Göttingen: Auf die Bombensprengung folgt das große Aufräumen

Die Bomben sind unschädlich gemacht, der Sprengmeister ist abgerückt. Doch damit ist die Geschichte der Bombenräumung in Göttingen am letzten Januarwochenende nicht zu Ende erzählt: Zwar sind die Krater, die die Blindgänger bei der Detonation in den Boden gerissen haben, wieder mit Erdreich aufgefüllt. Am Montag gingen aber die bereits am Sonntag begonnenen Aufräumarbeiten weiter – und weiterhin dürfen die Bewohner mehrerer Häuser nicht zurück in ihre Wohnungen. Der Leineradweg ist gesperrt – für mindestens vier Wochen. Weiterhin gesperrt blieb am Montag auch die Pfalz-Grona-Breite – denn hier galt es, die Container abzubauen, die die umgebenden Gebäude vor Druckwellen und Trümmerteilen der Weltkriegsbomben hatten schützen sollen. Wie schon an den Tagen vor der Räumung mit dem Aufbau der Schutzwände waren am Sonntag und Montag Mitglieder der Feuerwehr Göttingen und der Fachfirma Bloedorn vor Ort. Gemeinsam sorgten sie für den Abbau der Container und räumten auf der Straße und drumherum auf. Nach Bombenräumung in Göttingen: Totalschaden an fünf Containern: „Der Abbau der Container geht in der Regel etwas schneller als der Aufbau“, erklärt Sandra Kirschbaum, zuständig für Marketing und Kommunikation beim Unternehmen Bloedorn Container. Der Ablauf sei ähnlich dem des Aufbaus. „Das gleiche Team von uns arbeitet zusammen mit der Feuerwehr. Nach und nach wird erst das Wasser abgepumpt, dann die Fixierung gelöst und schließlich der Container abgebaut und verladen“, erläutert Kirschbaum. Das Montageteam hat am Montagmorgen um 7 Uhr an der St.-Godehard-Kirche mit den Arbeiten begonnen, um die Straße wieder freizumachen. Insgesamt hielten sich die Schäden an den Containern in Grenzen. „Nach einer ersten Beurteilung weisen fünf von 72 Containern starke Schäden auf. Wir gehen in diesen Fällen von einem wirtschaftlichem Totalschaden aus. Die übrigen Container sehen nach erster Beurteilung intakt aus.“ Die Container werden direkt abgefahren in das Lager des Unternehmens in Dortmund. „Da wir es nicht schaffen werden, alle Container direkt nach Dortmund zu bringen, werden einige wieder am Skatepark an der Leine zwischengelagert.“ „Kollegiale Stimmung“ beim Container-Abbau nach Bombensprengung in Göttingen: Insgesamt rechnet das Bloedorn-Team damit, dass Mittwoch der Abbau der Containerwände abgeschlossen sein wird und am Freitag alle Container wieder in Dortmund stehen. Dort werden diese zunächst statisch überprüft, tragende Teile genau beurteilt und erst danach für weitere Einsätze freigegeben. Bei kleineren Schäden wie Löchern in der Containerwand könne die Dichtigkeit mit Schweißarbeiten hergestellt werden. Eine logistische Herausforderung war der Abbau der Container auch deshalb, weil mehr als 1000 Tonnen Wasser zurück in die Leine geleitet werden mussten. Diese Aufgabe übernahmen die Mitglieder der Berufsfeuerwehr Göttingen. Kirschbaum lobt die Feuerwehrmänner. Die Zusammenarbeit habe „wirklich außerordentlich gut geklappt“: „Die Truppe hat unsere Arbeit gut unterstützt und sogar zwischendurch mit angepackt, obwohl sie das gar nicht gemusst hätte. Das sorgte für eine sehr kollegiale Stimmung und ist nicht bei jedem Einsatz selbstverständlich.