Corona in Göttingen: 500 Teilnehmer bei Demonstration auf Groner Landstraße

Für soziale Teilhabe, kollektiv organisierte Erziehung, für Entfaltung des Einzelnen und eine solidarische Gesellschaft demonstrierten am Dienstagnachmittag etwa 500 Göttinger in Rufweite zum Wohnkomplex Groner Landstraße 9. Während die mehrheitlich in Quarantäne befindlichen Bewohner das Geschehen neugierig aus den Fenstern verfolgten, kämpften draußen die Teilnehmer bei schönstem Sommerwetter für die Rechte der von der Stadt „unschuldig Eingesperrten“. Zum Liveblog Ein Bündnis linker Gruppierungen hatte zu der Solidaritätskundgebung vor dem Hotel Freigeist aufgerufen. 100 Teilnehmer waren angemeldet, es kamen deutlich mehr. Doch im Gegensatz zur Veranstaltung am Sonnabend, bei der an gleicher Stelle mehrere Polizisten verletzt worden waren, blieb es am Dienstag bis zuletzt ruhig. Zwar bewegten sich die Demo-Teilnehmer auf der Straße in Richtung Wohnkomplex, doch blieben sie vor den dort postierten Polizeibeamten stehen. Stadt ist schuldig: „Geht’s noch Köhler und Broistedt?“, war auf einem der Pappschilder zu lesen, die die Kundgebungsteilnehmer mit sich trugen. Die Kritik richtete sich auch in den Redebeiträgen wiederholt direkt an die Göttinger Verwaltungsspitze. Oberbürgermeister Rolf-Georg Köhler und Petra Broistedt, Leiterin des Krisenstabes, hätten persönlich zu verantworten, dass sich die Infektion im Wohnkomplex weiter ausbreiten könne. „Die große Mehrheit der Menschen im Groner Bunker ist nicht infiziert – noch nicht“, konstatierte eine der Rednerinnen. Doch die Stadtverwaltung sperre die Menschen nicht nur ein und mache sie krank, sie versorge sie anschließend auch noch schlecht, hieß es in einem weiteren Beitrag. So habe die zuständige Dezernentin öffentlich zugeben müssen, dass lebensnotwendige Dinge nicht in ausreichender Zahl vorhanden gewesen seien. In eingespielten Redebeiträgen beschrieben mutmaßliche Bewohner die angeblich unerträglichen Zustände im Haus. Für die seien außer der Stadtverwaltung auch die Polizei, Sicherheitsdienste und Medien verantwortlich, tönte es aus den Lautsprechern. Sie hätten die Bewohner drangsaliert, kriminalisiert und mit rassistischen Klischees an den Rand der Gesellschaft gedrängt. Die Berichterstattung über das Infektionsgeschehen habe darauf abgezielt, Menschen mit Migrationshintergrund als Schuldige am Virus-Ausbruch zu diffamieren. Demo an der Groner Landstraße im Video: Wohnraum vergesellschaften: Schließlich machte eine Sprecherin den deutschen Wohnungsmarkt als Verantwortlichen für die soziale Notlage vieler Menschen aus. Vielerorts würden sich Immobilienbesitzer ihre Mieter nach der Hautfarbe auswählen oder ihre Mietobjekte nach einer bestimmten Quote belegen. Es sei nicht unüblich, dass Mieterinnen noch vor Wohnungsbesichtigungen angeben müssten, ob sie ein Kopftuch trügen, schilderte eine junge Frau. Genau hier müsse die Politik Abhilfe schaffen. Oder um es mit einem weiteren Pappschild zu sagen: „Wohnraum vergesellschaften!“ Konkrete Abhilfe für die Groner Landstraße 9 lieferten Teilnehmer der Kundgebung auch noch: Die Bewohner sollten in Hotels untergebracht werden, forderten sie, applaudierten und gingen dann nach zwei Stunden wieder nach Hause – ganz friedlich. Von Markus Scharf