Corona und die Folgen: Schulstart ohne Eingangsuntersuchung

Vor der Einschulung steht der Besuch beim Doktor an: Jeder neue Abc-Schütze muss sich einer sogenannten Schuleingangsuntersuchung unterziehen, bei der die körperlichen und sozialen Fähigkeiten getestet werden. Doch in diesem Jahr fiel die für tausende Schüler aus. Auch die Schulen im Landkreis Göttingen sind betroffen. Einen Totalausfall hätte es jedoch nicht gegeben, schildert Julian König. Als Direktor der Grundschule Gieboldehausen zeigt sich erleichtert, dass der größte Teil der Eingangsuntersuchungen bereits im Februar erfolgt sei. Die fehlenden Untersuchungen müssten nun „in den ersten Wochen mit der schuleigenen Diagnostik kompensiert werden“, sagt der Lehrer. Gezielte Terminvergabe: Dies bedeute zusätzliche Arbeit für das Lehrpersonal. Dennoch ist König davon überzeugt, dass Schüler, bei denen bisher unerwartete Probleme auftreten würden, auch mit Schuleingangsuntersuchung als schulreif eingestuft worden wären. Bestanden vorab seitens der Eltern oder des Kindergartens Unsicherheiten bei einzelnen Kindern, hätten diese die Gelegenheit gehabt, individuelle Termine beim Gesundheitsamt wahrzunehmen. Dies bestätigt auch Beatrix Schulz, Schulleiterin der Grundschule Langenhagen in Duderstadt. Es hätte ein Rundschreiben des Gesundheitsamtes gegeben, in dem darauf hingewiesen wurde, dass für Kinder, bei denen Defizite bekannt seien, noch Kapazität für eine Untersuchung vorhanden sei. Da sie Leiterin einer recht kleinen Schule sei, fühle sie sich den möglichen Schwierigkeiten gewachsen. „Man hat keine Garantie“, unterstreicht Schulz, doch sie besitze „ein gutes Gefühl“. Auch Hanka Rode ist positiv gestimmt. Die Schulleiterin der Göttinger Wilhelm-Busch-Grundschule erwartet keine Probleme wegen der fehlenden Schuleingangsuntersuchungen, da das Lehrerkollegium „dicht an den Familien, Kindern und Kindergärten dran“ sei. Etwa die Hälfte der neuen Erstklässer hätte im Februar noch eine Untersuchung wahrnehmen können. Zudem vertritt sie die Ansicht, dass mittels der Diagnose des Hausarztes und durch die Einschätzung von Eltern und Erziehern die fehlenden Untersuchungen gut ausgeglichen werden könnten. „Ein holpriger Schulstart“: Weniger die fehlenden Untersuchungen sieht Susann Hörschelmann, Schulleiterin der Janusz-Korczak-Schule in Nikolausberg, als Problem, sondern vielmehr die nicht vorhandenen großen Räumlichkeiten. So hätte beispielsweise die Einschulung im Freien stattfinden müssen und zu den Elternabenden könne jeweils nur ein Elternteil von nur der Hälfte der Schulklasse eingeladen werden. Zudem bedauert sie, wie auch die anderen Schulleiter aus der Region, dass keine Kennenlerntage veranstaltet werden konnten. So hätte die Schule nicht die Möglichkeit gehabt, selbst die Schulreife der Kinder einzuschätzen. Die Schuleinsteiger seien nun „angstbeladener“, sagt Schulleiterin Rode, denn „es konnte keine Brücke zu den Kindern aufgebaut werden“. Bei den sogenannten Schnuppertagen hätten die zukünftigen Erstklässler die Möglichkeit gehabt, die Schule auf spielerische Weise kennenzulernen. Auch ihr Kollege König aus Gieboldehausen beklagt die reduzierten „Kontaktpunkte zwischen Lehrern, Eltern, Erziehern und Gesundheitsämtern“. Der Schulstart wäre nun wohl etwas „holpriger und überraschender für die Schüler“. Doch er bekräftigt, dass „sie es schon schaffen werden“. „Besondere Situation für alle“: Verständnis für die eingeschränkten Schuleingangsuntersuchungen ist bei den Schulleitern vorhanden. König geht „von der richtigen Maßgabe der Ämter“ aus, Rode verweist auf die „besondere Situation für alle“. Schulz betont aber, dass sie „die Schuleingangsuntersuchungen für ganz immens wichtig“ halte. Auch die Kommunikation zwischen Schulen und Gesundheitsämtern sei sehr eingeschränkt gewesen, sonst habe es einen regen Austausch gegeben. „Das fehlte dieses Jahr“. Mit dem Corona-Ausbruch sind die Schuleingangsuntersuchungen im Landkreis Göttingen ausgesetzt worden. „Im Mai wurde den Grundschulen angeboten, Untersuchungen durchzuführen bei Kindern, die bereits von einem Unterstützungsangebot in der Kita profitierten, bei Flexi-Kindern und bei Kann-Kindern – also Kinder, welche im oder nach dem Juli geboren wurden“, erläutert der Göttinger Verwaltungssprecher Dominik Kimyon. Noch lägen weder Zahlen vor, wie viele Kinder hätten untersucht werden müssen noch wie viele vor dem Schulstart 2020 tatsächlich untersucht worden sind. Jährlich werden nach Angaben von Göttingens Sozial- und Gesundheitsdezernentin Petra Broistedt in Stadt und Landkreis Göttingen zwischen 2600 und 2700 Kinder eingeschult – 65 Prozent davon entfielen auf den Landkreis, so Broistedt. Kimyon betont, dass die Schuleingangsuntersuchungen nur „ein Baustein von mehreren im Gesamtabwägungsprozess zur Einschulung“ seien. Das Gesundheitsamt entscheide nicht darüber, wer eingeschult wird und wer nicht, erläutert Kimyon. Es gebe eine fachliche Einschätzung mit Empfehlungscharakter. „Die Entscheidung über eine Einschulung treffen Schulleitung und Eltern“, sagt Kimyon. In den Jahren 2018/2019 wurden acht bis elf Prozent der untersuchten Kinder aus Stadt und Landkreis Göttingen nicht eingeschult – alles Flexi-Kinder und Kann-Kinder. Lesen Sie auch Schuleingangsuntersuchungen: Viele Kinder wegen Corona ohne Untersuchung eingeschult Stadtelternrat Göttingen fordert Schuleingangsuntersuchungen Von Carlotta Heinzelmann und Michael Brakemeier