„Exil“ in der Corona-Krise: Aktionstag fordert die Anerkennung von Musikclubs als Kulturstätten

Eine konkrete Perspektive gibt es für Göttinger Kultureinrichtungen nach wie vor nicht in dieser von Corona geprägten Zeit. So bleibt ihnen nur, mit besonderen Aktionen auf sich aufmerksam zu machen. Der Göttinger Club „Exil“ hat am Sonnabend erstmalig an dem vom europäischen Dachverband Live DMA unter dem Motto „#clubsAREculture“ veranstalteten Aktionstag [Open] Club Day zur Anerkennung von Musikclubs als Kulturstätten teil. Kulturelle Vielfalt: Bea Roth vom Exil ist gleich beim ersten Lockdown aktiv geworden und hat Politiker angeschrieben, um auf die prekäre Situation ihrer Branche hinzuweisen. Sie sitzt auch im Krisenstab des deutschen Bundesverbandes LiveMusikKomission e.V., über den sie auf den Aktionstag aufmerksam wurde. Um die kulturelle und subkulturelle Vielfalt ihres Clubs zeigen zu können, hat Roth ein buntes Programm zwischen feiner Livemusik, Talk und trashigem Dancefloor zusammengestellt. Moderiert wurde der Abend von Dana Rotter vom Radio Leinewelle. Einen feinen Einstieg gaben Selen und Joe Pfändner zu Eydie Gormes „I walk the line“ mit ihrer Swing-Tanz-Kunst, die bis zum Lockdown beim „Swing-A-Round“ zum festen Programm des Exils gehörte. Inzidenzwert von zehn: Im Gespräch mit Rotter betonte Klaus Wißmann vom Verein Kreuzberg on KulTour anschließend die wirtschaftliche Bedeutung der Kreativwirtschaft und wies auf die bedrohliche Situation privatwirtschaftlich geführter Kulturstätten wie auch solo-selbständiger Künstler hin. Bis zu einem Inzidenzwert von zehn müssten die Clubs geschlossen bleiben. Die Ungewissheit für die Veranstalter mache eine ständige Neuplanung nötig. Dabei würden auch Netzwerke wegbrechen. Zum Ende ruft Wißmann bei Wiedereröffnung zum Besuch vor allem der kleinen Spielstätten auf. Es folgen drei Liveacts mit prägnant rauchigen Stimmen. Jannes Schreiber macht mit seinen emotionalen Songs den Anfang. „Tagessatz“ ist Menschen gewidmet, die, auf der Straße lebend oft übersehen, auch eine Geschichte haben. Zwei sehr eindringliche Cover-Versionen von Novo Amor und Nathaniel Rateliff folgen. Annäherndes Berufsverbot: Jan Finkhäuser schließt sich mit zwei rotzigen Kinks-Interpretationen und dem jiddischen „Arbetloze Marsh“ an, bevor er Auskunft zur Situation des Solo-Künstlers in Pandemie-Zeiten gibt, die er als „annäherndes Berufsverbot“ empfindet. Wie viele Künstler hat auch er die Zeit mit Online-Aktionen überbrückt. Er befürchtet, das einige Clubs, die er regelmäßig bespielt hat, am Ende der Pandemie nicht mehr existieren. Eine Förderung habe er nur für zwei von acht Monaten erhalten. Abschließend appelliert er an die Radiostationen, vermehrt auch kleine Künstler zu spielen, um diese zu fördern. Vielen älteren Musikfans ist noch die von Karl Schrader und Manni Vieth 1980 in Leben gerufene legendäre „Outpost“ in Einbeck-Vogelbeck als Stätte feinster Live-Musik ein Begriff. Am 31. Juli 1988 ist dort nach einem Auftritt von Rio Reiser und einer rauschenden Party Schluss, um dann im Mai 1989 nach Göttingen an die Königsaallee umzuziehen. Große Namen wie Roger Chapman, Uriah Heep, die Toten Hosen, die Ärzte, Willy De Ville, Mitch Ryder, Rammstein, Seeed, oder Black Sabbath geben sich im Laufe der Jahre in dem Musiktempel die Ehre, bis nach dreizehn Jahren dann das endgültige Aus kommt. Die „Outpost“ geht ins „Exil“ und landet 2003 unter diesem Namen in den ehemaligen Räumen des „Kairos“ an der Prinzenstraße. Nach Auslaufen des Mietvertrages dort findet Inhaberin Bea Roth ein neues Zuhause in ehemaligen Kinoräumen an der Weender Landstaße. Seit September 2016 bereichern sie nun dort, der alten Outpost Tradition nach wie vor verbunden, die Stadt Göttingen mit vielschichtiger Kultur und Subkultur. Der knackige Auftritt der 2012 gegründeten Indie-Rock Band Kyles Tolone, die in dem Exil ihr „gefühltes Wohnzimmer“ sehen, ist ein weiteres Highlight. Über ihre Aktion „GöTeilt“ verkauft die Band in ihrem Online-Shop Sticker, deren Erlös eins zu eins an Göttinger Clubs geht. Inzwischen sind andere Bands dazu und schon rund 4000 Euro zusammen gekommen. Ein neues Album stellt die Band zum Ende auch in Aussicht, bevor fünf DJs zum Dancefloor-Mix aller Exil-Clubformate in die Nacht hinein auflegen. Ein erfolgreicher Abend, bei dem in der Spitze mehr als 150 Besucher den Livestream verfolgten. Von Jörg Linnhoff