Göttingen: SPD-Bundestagsbewerberin Yousaf stibitzt Sätze aus fremder Rede

„Ich habe einen Fehler gemacht.“ Amina Yousaf will Nachfolgerin des kürzlich unerwartet verstorbenen Thomas Oppermann werden und sich um das Göttinger Bundestagsmandat bewerben. Ebenso wie die 30-Jährige bewerben sich in der Göttinger SPD die Richterin Andrea Bindig und der Arzt Andreas Philippi. Am 20. Februar stellten sich die drei Bewerber ihren Genossinnen und Genossen in einer Online-Veranstaltung vor, legten in Reden dar, weshalb sie Bundestagsabgeordnete werden wollen. Hinterher stellte sich heraus, dass die 30-jährige Amina Yousaf mehrere Sätze wortgleich aus einer Rede der Braunschweiger Bundestagskandidatin Margaux Erdmann (Grüne) übernommen hatte, jedoch ohne Quellenangabe. Jetzt sieht sie sich Plagiatsvorwürfen ausgesetzt. Kritik findet sich vor allem in den sozialen Medien, sie kommt nach Tageblatt-Informationen aber auch aus ihrer eigenen Partei. Was sagt die SPD Göttingen offiziell zum Vorfall? Auf eine Anfrage an den Vorstand des SPD-Stadtverbandes antwortet Cornelius Schley für dieses Gremium: „Das Verfahren zur Aufstellung der Bundestagskandidaten wird vom SPD-Unterbezirk Göttingen und nicht vom SPD-Stadtverband organisiert und geführt. Wir wissen, dass der Unterbezirk und der SPD-Bezirk Hannover mit Frau Amina Yousaf aktuell Gespräche zu den Vorwürfen über das Zustandekommen ihrer Vorstellungsrede zur Bundestagskandidatur führt. Den Ergebnissen dieser Gespräche wollen wir sinnvollerweise nicht vorgreifen.“ Ähnlich äußert sich Kevin Archut, Büroleiter beim SPD-Unterbezirk Göttingen. „Wir scheinen uns politisch einig zu sein“: Auch Andreas Philippi, Arzt in Osterode und Kreistagsmitglied, möchte den Vorfall nicht kommentieren. Nicht als Mitbewerber, sagt er. Die wortgleichen Sätze lauten (gekürzt): „... die Corona-Krise führt uns allen gerade sehr, sehr schmerzhaft vor Augen, was alles passiert, wenn die großen Fragen unserer Zeit politisch unbeantwortet bleiben.” Und: „Deswegen müssen wir so dringend aus dieser Notlage lernen.“ Und: „Krisenbewältigung ist so viel mehr als nur das Finden von technologischen Lösungen.“ Und: „Es geht ganz zentral um soziale und humanitäre Fragen, die wir dringend beantworten müssen, damit die Klimakrisenbewältigung auch nur den Ansatz einer Chance hat. Denn die Klimakrise ist in ihrem Kern eine Gerechtigkeitskrise und deswegen ist die Klimarettung ein zutiefst soziales Projekt.” Amina Yousaf, Jahrgang 1990, lebt und arbeitet seit zehn Jahren in Göttingen. Nach einer Mitteilung der Körber-Stiftung studierte sie Sozialwissenschaften mit dem Schwerpunkt Geschlechterforschung in Göttingen. Seit 2019 ist sie stellvertretende Vorsitzende der SPD im Bezirk Hannover und als Speakerin zu Fragen von Digitaler Gewalt und Feminismus aktiv. Im Jahr 2019 hat sie gemeinsam mit anderen Akteurinnen die Kampagne #NetzohneGewalt gestartet. Wesentlich auskunftsfreudiger ist Margaux Erdmann, die Frau also, der Yousaf mehrere Sätze aus deren Bewerbungsrede, gehalten am 14. Januar, stibitzt hat. „Ich will mich auf einen verständigungsorientierten Wahlkampf konzentrieren, der für eine progressive Mehrheit kämpft“, erklärt die Braunschweigerin gegenüber dem Tageblatt. „Amina Yousaf und ich scheinen uns politisch bei der wichtigsten Frage unserer Zeit einig zu sein: Klimarettung ist sozial. Sonst hätte sie den Part zur ‚Klimapolitik‘ meiner Rede nicht übernommen. Das ist das Wichtigste“, zeigt sich Erdmann versöhnlich. „Gute Rede ist eine Herausforderung“: Auf das Video von Yousaf aufmerksam geworden seien der grüne Kreisverband Braunschweig und Erdmann unter anderem durch Freunde über die Kommentarfunktion unter dem Bewerbungsvideo von Amina Yousaf auf Instagram. „Ich weiß aus eigener Erfahrung, was für ein Druck auf Kandidaten und Kandidatinnen beim Verfassen einer Bewerbungsrede lasten kann. Die eigenen politischen Ziele in packende Worte zu fassen, stellt eine besondere Herausforderung dar“, äußert Erdmann Verständnis. Da politische Reden häufig bekannte Slogans enthalten würden, könne es schnell zu ähnlichen Passagen kommen. Lesen Sie auch SPD sucht Kandidaten für Wahlkreis 53 Oppermann-Nachfolge in Göttingen: Amina Yousaf möchte in den Bundestag Göttingen: Andrea Bindig soll für die SPD zur Bundestagswahl antreten Andreas Philippi will für den Bundestag kandidieren Aus Braunschweig kam unterdessen sogar eine ausgestreckte politische Hand: „Wenn wir uns so einig sind, dann sollte es mit Grün-Rot ja kein Problem sein“, schrieb Erdmann kurz nach dem Vorfall im Internet. „Grün-Rot“? Die Wortreihenfolge ist sicher kein Zufall, oder? „Wir Grünen haben einen klaren Führungsanspruch“, stellt Erdmann klar. „Ich habe unsauber gearbeitet“: Amina Yousaf hat inzwischen in einem Post auf der Social-Media-Plattform Instagram eine Entschuldigung formuliert und erklärt, wie es zu diesem Fauxpas kommen konnte. Sie habe in den sozialen Netzwerken nach motivierenden politischen Reden gefragt. Da sei ihr auch eine Rede von Erdmann zugeschickt worden. Sie habe sich Notizen gemacht, um sie in ihrer eigenen Bewerbungsrede zu verwenden, im Notizbuch aber nicht vermerkt, dass die Sätze von Margaux stammen. „Ich habe unsauber gearbeitet“, gesteht Yousaf einen Fehler ein und gelobt Besserung. Von Ulrich Meinhard