Corona-Ärger in der Dorfschänke in Göttingen Herberhausen

Es sollte „ein kleiner Schritt in die Normalität“ sein. Eine „Freiluftsommerprogrammprobe“ mit Musiker Jan Finkhäuser wollten die Betreiberinnen der Dorfschänke am Sonnabend organisieren. Doch Mitarbeiter des städtischen Ordnungsamtes spielten nicht mit und untersagten „die als Auflockerung der allgemein vorgeschriebenen sozialen Isolation“ angekündigte Probe. Dabei wähnte sich Betreiberin Vera Rohrdantz nach Absprachen mit der Stadtverwaltung auf der sicheren Seite. „Es wird kein offizielles Publikum und keinen Ausschank (Betrieb) der Dorfschänke geben. Das Betreten des Grundstücks ist nicht statthaft. Gegen ein Verweilen auf den Bürgersteigen unter Berücksichtigung der geltenden Vorschriften (Abstand) ist nichts einzuwenden“, hatte Rohrdantz die Probe in der Facebook-Gruppe „Herberhausen“ angekündigt. Bereits am 23. April habe eine Mitarbeiterin der Verwaltung am Bürgertelefon grünes Licht für die Probe gegeben, sagt Rohrdantz. Am 27. April sei das Ordnungsamt per Mail darüber informiert worden, woraufhin ein Mitarbeiter dort am 30. April das Vorhaben zunächst mit Verweis auf die aktuelle Erlass- und Verfügungslage untersagte. Noch am selben Tag habe es aber einen Kompromiss gegeben, sagt Rohrdantz. Die Freiluftprobe habe ohne Publikum und unter Ausschluss der Öffentlichkeit im hinteren Bereich des Grundstücks durchgeführt werden können. Das tägliche GT/ET Corona-Update als Newsletter Alle News zum Coronavirus in Göttingen täglich gegen 17 Uhr im E-Mail-Postfach Probe mit Veranstaltungscharakter: Verwaltungssprecher Kimyon bestätigt den von Rohrdantz geschilderten Ablauf. „Durch die Bewerbung über soziale Medien durch die Betreiber der Gastwirtschaft als auch durch den Künstler erhielt diese Probe allerdings einen Veranstaltungscharakter. Veranstaltungen wie die Beworbene sind mit Blick auf die aktuelle Erlass- und Verfügungslage jedoch verboten“, erklärt er. Während Rohrdantz beteuert, dass es eine mündliche Zusage am Bürgertelefon gegeben, bestreitet Kimyon das. „Das Bürgertelefon erteilt generell keine Zusagen, sondern dient der Beratung und erteilt Auskünfte“, stellt der Verwaltungssprecher klar. Am Sonnabend wurde das Vorhaben dann vom Stadtordnungsdienst kontrolliert. Zweimal seien Mitarbeiter des Ordnungsamtes am Sonnabend vorbeigekommen und hätten sich zunächst versichert, dass keine Versammlung stattfand, sagt Rohrdantz. Anwesend waren ein Pärchen und eine Einzelperson. Es haben Hinweis des Beamten gegeben, nicht zu verweilen. Ein dritter Besuch des Ordnungsamtes sei dann um 15.45 Uhr erfolgt – mit zwei Wagen mit je zwei Personen. Einer der Ordnungsamtsmitarbeiter habe die Probe abgebrochen und ein Bußgeld in vierstelliger Höhe angedroht. Den Hinweis auf den zuvor erzielten Kompromiss habe der Mitarbeiter nicht gelten lassen. Lesen Sie auch: Corona-Liveticker: Die aktuellen Entwicklungen in Göttingen und der Region „Gefährdungspotenzial billigend in Kauf genommen“: „Die Situation vor Ort verstieß aus Sicht der Mitarbeiter des Stadtordnungsdienstes im Verlauf des Nachmittags eindeutig gegen die bestehenden Regeln, sodass sie letztlich untersagt wurde“, erläutert Kimyon. Es habe eine „zusammenhängende Menschenansammlung“ gegeben, es sei zum Verweilen aufgefordert worden, zudem soll eine Person auf eine Essensbestellung gewartet haben, fasst Kimyon die Auffassung der Mitarbeiter zusammen. „Die Online-Werbung sprach ausdrücklich davon, dass Vorbeigehende und Spaziergänger*innen auf dem Bürgersteig verweilen können, um während des „Außer-Haus-Verkaufes“ von Speisen und Getränken die Musik des Künstlers zu hören. Vor Ort war die Lage so, dass alle Gäste, die essen oder trinken wollten, in den Garten gehen mussten, um sich dort ihre Getränke oder Speisen abzuholen. Dort – im Garten hinter dem Haus – spielte der Künstler. Er lud quasi mit seiner Musik ein, im Garten auch ein wenig zu verweilen“, schildert Kimyon. Der Eindruck, dass die Veranstalter die bestehenden Regeln zur Gefahrenabwehr zu ihren Gunsten sehr großzügig ausgelegt und das Gefährdungspotenzial billigend in Kauf genommen haben, habe sich aufgedrängt. „Aus diesem Grund wurde die Veranstaltung dann auch untersagt“, sagt Kimyon. Rohrdantz widerspricht hier der Auffassung der Verwaltung. Weder habe es zwischen 15 und 17 Uhr einen Außer-Haus-Verkauf noch eine Aufforderung zum Abholen von Getränken oder Speisen gegeben. Der Betrieb habe geruht. Das Grundstück sei durch rot-weißes Band abgesperrt gewesen. Ordnungsdienst lässt Fotos löschen: „Ich hatte keine Absicht, eine Regel zu brechen“, sagt ein Augenzeuge des Geschehens. Mit seiner Frau hatte er während einer Wanderung den Abstecher nach Herberhausen gemacht, um der Probe zu lauschen. Außer ihnen sei nur ein weiterer Zuschauer dort gewesen. Unverständnis löst bei dem Augenzeugen allerdings das Verhalten vier Mitarbeiter des Ordnungsamtes aus, die zunächst die Erlaubnis gaben nur um dann später die Probe von Finkhäuser zu untersagen. Auch hätten die Mitarbeiter den derzeit gebotenen Mindestabstand zu ihnen nicht eingehalten. Ihr Gebaren sei „erregt“, der Tonfall „unangenehm“. Zudem hätten sie seiner Frau befohlen, Fotos von dem Vorfall von ihrem Mobiltelefon zu löschen. Als Begründung hätten die Mitarbeiter des Ordnungsamtes das „Recht am eigenen Bild“ angeführt. Dem Befehl sei seine Frau nachgekommen, sagt der Augenzeuge. Verstoß gegen das Kunsturhebergetz: Dazu erläutert Kimyon: Die beiden Kollegen des Stadtordnungsdienstes hätten sich in einer Entfernung von etwa zwei Metern zu der Person, die Fotos gemacht hatte, befunden. Diese habe Fotos ausschließlich von den beiden Kollegen aus einer eher verdeckten Position heraus gemacht, in dem sie das Smartphone in Höhe des Oberkörpers gehalten haben und ohne hinzusehen ausgelöst habe. „Die Kollegen hatten hier den Verdacht, persönlich aus der Nähe fotografiert zu werden und nicht, dass die Bilder in Verbindung mit dem Zeitgeschehen, der Veranstaltung in der Dorfschänke, stehen sollten“, macht Kimyon deutlich. Deshalb hätten sie das weitere Fotografieren untersagt und die Löschung der Fotos gefordert. Gesehen hätten die Mitarbeiter die Bilder vor der Aufforderung aber nicht. Als Rechtsgrundlage führt Kimyon die Pargrafen 22 und 23 des Kunsturhebergetz an. Danach sei es „grundsätzlich strafbar, ohne Einwilligung des Abgebildeten Bildnisse zu verbreiten oder öffentlich zur Schau zu stellen, es sei denn, die Abbildung steht in Verbindung mit einem Zeitgeschehen und damit im Interesse der Öffentlichkeit“. Würden Fotos aus „nächster Nähe“ gefertigt und bildeten nicht das Bildnis aus dem Zeitgeschehen ab, seien sie zu unterlassen, argumentiert Kimyon. Die Verwaltungsvollzugsbeamten hätten bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben, so Kimyon, die allgemeinen Befugnisse der Verwaltungsbehörden und der Polizei. „Im Bereich der Gefahrenabwehr sind sie der Polizei gleichgestellt, mit Ausnahme der Verfolgung von Straftaten und anderen speziellen Vorschriften“, erklärt der Verwaltungssprecher. Appell zu mehr Gelassenheit: Ordnungsdezernent Christian Schmetz hatte am Dienstag unabhängig zu dem Vorfall in Herberhausen um Verständnis für die Mitarbeiter des Ordnungsamtes geworben. Es gebe in diesen Coronazeiten eine „große Verunsicherung“ in der Bevölkerung und seinen Mitarbeitern. Diese würde vor Ort stets „Einzelfallentscheidungen“ treffen. Dies geschehe zum Schutz der Bevölkerung. Dass es dabei „Grenzfälle“ gebe, sei unvermeidbar. Auch wenn er das Gefühl habe, das die Stimmung kippe und der Wunsch nach Normalität größer werde, appellierte Schmetz an beide Seiten, „etwas gelassener“ zu reagieren. Ringelrein am Gänseliesel: Ein weiterer Verstoß gegen Corona-Verordnungen gab es am Montag: Rund 50 Menschen hatten gegen die staatlichen Verordnungen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie protestiert. Nach einem Spaziergang in der Innenstadt bildeten einige von ihnen, sich an den Händen haltend, am Gänseliesel einen Kreis. Bilder des Medienkollektivs „Links unten“ dokumentieren das. Zuvor habe ein Mitarbeiter des städtischen Ordnungsdiensts die Teilnehmer noch während des Spaziergangs ermahnt, schildert „Links unten“ auf Twitter. Die Versammlung sei gegenüber dem Fachbereich Ordnung der Stadt Göttingen nicht angezeigt, erläutert Verwaltungssprecher Dominik Kimyon. Sie haben daher nicht beschränkt oder untersagt werden können. Das auf dem Bild von „Links unten“ dokumentierte Verhalten entspreche nicht den Vorgaben der Niedersächsischen Verordnung zum Schutz vor Neuinfektionen mit dem Corona-Virus. „Eine so angezeigte Versammlung wäre auch nicht bestätigt worden“, sagt Kimyon. Der erwähnte Mitarbeiter des Stadtordnungsdienstes sei „zufällig“ vor Ort gewesen. Zu dem Zeitpunkt habe jedoch kein Verhalten seitens der Teilnehmer vorgelegen, das ein Einschreiten oder Auflösen der Veranstaltung erfordert hätte, erläutert Kimyon. Sie erreichen den Autor unter: E-Mail: m.brakemeier@goettinger-tageblatt.de Twitter: @soulmib Von Michael Brakemeier

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