Corona Virologe Streeck in der Offensive aufgewachsen in Herberhausen

Der Virologe Hendrik Streeck ist derzeit in den meisten Talkshows im deutschen Fernsehen. Befragt wird er zu den Ergebnissen einer Studie, die er geleitet hat. Sein Team untersuchte die Einwohner von Heinsberg, dem Ort, in dem sehr viele ganz früh in der Corona-Krise infizierte Menschen wohnen. Für ein Zwischenergebnis musste Streeck viel Kritik einstecken. In der kommenden Woche will er gemeinsam mit den beteiligten Wissenschaftlern das Endergebnis vorstellen. Vorab hat der Wissenschaftler der in Herberhausen aufgewachsen ist, über die Studie, die turbulente Zeit und seine Jugend in Göttingen gesprochen. Streeck leitet das Institut für Virologie am Universitätsklinikum Bonn, dass er im Oktober 2019 übernahm. Das Corona-Virus habe ihn mitten in der Vorstellungsrunde bei den Kollegen überrascht, sagt Streeck, der vor sich vor allem in der HIV-Forschung einen Namen gemacht hat. Für Aufsehen sorgte seine Heinsbergstudie, von der es bislang lediglich einen Zwischenbericht gibt. „Nächste Woche, wahrscheinlich Mittwoch oder Donnerstag“, soll der Abschlussbericht der Studie erscheinen, sagt Streeck im Telefongespräch. Von verschiedener Seite sei ihm geraten worden, sich wegzuducken. Doch der 42-Jährige hat den anderen Weg gewählt und ist „in die Offensive gegangen“. Das Endergebnis belege, dass es „eine wichtige und spannende Studie ist – und es zeigt, dass wir richtig liegen“. „Wir sind dadurch bestätigt“: Sie könne erst in der kommenden Woche veröffentlicht werden, weil „es Zeit braucht, sie verständlich aufzubereiten“. Mehrfach müsse sie durchgerechnet und das Manuskript geschrieben und abgestimmt werden. Dann werde es auf einen Preprint-Server hochgeladen und in einer Art klassischen Vorlesung gestreamt. Er sei überzeugt von den Daten, „sie sind bestätigt“, erklärt Streeck schon vorab, „wir sind dadurch bestätigt“. „Wir haben sehr viele weitere, spannende Daten zusammengetragen.“ Daten von Kindern, Alten, Familien und Einzelpersonen seien in die Studie eingegangen. Viele verschiedene Daten sind so zusammengekommen. So könnten jetzt Aussagen darüber getroffen werden, was Ereignisse wie Karneval auslösen könnten. In Heinsberg infizierten sich zahlreiche Einwohner bei einer solchen Feier. Testkapazitäten in Australien: Als „ethisches Problem“ bezeichnet Streeck die Form der Veröffentlichung des Zwischenergebnisses. Die Daten sollten sofort zur Verfügung gestellt werden. Es sei „für alle wichtig gewesen, die Daten zu haben“. Mit dem Endergebnis sei jetzt „ein fester Datenstamm“ da. Eine Erkenntnis daraus benennt der Virologe: „Es gibt viele Bereiche, über die bislang nicht diskutiert wird.“ Wichtig sei der Blick auf das Wetter, sagt Streeck. In Australien, wo es sehr gute Testkapazitäten gebe, seien 80 Prozent der Infektionen aus dem Ausland gekommen. Nur wenige Menschen hätten sich im Land infiziert. Studien hätten gezeigt, dass die Menge der Viren-Ersttreffer großen Einfluss auf die schwere des Krankheitsverlaufs hätten. „Das erwartet man auch vom Corona-Virus“, erklärt der Wissenschaftler. Dennoch hält er eine Ausgangseinschränkung nicht für die wichtigste Maßnahme. Weniger Viren im Sommer: Corona-Infektionen mit anderen Viren hätten gezeigt, dass über den Sommer nur einzelne Infektionen aufgetaucht seien. Scheint die Sonne, hätten die Menschen mehr Raum um sich, die Schleimhäute funktionierten besser und weniger Tröpfchen befänden sich bei der Aussprache in der Luft. Die Folge laut Streeck: Weniger Viren prallen auf den Menschen, er könne vielleicht sogar Schutz dagegen aufbauen, ohne richtig krank zu werden. Hendrik Streeck ist ein Mann mit vielen Talenten. Vor gut 20 Jahren spielte das Göttinger Jugend-Sinfonie-Orchester als Uraufführung eine seiner Kompositionen. Schon während der Schulzeit liefen einige seiner Musikproduktionen im Theodor-Heuss-Gymnasium, der Schule, in der er 1997 das Abitur absolvierte. Er komponiere, seit er mit sechs Jahren mit dem Cellospiel begann, gab er damals zu Protokoll. Ebenfalls bekundete er damals, er sei aus der Art geschlagen, viele seiner Vorfahren seien Mediziner. Er entschied sich damals für das Studium der Musikwissenschaften und Betriebswirtschaftslehre. Nach dem Zivildienst, den er unter anderem im Weender Krankenhaus leistete, startete er die akademische Ausbildung in Berlin – und schaffte schon nach der Hälfte der üblichen Zeit, nach einem Jahr, die Zwischenprüfung. „Es hat Spaß gemacht, aber ich habe mich nicht erfüllt gefühlt.“ Ein Stolperstein: Adornos Blick auf Strawinsky. Streeck: „Das konnte ich nicht mehr nachvollziehen.“ Er stieg um und startete ganz in der Familientradition ein Medizinstudium. Neurologie und Dermatologie haben ihn damals interessiert. Zur Virologie sei er durch einen Studienjob gekommen – in einer HIV-Praxis habe er Blut abgenommen, sagt Streeck. Ein Promotionsangebot führte ihn nach Harvard, eine Elite-Universität an der Ostküste der USA. In Bonn wurde er promoviert und ging wieder nach Bosten an die Harvard Medical School zurück, 2009 zunächst als Instructor in Medicine, 2011 dann als Assistant Professor. Im September 2012 wurde er an das United States Military HIV Research Program berufen, wo er die Abteilung der zellulären Immunologie leitete. 2015 übernahm Streeck den Lehrstuhl für medizinische Biologie und gründete das Institut für HIV-Forschung. Im Oktober 2019 ging er nach Bonn. Mit Musik verbinde ihn eine on/off-Beziehung, erklärt Streeck. Es gebe Phasen, „in denen ich sehr viel Musik mache“, derzeit allerdings nicht. Er brauche „Ruhe und ein bisschen Langeweile, um wieder hereinzukommen“. In Herberhausen sei er nach wie vor regelmäßig, Weihnachten beispielsweise. „Ich bin immer noch gerne in Göttingen.“ Dann gehe er auch am Theodor-Heuss-Gymnasium vorbei, an der Schule, zu der er immer mit dem Fahrrad aus Herberhausen gefahren sei. „Ich will schauen, wie es dort aussieht.“ Mehr zum Thema finden Sie hier: Das sind Deutschlands bekannteste Corona-Experten Erkenntnisse aus Heinsberg: Virologen halten Lockerungen der Maßnahmen für möglich Heinsberg-Studie: Drosten fordert schriftliche Ergebnisse Das tägliche GT/ET Corona-Update als Newsletter Alle News zum Coronavirus in Göttingen täglich gegen 17 Uhr im E-Mail-Postfach Von Peter Krüger-Lenz

Corona-Studie - Virologe Streeck spricht über seine turbulente Zeit in Göttingen