Extinction Rebellion in Göttingen: Protest mit Fahrrad und Bee Gees

Eigentlich ist es ganz einfach: „Wegen der Zukunft“, sagt Javier auf die Frage, warum er am Sonnabendvormittag protestiert. Mit neun Jahren ist er einer der jüngsten Teilnehmer bei der Fahrrad-Demonstration der Umweltschutzorganisation Extinction Rebellion in Göttingen. Die Aktion ist Auftakt für eine angekündigte „Protestwelle“ des Bündnisses, mit der auf Umweltzerstörung und Klimawandel hingewiesen werden soll. Es gehe um Aufmerksamkeit, sagt Lena Gonser, eine der Organisatorinnen des Protests am Sonnabend. Um 10.30 Uhr treffen sich rund 80 Demonstranten vor dem Deutschen Theater – alle mit dem Fahrrad, viele mit schrillen Klamotten und dem Symbol von Extinction Rebellion auf der vorgeschriebenen Schutzmaske. Die Demonstration führt vom Theaterplatz zum Platz am Gänseliesel, von dort zum Auditorium, zum Bahnhof und zurück zum Gänseliesel. Klimaprotest mit den Bee Gees: Doch vorher muss geprobt werden: An ihren Zwischenstopps wollen die Teilnehmer tanzen, zu „Stayin’ Alive“ von den Bee Gees. Die Proben zeigen: Fünf Minuten Leistungssport sind trotz drückendem Wetter und Mund-Nasen-Schutz möglich. Kinder, junge und ältere Erwachsene tanzen, was das Zeug hält. An vorderster Front dabei: Charlotte. Die junge Frau, die ihren Nachnamen nicht verraten möchte, ist für die Choreographie verantwortlich und zeigt ihren Mitstreitern, wie es geht. Den Demonstranten geht es um die großen Zusammenhänge: „Eine vernünftige Klimapolitik ist wichtig“, sagt Johannes Antpöhler. Gemeinsam mit Yamina Hadjeres ist er extra aus Bad Gandersheim zum Protest angereist. Beide tragen knallbunte Hosen und Oberteile, die sie nach eigenen Angaben extra für diese Gelegenheit gekauft haben – alles für die Aufmerksamkeit der Mitmenschen. Denn, so Antpöhler: „So, wie die Regierung in Sachen Corona unterwegs ist, müsste sie es auch beim Klimaschutz sein.“ „Es reicht jetzt“: Und die Menschen werden aufmerksam. Jogger und Spaziergänger machen Fotos. Eine ältere Dame steht während der Tanzproben staunend am Rand des Platzes und fragt, was denn hier los sei. „Für die Umwelt? Das finde ich gut. Nur schade, dass es bei mir langsam mit dem Tanzen schwierig wird“, sagt sie und lacht. Die Protestierenden steigen währenddessen für ihre Tanzauftritte gerüstet auf ihre Fahrräder. Die Fahrrad- und Tanz-Demonstration am Sonnabend stellt den Auftakt zu einer „Protestwelle“ von Extinction Rebellion Göttingen dar. Die Organisatoren planen nach eigenen Angaben bis zum 21. Juni eine Reihe von angemeldeten und unangekündigten Protestaktionen in der Stadt. Es sei wissenschaftlicher Konsens, dass der Klimawandel real und eine existenzielle Bedrohung für Mensch und Natur sei, begründet Jana Mestmäcker von Extinction Rebellion die „Protestwelle“. Gerade aus einer Universitätsstadt wie Göttingen heraus müsse Druck auf die Entscheidungsträger in der Politik aufgebaut werden. Angekündigte Protestaktionen in den kommenden Tagen sind in Göttingen außer der Fahrrad- und Tanzdemo die Kunstinstallation „Demonstrierende Bäume“, bei der am Stadtwall Bäume geschmückt werden sollen, eine Menschenkette, die für Sonnabend, den 20. Juni, am Gänseliesel geplant ist, sowie eine Müllsammelaktion im Cheltenham-Park am Sonntag, 21. Juni. Unangekündigte Protestaktionen sollen kurzfristig bekanntgegeben werden. 80 Menschen auf Fahrrädern biegen um kurz nach 11 Uhr in die Weender Straße ein. Das wäre nicht weiter außergewöhnlich, würden sie nicht alle gleichzeitig und zwischen zwei Polizeiautos in die Innenstadt fahren und ihre Klingeln einem ausführlichen Funktionstest unterziehen. Entsprechend erstaunt schauen viele Passanten. Es zeigt sich: Viele Teilnehmer wissen ganz genau, worum es geht. „Ich beschäftige mich seit 30 Jahren mit dem Klimawandel“, sagt Robert, der Vater von Javier. Auch er möchte seinen Nachnamen nicht nennen – er habe in der Vergangenheit schon manche Anfeindung für sein Engagement erlebt, so der Familienvater. Dabei sei das Problem drängend: „Wir reden seit 40 Jahren über den Klimawandel, aber außer Symbolpolitik passiert nichts. Es reicht jetzt“, sagt Robert. Raus mit Applaus: Die Aufmerksamkeit für den Protest steigert sich am Gänseliesel, der ersten Zwischenstation der Fahrrad-Demo. Vor dem Alten Rathaus wird Aufstellung bezogen, dann schallt der stilprägende Disco-Hit aus dem transportablen Lautsprecher – und aus 80 Fahrradfahrern werden 80 Tänzer. Passanten bleiben stehen, sehen dem Schauspiel zu und machen Filmchen. Am Ende ihres Tanzes gehen die Demonstranten zu Boden und aus dem Lautsprecher verkünden Klimaforscher Hiobsbotschaften. Schon ist der Protest am Gänseliesel vorbei – und die Menschen auf der Straße und in den Fenstern applaudieren. Lesen Sie auch: Protestwelle Extinction Rebellion will wieder in Göttingen demonstrieren Extinction Rebellion plant Aktionswoche in Göttingen Klimaschützer von "Extinction Rebellion" stoppen Verkehr auf Göttinger Straßen Demo mit geretteten Lebensmitteln unangemeldet Protestforscherin aus Goettingen ueber Klimaprotest Sie erreichen den Autor per Mail an lokales@goettinger-tageblatt.de. Von Tammo Kohlwes

Demonstration für Umwelt und Klima - Extinction Rebellion in Göttingen: Protest mit Fahrrad und Bee Gees