Gesetz gegen „Schrottimmobilien“: Schutz für Mieter, Stadt Göttingen kritisiert Entwurf

Toiletten, Sonnenlicht und Frischluft, Strom- und Wasserversorgung – das sind die Mindeststandards die Mietwohnungen in Niedersachsen künftig haben sollen. So sieht es ein Gesetzentwurf vor, den das Kabinett in der vergangenen Woche beschlossen hat. Der Landtag muss noch zustimmen. Mit dem Gesetz will die rot-schwarze Landesregierung unredlichen Vermietern den Kampf ansagen. „Mieterinnen und Mieter haben damit künftig eine viel größere Chance, sich gegen Vermieter von Schrottimmobilien zu wehren“, sagte Bauminister Olaf Lies (SPD). „Und es ist schon jetzt ein wichtiges Signal an wenige schwarze Schafe unter den Vermietern: Wir lassen nicht zu, dass sie die finanzielle Notlage der Menschen ausnutzen.“ Verwaltungen ohne rechtliche Handhabe: Hintergrund der Gesetzesinitiative waren die Zustände in zwei Delmenhorster Mehrfamilienhäusern. Vermieter kümmerten sich nicht um die Gebäude und leiteten das Geld für Betriebskosten nicht an die dortigen Stadtwerke weiter. Die Folge: Die Gas- und Wasserversorgung wurde gekappt, die Mieterinnen und Mieter mussten mit Wasser aus Hydranten versorgt werden. Rechtliche Handhabe hatte die Stadtverwaltung nicht. Das soll sich mit der neuen Gesetzeslage ändern: Denn hält ein Vermieter die geforderten Mindeststandards dann nicht ein, soll ihn die Gemeinde per Anordnung verpflichten können, Wohngebäude und Grundstücke entsprechend auszustatten, zu gestalten, zu erhalten und wiederherzustellen. Auch ein Bußgeld bei Verstößen von bis zu 50.000 Euro ist vorgesehen, heißt es in einer Pressemitteilung der niedersächsischen Staatskanzlei. Im äußersten Fall könne der Wohnraum auch für unbewohnbar erklärt und versiegelt werden. Der Vermieter müsste dann, die Bewohner auf seine Kosten anderweitig unterbringen. „Mehr als fragwürdiges Geschäftsmodell“: Außer baulichen Mindestanforderungen soll das Gesetz auch die Belegungsdichte von Mietwohnungen regeln. Häufig werde Wohnraum überbelegt und es werden völlig überhöhte Mieten verlangt, die dann vom Sozialamt oder dem Jobcenter übernommen würden, heißt es weiter. „Dem mehr als fragwürdigen Geschäftsmodell der Überbelegung machen wir mit dem Gesetz einen Strich durch die Rechnung“, sagte Lies. Für die Göttinger Stadtverwaltung enthält der Gesetzentwurf „leider viele unbestimmte Rechtsbegriffe“, kommentiert Verwaltungssprecher Dominik Kimyon den zwölf Paragrafen umfassenden Entwurf. Näher ausführen und begründen will Kimyon diese Kritik aber nicht. Inwiefern das Gesetz dann der Stadt ermögliche, tatsächlich gegen Eigentümer vorzugehen, welche konkreten Auswirkungen es dann habe und welche Handlungsoptionen die Stadt nutzen könne – „damit wird die Stadt sich befassen, wenn das Gesetzes vorliegt“, kündigt Kimyon an. Den Grundgedanken hinter dem von Lies vorgebrachten Gesetzesvorstoß will die Göttinger Verwaltung weder bewerten noch kommentieren. „Problematisch einzustufende Wohnverhältnisse“ – auch in Göttingen: Mit Bekanntwerden des Gesetzesvorhabens im November urteilte Kimyon: „Das geplante Gesetz kann sicherlich ein weiterer Baustein sein, um bezahlbaren und adäquaten Wohnraum für Mieterinnen zu schaffen.“ Aus Verwaltungssicht sind in etwa die Immobilien Groner Landstraße 9a und Hagenweg 20 der Verwaltung für „ihre als problematisch einzustufenden Wohnverhältnisse bekannt“. Verschiedene Abteilungen der Verwaltung hätten dort häufig und immer wieder zu tun: Infektionsschutz, Sozialdienste, Ordnungsamt, Feuerwehr. Doch trotz der Vielfalt und Vielzahl dieser Aktivitäten werde nur an Symptomen gearbeitet, einen „durchschlagenden Erfolg“ mit dem Ziel einer Verbesserung der Wohnverhältnisse gebe es nicht, sagte Kimyon. Die Frankfurter Coreo AG als Eigentümerin von Wohnungen in den beiden von Kimyon genannten Immobilien ließ bis Redaktionsschluss die schriftliche und mündliche Anfrage unbeantwortet, wie das Unternehmen zu den Aussagen der Göttinger Stadtverwaltung und dem Wohnraumschutzgesetz steht, und welche Pläne sie für ihre Göttinger Immobilien verfolgt. Das sagt der Deutsche Mieterbund: Cornelius Blessin, Rechtsberater und Vorstandsmitglied beim Deutschen Mieterbund Göttingen, begrüßt den Vorstoß der niedersächsischen Landesregierung: „Wir sehen es positiv, dass es einen Mindeststandard geben soll, denn es gibt Wohnungen in Göttingen, die in dem Zustand, in dem sie sind, nicht bewohnt werden sollten“, hatte Blessin gegenüber dem Tageblatt bereits im November gesagt. Dass Kommunen künftig eine Handhabe gegen Vermieter haben sollen, die die Mindestanforderungen nicht einhalten, hält Blessin für richtig. Gemeinden müssten „eingreifen können“, wenn Mieter ihre Miete und Betriebsabgaben zahlten, die Vermieter sich aber weder um die Gebäude kümmerten noch die Betriebskosten weiterleiteten. Die Wohnungsversorgung und Wohnungspolitik in Göttingen seit 2010 will der gerade veröffentlichte „Wohnraum Atlas Göttingen“ beleuchten. Darin bereiten die Geografen Hans-Dieter von Frieling, Michael Mießner und Robin Marlow aus Göttingen und Dresden die Entwicklungen auf dem Göttinger Wohnungsmarkt, Praktiken von Immobilienunternehmen, Miet- und Bodenpreisentwicklungen, die kommunale Wohnungspolitik und die mit diesen Entwicklungen verbundenen sozialräumlichen Prozesse auf. „Der Atlas bietet einen verständlichen und anschaulichen Einblick in die Göttinger Wohnungsmarktentwicklungen“, kündigen die Autoren an. Er gliedert sich in sieben Abschnitte, die diese einzelnen Aspekte zu größeren Fragen zusammenfassen. Außer den grundlegenden Entwicklungen des Göttinger Wohnungsmarktes widmen sich die Autoren unter anderem „den Effekten neoliberaler Wohnungspolitik“ sowie den „Auswirkungen investorengetriebener Wohnungsmarktentwicklung“ anhand von Beispielen großer Immobilienunternehmen wie Vonovia oder Adler Real Estate, aber auch lokaler Projektentwickler und Investoren. Der Atlas ist frei im Internet abrufbar unter: stadtentwicklunggoettingen.wordpress.com Sie erreichen den Autor unter: E-Mail: m.brakemeier@goettinger-tageblatt.de Twitter: @soulmib Von Michael Brakemeier

Wohnungsmarkt - Gesetz gegen „Schrottimmobilien“: Mehr Schutz für Mieter, Stadtverwaltung Göttingen hält sich mit Beurteilung zurück