Göttingen in einem anderen Licht: Light-Fotoprojekt in der Corona-Krise

Menschenleere Straßen in Zeiten der Corona-Pandemie: Während das öffentliche Leben in Göttingen fast vollständig zum Erliegen gekommen ist und die Innenstadt fast gänzlich verwaist ist, finden Karsten Knigge und sein Sohn Findus Hirt für ihr Hobby ideale Bedingungen vor. Mit allerlei Utensilien, Digitalkamera und Stativ bewaffnet ziehen Vater und Sohn derzeit durch die Stadt, auf der Suche nach interessanten Motiven für ihre Lightpaintings, Zeichnungen aus Licht, die sie auf Fotos festhalten. Mithilfe von bis zu 15-minütigen Langzeitbelichtungen zeichnen sie mit verschiedenen Lichtquellen ungewöhnliche Bilder, die absolute Hingucker sind. Dabei entstehen Lichtkuppeln vor dem Alten Rathaus und Sterne vor dem Deutschen Theater. Der Bismarckstein ist eingehüllt in Bögen aus herum stiebenden Funken. Küchenquirl und Stahlwolle: „Zu unseren Tools gehören Taschenlampen, farbige Gläser, Flaschen und Folien, Plexiglasstäbe und -platten, Fahrradreifen, ein Küchenquirl und Stahlwolle“, erklärt Findus Hirt. Und sein Vater ergänzt: „Lightpaintings sind absolutes Teamwork. Es braucht (mindestens) eine Person vor der Kamera, die die Lichtformer führt und eine, die die Belichtung steuert.“ „Die Bedingungen sind derzeit ideal“, sagt Knigge. Strahlender Himmel, frei von Kondensstreifen, leere Straße, frei von Fußgängern und vorbeifahrenden Autos – wie am in der vergangenen Woche vor der Aula der Universität am Wilhelmsplatz. Lange Belichtungszeiten: Findus steht mit dem Schneebesen vor dem angestrahlten Uni-Gebäude, entzündet die Stahlwolle, die er zuvor in den Quirl gestopft hat und zieht mit dem Schneebesen an einer Kette feurige Kreise. Durch die Langzeitbelichtung der Kamera entsteht so ein glühendes, funkenumtostes Feuerrad Tutorial: Malen mit Licht: „Es muss dunkel genug sein für lange Belichtungszeiten, aber noch nicht so dunkel, dass Hintergrund und Himmel schwarz erscheinen“, sagt Knigge. Da es den beiden besonders gut gefällt, wenn auf den Bildern Hintergrund und Himmel noch Zeichnung haben, bleibt für die Fotos immer nur eine sehr kurze Zeitspanne nach Sonnenuntergang. Kalender in Planung: Seit rund vier Wochen durchstreifen der 14- und 53-Jährige die inzwischen menschenleere Stadt auf der Suche nach Motiven. Durch das Schulfrei sei Zeit genug, meint Knigge. „Manche Orte wie den Göttinger Marktplatz oder das Rosdorfer Kieswerk besuchen wir mehrfach, bis wir ein gutes Ergebnis haben. Andere Locations sind vielversprechend, aber wir brachten noch kein gutes Foto mit nach Hause. Da müssen wir dann noch mal hin“, sagt Findus Hirt. Bis September soll aus den Göttinger Light Paintings ein Kalender entstehen. Knigge sieht in dem Vater-Sohn-Projekt ein gutes Beispiel von praktischem Unterricht in schulfreier Zeit, der über das reine Fotografieren hinausgehe. So hätten sie für den Kalenderverkauf ein Gewerbe anmelden müssen, Angebote von Druckereien müssten eingeholt werden und das Projekt durchkalkuliert werden. Ein Traum: Entstanden ist die Idee als Knigge, der eigentlich Verleger ist, einen Fotokurs an der Freien Schule Gleichen angeboten hatte, auf die Sohn Findus geht. „Von früheren Fotokursen, die ich leitete, wusste ich, dass es Anfängern extrem viel Spaß macht, in dunklen Räumen mit Lichtern und langen Belichtungszeiten zu experimentieren“, sagt Knigge. Findus und die anderen Schüler seien begeistert gewesen. Seitdem experimentierten die beiden zu zweit weiter. Nachdem die Fotografie wegen aus Berufsgründen bei Knigge zunächst in den Hintergrund gerückt war, entdeckt er sie gerade als Hobby neu, sagt er. Seit Donnerstag sind Fotos von ihm in der Brillen Galerie, Rote Straße 41, zu sehen. Altes Rathaus mit Gänseliesel, Deutsches Theater und Grabmale auf dem Stadtfriedhof –eine Sehenswürdigkeit fehlt den beiden Fotografen für ihr Projekt noch: „Unser Traum wäre es, eine Nacht in der Göttinger Lokhalle fotografieren zu können“, sagt Findus Hirt. Im Internet: Lightpainting Göttingen Karsten Knigge und sein Sohn Findus Hirt haben das Light Painting nicht erfunden. Wer im Netz danach sucht, findet zahlreiche Anleitungen und Erklärungen zu dieser besonderen Art der Fotografie. Benötigt werden eine Kamera, an der die Belichtungszeit manuell eingestellt werden kann – etwa eine Spiegelreflexkamera oder Systemkamera. Aber auch einige Smartphone-App bieten das. ein Stativ oder eine stabile Auflagefläche eine Taschenlampe, ein Knicklicht oder eine ähnliche handliche Lichtquelle eine dunkle Umgebung beziehungswesie einen abgedunkelten Raum Phantasie Die ersten bekannten Light-Painting-Fotografien stammen aus dem Jahr 1889. Étienne-Jules Marey und Georges Demeny aus Frankreich experimentierten dafür mit an den Gelenken befestigten Glühlampen. Enstanden ist die Serie "Pathological walk from in front". Zu den bekannsten Künstler, die die Technik anwendeten gehören Pablo Picasso, Man Ray und Eric Staller. Sie erreichen den Autor unter: E-Mail: m.brakemeier@goettinger-tageblatt.de Twitter: @soulmib Von Michael Brakemeier

Malen mit Licht - Göttingen in einem anderen Licht: Fotoprojekt in der Corona-Krise