch: Zersägt, zertrümmert und ergänzt – das Südwestafrika-Denkmal in Göttingen Goodbye Gandhi? Von Kuno Mahnkopf