Corona: Göttinger Paar spricht über Auswirkungen der geschlossenen Kitas

Studieren, arbeiten, das Kleinkind betreuen. Und natürlich den Haushalt managen. Das junge Paar Nadine Weber (26) und Philip Beckert (24) ist derzeit voll ausgelastet. Entspannen, Zeit zu zweit verbringen oder sich mit Hobbys zu beschäftigen, ist eher weniger drin. Denn die Kindertagesstätten sind geschlossen – und die zweijährige Tochter des Paares, Frieda, hat keinen Anspruch auf eine Notbetreuung. „Unser Antrag wurde abgelehnt – wir sind nicht systemrelevant“, so Nadine Weber. Nadine Weber studiert Jura und bereitet sich momentan auf das Examen vor. Ihr Partner befindet sich bereits im Berufsleben: Seit Dezember ist Philip Beckert als Rechtsreferendar am Göttinger Landgericht eingestellt. Dass das Paar keinen Anspruch auf Notbetreuung hat, erfuhr es endgültig am vergangenen Freitag. „Das war aber schon abzusehen“, so Nadine Weber. Vor Weihnachten hatte die Kitaleitung gesagt, dass die Kinder zunächst zu Hause betreut werden sollten. Von einer Erledigung zur nächsten: „Wir sind die ganze Zeit im Erledigungsmodus“, sagt Philip Beckert. Bis drei Uhr übernehme er vor allem die Betreuung der Tochter, während seine Frau für das Examen lernt. Ab etwa drei Uhr geht es für ihn dann an die Arbeit – schließlich hat er eine Vollzeitstelle. „Natürlich habe ich aber manchmal auch Termine. Gut ist, dass mein Arbeitgeber mir erlaubt, die Zeit frei einzuteilen“, sagt er. So müsse er nicht immer bis spätabends arbeiten – sondern könne auch am Wochenende ein paar Stunden nacharbeiten. Nicht nur für die Eltern, auch für die Tochter Frieda sei diese Zeit nicht einfach. „Auch wenn sie erst zwei Jahre alt ist, merkt sie etwas“, sagt Nadine Weber. „Morgen Kindergarten? Morgen wieder?“, frage das Mädchen, oder wo ihre Freundin sei. Zudem plagen Frieda Schlafprobleme. Vor allem seit der Schließung der Kita könne sie nachts nicht durchschlafen, mittags schlafe sie auch nicht. Lesen Sie auch Corona im Landkreis Göttingen: So verläuft die Notbetreuung in den Kitas Göttingen: Sozialdezernentin Petra Broistedt und Ordnungsdezernent Christian Schmetz im Gespräch Das junge Paar ist bei der Bewältigung der Herausforderungen nahezu auf sich allein gestellt. Die Eltern sind berufstätig, eine Mutter wohnt zudem in Chemnitz. Nur die Großmutter von Nadine Weber hat Zeit, zu unterstützen. Aufgrund ihres Alters gehört sie jedoch zur Risikogruppe. „Da befinden wir uns schnell im inneren Konflikt“, so Nadine Weber. Soll das Paar die Unterstützung annehmen, um beruflich weiterzukommen – und somit ein Risiko eingehen, die Großmutter zu gefährden? Keine Planungssicherheit bei Examenvorbereitung: Schon einmal hat Nadine Weber ihr Staatsexamen verschoben. Ursprünglich wollte sie es im Februar schreiben, nun im August. Aber wird es bald wieder eine Betreuung geben?„Es gibt keine Planungssicherheit“, sagt sie. Das sei nicht die Schuld der Regierung – schließlich herrsche eine Pandemie. „Wenn ich aber wüsste, dass es im Februar wieder weitergeht, könnte ich mich auf mein Examen konzentrieren.“ Wenn die Kitabetreuung aber nicht bald weitergeht, könne sie vielleicht auch den neuen Termin für das Examen nicht einhalten – und das bereits Gelernte könnte in Vergessenheit geraten. In Niedersachsen ist der Lockdown verlängert und verschärft worden. Auch Kindertagesstätten sollen seit 11. Januar lediglich eine Notbetreuung anbieten, wie Landeskultusminister Grant Hendrik Tonne (SPD) am 6. Januar in einer Pressekonferenz erklärt hat. Nur noch 50 Prozent der Plätze können derzeit belegt werden. Das heißt: Für Krippen sind maximal acht Kinder in einer Gruppe erlaubt, in Kindergärten maximal zwölf. Die Notbetreuung sei gedacht für Kinder, von denen „mindestens ein Erziehungsberechtigter in betriebsnotwendiger Stellung in einem Berufszweig von allgemeinen öffentlichen Interesse“ ist, erklärte Tonne. Auch die Betreuung in Härtefällen sowie von Kindern mit Förderbedarf sei möglich. Außerdem sollten Kinder betreut werden, die zum kommenden Schuljahr schulpflichtig werden. An den Kitas wurde eine Checkliste erarbeitet und an die Eltern geschickt. So überprüften die Einrichtungen, welche Bedarfe bestehen und wer einen Anspruch auf Notbetreuung hat. Von der Politik würde sich das Paar wünschen, dass bei den Ansprüchen auf Notbetreuung mehr auf Einzelfälle geachtet werde. Und noch einen Wunsch hat Nadine Weber: Dass nicht so viele unempathische Kommentare auf Social Media kursieren. „Das verletzt, wenn man sieht, was etwa zu den Schließungen der Kitas geschrieben wird – wie beispielsweise ,Wenn man keine Kinder haben will, sollte man keine in die Welt setzen’“, sagt Nadine Weber. Die Hoffnung ist groß, dass die Kitas bald wieder öffnen. „Ich hoffe, die Politik hat das auf dem Schirm“, sagt Philip Beckert. Die Öffnung der Kitas und Schulen sollten zu den erste Corona-Lockerungen gehören. Denn viele Eltern fühlen sich momentan abgeschnitten, ist sich das junge Paar sicher. Von Anja Semonjek