Göttingen: Gesundheitsamt fühlt sich vom Bund im Stich gelassen

Enttäuscht von der Bundesregierung sind nicht nur Unternehmer, die seit Wochen auf die versprochenen „November-Hilfen“ warten. Auch die kommunale Ebene fühlt sich vom Bund im Stich gelassen. Von den von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) zugesagten vier Milliarden Euro zur Stärkung des deutschen Gesundheitsdienstes sei bis heute kein Cent bei den Kommunen angekommen. Das versichert Göttingens Sozialdezernentin und Leiterin des Krisenstabs, Petra Broistedt (SPD). „Hinter uns liegen elf harte Arbeitsmonate. Das Gesundheitsamt hat sieben Tage die Woche gearbeitet. Wir haben kontinuierlich Personal aufgestockt, eine Vielzahl von Überstunden war nötig“, zählt Broistedt in einem Gespräch mit Journalisten auf. Obwohl die Gesundheitsämter, die Teil des Öffentlichen Gesundheitsdienstes (ÖGD) sind, in den vergangenen Jahren immer mehr zur Ader gelassen worden und damit nicht auf eine solche Pandemie vorbereitet gewesen seien, könne sie für das Göttinger Gesundheitsamt sagen, dass die Herausforderungen bislang gut gemeistert werden konnten. „Weil wir unendlich engagiertes Personal haben“: Auf die Frage, wie das unter nicht adäquaten Bedingungen möglich sei, antwortet Eckart Mayr, Leiter des Gesundheitsamtes für die Stadt und den Landkreis Göttingen: „Weil wir Personal haben, das unendlich engagiert ist.“ Aber so langsam würden seine Leute sagen, dass sie müde und ausgebrannt sind. Mit zunehmenden Krankmeldungen sei deshalb zu rechnen. Beim Blick auf den im Sommer 2020 vom Bund angekündigten „Pakt zur Stärkung des Öffentlichen Gesundheitsdienstes“ findet Broistedt kritische Worte: Eine Vereinbarung zwischen dem Bund und dem Land Niedersachsen – Voraussetzung dafür, dass das Geld vom Land an die kommunale Ebene weitergereicht werden kann - sei noch immer nicht abgeschlossen worden. Mit anderen Worten: Kommunen wie Göttingen hätten enorm gestiegene Aufwendungen und Kosten beim ÖGD, würden aber genau auf diesen Kosten sitzen bleiben. Das Land Niedersachsen greift zehn Prozent ab: Eigentlich sollten die versprochenen vier Milliarden Euro Abhilfe schaffen, aber sie kommen nicht. Und wenn, dann nicht in voller Höhe. Das Geld splitte sich auf: erstens auf die Jahre 2021 bis 2026 und dann auch auf verschiedene Institutionen, die mit dem Gesundheitsdienst der Kommunen gar nichts zu tun hätten, wie: Modernisierung von Flug- und Seehäfen, Stärkung von Bundesbehörden, Zuwendung für das Robert-Koch-Institut, eine Imagekampagne. Zudem greife das Land zehn Prozent der Summe ab. Der Öffentliche Gesundheitsdienst (ÖGD), zu dem die Gesundheitsämter gehören, ist in den vergangenen Jahren nach Einschätzung der Stadtverwaltung Göttingen bundesweit vernachlässigt worden. Ein Fehler, der sich jetzt in der Pandemie räche. Mit vier Milliarden Euro soll der ÖGD gestärkt werden. So hat es die Bundesregierung im Rahmen ihres Konjunkturpaketes beschlossen. Wie auch bei anderen zugesagten Bundeshilfen ist davon noch nichts angekommen. Das Geld sei aber nötig, um Gesundheitsämter für zukünftige Herausforderungen zu rüsten, heißt es von Verwaltungsseite. Bundesweit gibt es 378 Gesundheitsämter. Ihre Aufgaben sind vielfältig, dazu gehören etwa Kinder- und Jugendgesundheit, Infektionsschutz, Hygieneüberwachung, das Ausstellen amtlicher Bescheinigungen, das Überwachen des Trinkwassers, der Badeseen und anderes mehr. Unter dem Strich würden bundesweit statt vier nur 3,1 Milliarden Euro beim ÖGD landen. Deshalb nennt Broistedt den Pakt eine „Mogelpackung“. Heruntergerechnet auf Göttingen sollen in diesem Jahr 651.000 Euro und im nächsten Jahr 1,1 Millionen Euro ankommen (Niedersachsen gesamt 259,2 Millionen Euro). „Jetzt muss eine dauerhafte Finanzierung her“: Der Knackpunkt, den Broistedt an den Pranger stellt: „Wir sind in Vorleistung gegangen, haben die Mitarbeiterzahl im Gesundheitsamt fast verdoppelt. Jetzt muss eine dauerhafte Finanzierung her.“ Der Bund wolle zwar, dass bundesweit 5000 neue und unbefristete Stellen bis 2026 im ÖGD und speziell in den Gesundheitsämtern geschaffen werden, was er aber anbiete, sei jedoch eine befristete Finanzierung. Daraus sei zu folgern, dass die Kommunen nach 2026 mit den Kosten alleine gelassen würden. „Niemand will offenbar die Verantwortung für eine langfristige Finanzierung übernehmen“, mutmaßt die Dezernentin. „Wir strampeln ohne Ende und stehen an der allerletzten Stelle bei der Vergütung der Ärzte im Gesundheitsdienst. Das geht so nicht weiter“, ärgert sich Broistedt. Sie fordert eine rasche Unterzeichnung der Bund-Land-Vereinbarung, eine schnelle Auszahlung der Mittel und das Bekenntnis des Bundes zu einer langfristigen Förderung des Gesundheitsdienstes. „Wir haben das Geschehen gut begrenzen können“: „Wie wichtig die Gesundheitsämter sind, erleben wir doch in der Pandemie“, verweist die Sozialdemokratin auf die Leistung der aktuell 140 Mitarbeiter unter anderem bei der Kontaktnachverfolgung. „Wir haben das Ansteckungsgeschehen im vergangenen Jahr immer sehr gut begrenzen können. Ohne das Gesundheitsamt würde die Pandemie ganz anders verlaufen“, argumentiert Broistedt. Von Ulrich Meinhard