Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg besucht Göttingen

Der Erste Weltkrieg hatte tiefe wirtschaftliche Schäden hinterlassen, die zwei Jahre nach seinem Ende auch in Göttingen noch zu spüren waren. Die Demobilisierung des Millionenheeres war Ende 1920 abgeschlossen, sodass in Göttingen, das Garnison geblieben war, nur noch kleinere Einheiten der Reichswehr – statt des erlaubten 100 000-Mann-Heeres –stationiert blieben. Diese waren in der Lüttich-Kaserne, nach 1945 zur Zentrale der Gothaer Versicherungen umgebaut, in der inzwischen abgerissenen Wörth-Kaserne (heute Seniorenzentrum am Ingeborg-Nahnsen-Platz) und in der 82er-Kaserne, dem heutigen Amtshaus, untergebracht. Die langsame wirtschaftliche Erholung zeigten die Einlagen bei der Städtischen Sparkasse, die sich bis zum Jahresende 1920 um gut fünf Millionen Mark auf 39 515 877 Mark gesteigert hatten. Die Zahl der Sparbücher war ebenfalls um fast 1000 Bücher auf 34 614 gewachsen. 1921 konnte eine weitere Erholung erwartet werden. Dollar-Kurs der Mark bereitet Sorgen: Sorgen bereitete nur der Dollar-Kurs der Mark. Wenn die Negativ-Entwicklung sich fortsetzen sollte, war bald mit einem Zusammenbruch des Außenwertes der Mark zu rechnen. Am 1. April 1919 betrug der Wechselkurs 11,26 Mark zu einem Dollar, am 31. Dezember 1920 war er auf 73,37 Mark gefallen. Der sich abzeichnende weitere Fall würde schwerwiegende Folgen für die langsame wirtschaftliche Erholung bedeuten. Zwei Jahre nach Kriegsende fehlte es immer noch am Verständnis für die Gründe der deutschen Niederlage. Die vaterländischen Verbände feierten deshalb den 50. Jahrestag der Reichsgründung am 18. Januar 1921. Es gab eine Universitätsfeier in der Johanniskirche mit anschließendem Marsch zum Kriegerdenkmal von 1870/71 am Ende der Goetheallee, das inzwischen abgerissen ist. Abends trafen sich die Verbände und die Kriegervereine im Stadtpark, dort wo heute die Stadthalle steht, zu einer Gedenkfeier. Großer Tag für Göttingen: Vergleichbare Feiern veranstalteten Stadt und Universität am 6. Juli 1921 beim Besuch des Generalfeldmarschalls Paul von Hindenburg in Göttingen. Offiziell galt der Besuch einer Hindenburg-Büste, die in der Aula aufgestellt werden sollte. In der Realität des dritten Nachkriegsjahres gestalteten Stadt und Universität für den Besuch eine Hindenburg-Feier, die nicht erkennen ließ, dass Hindenburg und Ludendorff für die verfehlte Kriegsführung des Ersten Weltkriegs verantwortlich waren. Sie hatten Millionen von Gefallene und Verwundete und die desaströse wirtschaftliche Lage des Deutsches Reiches zu verantworten. Der Hindenburg-Tag endete mit einem Festkommers der Studentenschaft im Stadtpark, der von den studentischen Verbindungen dominiert wurde. Zum Bahnhof begleitete Hindenburg eine tausendköpfige Menge durch festlich geschmückte Straßen. Die Medien würdigten den Besuch als einen großen Tag für Göttingen. Damals besuchten die Universität circa 3400 Studierende, davon 340 Frauen. Die Zahl der Verbindungsstudierenden dürfte zu dieser Zeit gut 2000 Studenten betragen haben. Die Kriegsfolgen mit ihren Abstimmungen in den besetzten Gebieten, die nach dem Versailler Vertrag aufgegeben werden sollten, sowie die wirtschaftlichen Auflagen der Siegermächte lösten immer wieder Proteste aus. So wurden am 6. März in Südhannover lebende „Oberschlesier“ aufgefordert, teilzunehmen, um die polnischen Ansprüche abzuwehren. Gewählt wurde auch im Jahr 1921. Bei der Wahl am 20. Februar zum Preußischen Landtag wird die rechtsliberale Deutsche Volkspartei erneut stärkste Partei, gefolgt von der SPD, die sich nach der Niederlage von 1920 erholt. Ihre Abspaltung USPD verliert drei Viertel ihrer Stimmen und erstmals gewann die KPD eine zu beachtende Stimmenzahl. Weiterhin stark blieb die Welfenpartei sowie die nationalistische Deutschnationale Volkspartei. Die linksliberalen Deutschen Demokraten sackten deutlich ab. Göttingen zeigte sich erneut als eine Stadt der bürgerlichen Rechten, bei starker SPD-Opposition. Wohnungsnot ein zentrales Thema: Zu den drängenden sozialen Fragen der Stadt gehörte die Wohnungsnot, die die Stadt nur mit Notprogrammen eindämmen konnte. Das wichtigste Programm des Jahres war die Umwandlung des ehemaligen Kriegsgefangenenlagers „Ebertal“ in ein Wohngebiet. Fast drei Millionen Mark wurden dafür bewilligt. Die Notwohnungen existierten bis in die 1960er Jahre. Die geringe Ausdehnung der Stadt im Jahr 1921 ließ sich daran erkennen, dass am 12. Juni ein Waldheim für die Personenschule (ehemalige Mädchenschule) am Lohberg eröffnet wurde. Heute befindet sich dort eine Kita. Im Südosten endete die Stadt damals auf der Linie Friedländerweg, nur wenige Häuser standen in der Calsowstraße, dem Steinsgraben und Am Weißen Stein. Der Lohberg war unbebaut. Am Jahresende fiel eine weitreichende Entscheidung mit der Aufgabe des Turmwächteramtes auf dem Johanneskirchturm. Seit 1490 bestand der Feuerwachdienst, der viertelstündlich das Horn blies. Die Turmwächterwohnung wurde bis in die 1960er Jahre von Studierenden bewohnt. Von Klaus Wettig