Göttinger Berufsfeuerwehr übt Menschenrettung aus eiskaltem See

Sirenen und Blaulicht am Donnerstagnachmittag im Bereich Kiessee Ost: Um 15.15 Uhr biegen Feuerwehrwagen auf den Weg in Ufernähe ein. Nach nicht mal 60 Sekunden ist der erste Feuerwehrmann auf dem Eis, läuft rutschend zu dem Mann, der nur noch ganz leise um Hilfe rufen kann – und sich mit den Schultern auf den Rändern eines Eislochs über Wasser hält. Dieses etwa einen Quadratmeter kleine Loch hatte er kurz zuvor höchstpersönlich mit einer Kettensäge in die Oberfläche geschnitten: rund 20 Meter vom Rand des Sees entfernt – der Auftakt für die Übung der Berufsfeuerwehr Göttingen. „An der Stelle ist das Eis vielleicht zehn Zentimeter dick“, sagte Stefan Hamel, stellvertretender Zugführer in der Wachabteilung II, der sich etwas später aus der miserablen Lage befreien lassen würde. Der See sei zwei Meter tief, so Hamel: Den Luxus sich mit den Füßen auf dem Grund abstützen zu können, genoss er nicht. Etwa 30 Spaziergänger beobachten die Übung: Diesen etwas zweifelhaften Vorteil hatten etwa 15 Spaziergänger, die vor Beginn der Übung im stellenweise fünf Zentimeter hohen Schneematsch stehen geblieben waren. Bald waren es mehr als 30. Um 15.09 Uhr hatte ein Spaziergänger den Notfall gesehen und die 112 angerufen: „Ich bin hier am Kiessee in Göttingen. Ein Mann ist eingebrochen. Wir brauchen dringend Hilfe. Er wedelt mit einem Arm. Ich kann nicht aufs Eis gehen. Kommen Sie schnell. Das muss schnell gehen“, sagte Stefan Junge (Einsatzführer eines Hilfeleistungsfahrzeugs, HLF 1) ins Handy; er hatte den Part des helfenden Passanten übernommen. Ernstfall: Feuerwehrleute wussten nichts von der Übung: Und sie waren schnell, denn sie wussten nichts von einer Übung. Sie waren zu einem Ernstfall unterwegs. Um 15.16 rutsche ein Feuerwehrmann bäuchlings über das Eis, kniete neben dem „Opfer“ des vermeintlichen Leichtsinns und legte ihm einen gelben Rettungsring um den Oberkörper. „Um eine gewisse Sicherheit zu haben“, erklärte Einsatzleiter Dietmar Gloth die Aktion. Er gab die erste Meldung durch: „Person gesichert“ und parallel die Kommandos. Die Aufgabenverteilung war jetzt klar. Der nächste Feuerwehrmann brachte einen Eisrettungsschlitten an Ort und Stelle. Beide legten den Verunglückten darauf und Kollegen zogen den Schlitten ans rettende Ufer. Hier wurde das „Opfer“ vom Rettungsdienst der Feuerwehr in Empfang genommen. Die Notfallsanitäter gehören zum Wasser- und Eisrettungszug der Berufsfeuerwehr Göttingen. „Ausbildung haben wir mehr oder weniger täglich“, sagt Frank Gloth, Sprecher der Göttinger Berufsfeuerwehr. Sie begleite die Frauen und Männer ein Feuerwehrleben lang. „Sie müssen vielseitig qualifiziert sein und unterschiedliche Ausrüstung beherrschen.“ Gerade bei Einsätzen, die „nicht so häufig vorkommen“, sei Übung gefragt, so Gloth. Wie beim Wasser-Eisrettungseinsatz am Donnerstagnachmittag. Eine Eisschicht auf dem Kiessee sein in den vergangenen Jahren nicht häufig vorgekommen. „Ich denke, die Situation ist extrem spannend. Das Eis schmilzt. Trotzdem hält das manche nicht davon ab, aufs Eis zu gehen. Deshalb üben wir. Mehrmals im Jahr werden solche Übungen absolviert, so Gloth. Beispiele für eher seltene Ernstfälle seien Übungen für Gefahrgut- und Strahlenschutzeinsätze. „Wir sind dafür ausgebildet. Von uns wird jederzeit professionelle Arbeit erwartet. Dafür üben wir.“ Mit einteiligem Kälteschutzanzug ins Wasserloch: Dass sie nichts zu tun bekamen, lag an der Vorbereitung dieser Wasser-Eisrettungs-Übung. Hamel hatte einen einteiligen Kälteschutzanzug „wie er auf Bohrinseln verwendet wird“ angelegt – inklusive integrierter Gummistiefel. Der Anzug soll bei Temperaturen bis zu unter null Grad gegen Kälte schützen. „Am Oberkörper trägt er eine Feststoffschwimmweste“, erklärte Kollege Junge, der Hamel beim Umziehen half. In Ruhe. Beide hatten Zeit. Die gleiche Montur musste sich der Feuerwehrmann auf der Wache anziehen. In großer Eile. „Aber ohne Hektik. Das Schlimmste wäre, in Hektik zu verfallen“, betonte der Einsatzleiter. „Aus meiner Sicht bewerte ich die Übung mit Menschenrettung positiv. Wir liegen sehr gut im Zeitrahmen“, sagte Gloth. Etwa zehn Minuten nach dem Telefonat des Passanten mit der Leitstelle war der vermeintliche Unglücksrabe aus dem See geborgen und in weiterhelfende Hände übergeben worden. Lesen Sie auch Feuerwehr rettet Mann aus Kiessee - Übung auf dem Eis – GT - Göttinger Tageblatt Ausbildungseinheit nach getaner Rettungsarbeit: Im Anschluss an die Übung begannen die Feuerwehrfrauen und -männer der Wachabteilung mit einer Ausbildungseinheit. Zum Einsatz kam unter anderem eine zehn Meter lange, mit Luft gefüllte Rettungsplattform: „Die ist ganz neu, ein begehbarer, schwimmender Steg“, den Feuerwehrleute auf die Eisfläche trugen und zum Unfallort schoben. Hamel steckte immer noch in dem Wasserloch. „Wir testen die Plattform in der Praxis“, so Gloth. Im Besitz der Berufsfeuerwehr sei sie nicht. „Die Variante Rettungsplattform könnte ein Gerät für die Zukunft sein“, sagte Frank Gloth, Sprecher der Berufsfeuerwehr Göttingen. Von Stefan Kirchhoff