“ Drei Häuser bei Bombensprengung beschädigt: Den perfekten Schutz konnten die massiven Container-Wände am Wochenende indes nicht für alle Gebäude in der Umgebung gewährleisten: Die Wohnhäuser Pfalz-Grona-Breite 1-3 und Narzissenweg 2 stehen seit der Sprengung leer, nachdem bei der Nachbetrachtung Schäden an den Gebäuden festgestellt worden waren. Die Bewohner dürfen seitdem auf unbestimmte Zeit nicht in ihre Wohnung. Einige sind im Wohnheim an der Europaallee untergebracht. „Drei Bewohner haben unser Unterkunfstsangebot angenommen“, berichtet Göttingen Verwaltungssprecher Dominik Kimyon. Die Dauer des Aufenthalts hänge nun davon ab, wie schnell die Eigentümer die Mietobjekte herrichten könnten. Denn die Untersuchungen und Reparaturen sollten zwar so schnell wie möglich abgeschlossen sein, betonte bereits am Sonntag Göttingens Erster Stadtrat Christian Schmetz (CDU). Aber: “Sicherheit geht vor.” Nach Tageblatt-Informationen waren bereits in der Nacht von Sonnabend auf Sonntag die Mitarbeiter des Technischen Hilfswerks (THW) in erster Linie damit beschäftigt, einige geborstene Fenster mittels Holzplatten zu sichern. Dass die Häuser die Detonationen nicht schadlos überstanden haben, war am Montag von außen leicht zu erkennen: Im Garten des Gebäudes Pfalz-Grona-Breite 1-3 lagen Trümmer von Dachziegeln, an der Vorderseite des Gebäudes waren wie schon am Sonntag Fenster mit Spanplatten abgedichtet - und viele intakte Fenster standen nach wie vor auf Kipp. Am Montag machte sich eine Gutachterin der VGH Versicherungen ein Bild von den Schäden an den Gebäuden. Begleitet wurde sie von Vertretern der Eigentümer der Wohnhäuser. Stadtverwaltung Göttingen: „Weniger Schäden als befürchtet“: „ Die Sprengungen der vier Bomben hat glücklicherweise weniger Schäden verursacht, als befürchtet, sie sind in der Gesamtschau marginal“, heißt es am Montag seitens der Stadtverwaltung. Auswirkungen auf die Gebäude um die Sprengstellen herum hätten sich allerdings nicht vermeiden lassen - eine Einschätzung, die Thomas Bleicher vom Kampfmittelbeseitigungsdienst bereits am Sonntag abgab. „Eine erste Begehung hat gezeigt, dass die Gebäude Pfalz-Grona-Breite 1 und 3 und Narzissenweg 2 stärker betroffen sind“, schreibt die Stadtverwaltung weiter. Die Bewohner der Gebäude könnten deshalb aus Sicherheitsgründen – in diesem Zusammenhang berichtet die Verwaltung von Glasschäden – noch nicht zurückkehren. „Am Gebäude Narzissenweg 2 wurde die Nutzung einer Dachgeschosswohnung vorsichtshalber untersagt, da ein Riss am Fundament an der Hausecke sichtbar ist“, so die Verwaltung. Gelegentlich seien Schäden an Dächern zu verzeichnen, beispielsweise fehlende Dachziegel oder zerschlagene Dachlatten, vereinzelt auch Glasbruch. Volksheimstätte: „Mit einem blauen Auge davongekommen“: Mit einem blauen Auge davongekommen – so könnte die Schadensbegutachtung des Gebäudes Pfalz-Grona-Breite 1-3 lauten. „Das hätte ganz anders ausgehen können“, sagte Heike Klankwarth, Vorstandsvorsitzende des Eigentümers Volksheimstätte, die am Montag bei der Besichtigung des Gebäudes dabei war. Ihr Fazit: Im Erdgeschoss seien in der Regel die Fenster samt Rahmen eingedrückt worden, im ersten und zweiten Stock sei vornehmlich Glasbruch zu beklagen – warum, wie nach Tageblatt-Informationen auch die Einsatzkräfte festgestellt haben, die Glassplitter zum Teil draußen liegen, könne sie sich auch nicht erklären. Beschädigte Dachpfannen wurden nach Angaben von Klankwarth bereits am Sonntag ausgetauscht, der Innenhof sei von einer Firma gereinigt worden. Und: „Die Hausnummer 3 ist stärker betroffen als die Hausnummer 1.“ Schließlich sei noch eine Haustür zu Schaden gekommen und „der eine oder andere kleine Riss“ zu verzeichnen gewesen. Die wichtigste Erkenntnis, auch für die Bewohner, sei jedoch nach den statischen Begutachtungen durch Stadtverwaltung und einen weiteren Statiker gewesen, „dass es keine statischen Einschränkungen gibt“. Entwarnung gab es auch im Hinblick auf bei der Sprengung weggeschleuderten Schlamm – es war befürchtet worden, dass es der Schlamm durch die gekippten Fenster bis ins Haus geschafft hat. „In den Wohnungen haben wir gar nichts gefunden“, berichtete Klankwarth. Lesen Sie auch Bombensprengung in Göttingen erfolgreich – Prüfung auf Schäden läuft Liveticker: So läuft die Bombenentschärfung in Göttingen am 30. Januar Fenster mit Glasbruch sollen nach Möglichkeit bis Ende der Woche ersetzt werden, den Mietern sei nach der Begehung freigestellt worden, ob sie wieder einziehen und damit beispielsweise ein verbrettertes Badefensterzimmer hinnnehmen oder noch in ihrer Ersatzunterkunft bleiben. Bis Montagnachmittag hätten sich fast alle Mieter selbst ein Bild von ihren Wohnungen machen können. Zwar seien auch Versicherungsvertreter bei der Begehung dabei gewesen, über die Schadenshöhe konnte Klankwarth am Montag jedoch noch nichts sagen. Allerdings über Schaulustige, die am Sonntag penetrant gewesen seien: „Da waren Leute mit Handykamera und Kind an der Hand da, die wirklich über das Absperrband klettern und sich auf dem Innenhof eines fremden Grundstücks umgucken wollten“, berichtet die Volksheimstätte-Chefin. „Wenn man ihnen den Zutritt verwehrt hat, gab es noch unfreundliche Kommentare. Das muss man sich mal vorstellen: Mieter haben Angst um ihre Wohnungen, die Firmen sind vor Ort tätig, und dann so etwas.“ Auch das Bürogebäude der Volksheimstätte selbst habe einen Splitter abbekommen, Schornstein und Dach seien leicht beschädigt. Aber die Erleichterung überwiegt auch bei Klankwarth. Alles in allem sei es erfreulich, „wie gut es geklappt hat“, sagt sie. Beschädigte Häuser: Vonovia setzt auf direkten Kontakt zu den Mietern: Das ebenfalls beschädigte Haus im Narzissenweg 2 gehört zu den Immobilien des Bochumer Wohnungskonzerns Vonovia. „Im Moment begutachten wir vor Ort die Situation und können zum jetzigen Zeitpunkt noch keine endgültigen Aussagen über die Auswirkungen der kontrollierten Sprengung treffen“, erklärt Panagiota-Johanna Alexiou, Pressesprecherin Norden innerhalb der Unternehmenskommunikation. „Die Sicherheit unserer Mieterinnen und Mieter hat oberste Priorität – hierbei arbeiten wir gut mit der Stadt Göttingen zusammen.“ Es werde aber alles getan, damit die Bewohner schnellstmöglich in ihre Wohnungen zurückkehren können. „Unsere Mitarbeiter vor Ort stehen in direktem Kontakt mit unseren Mieterinnen und Mietern und halten sie über alle weiteren Schritte auf dem Laufenden“, so die Pressesprecherin weiter. Bereits im Vorfeld habe das Unternehmen über den Ablauf des Wochenendes sowie mögliche Vorkehrungen wie eine „Packliste“ informiert. Der Turm von St. Godehard blieb nach Erkenntnissen der Verwaltung unversehrt. Lediglich „eine geringfügige Bewegung im einstelligen Millimeterbereich“ sei registriert worden. Genau um 1,5 Millimeter habe sich der Turm bewegt, ist vom THW zu hören. Die Abweichung könne aber auch auf eine Temperaturveränderung im Vergleich mit der Referenzmessung zurückgeführt werden. Der Turm war durch das THW mit Hilfe von Referenzpunkten eingemessen worden. Bewohner hoffen auf schnelle Rückkehr in ihre Häuser: Und die Bewohner? Von denen war am Montagmittag am Wohnheim Europaallee in Holtensen nicht viel zu sehen. Mitarbeiter der Wohnheim-Verwaltung wollten auf Tageblatt-Nachfrage vor Ort keine Angaben zur Unterbringung der Betroffenen machen. Einige Anwohner durften am Montag zumindest kurzzeitig zurück in ihre Wohnungen, um sich ein Bild von der Lage zu machen und gegebenenfalls frische Kleidung und andere benötigte Sachen zu holen. Diese Möglichkeit nutzte zum Beispiel Mieterin Heike Niedermeiser. Für die Reaktion auf die Schäden lobte sie die Verantwortlichen: „Es sind Fenster kaputt und Dreck im Zimmer, aber den macht die Volksheimstätte weg. Sie bringen alles in Ordnung.“ Von Rüdiger Franke, Eduard Warda und Tammo Kohlwes