Göttinger Experte: Vollnarkose ist besser als ihr Ruf

„Träumen sie etwas Schönes, wir passen gut auf, bis gleich.“ Mit diesen oder ähnlichen Worten beginnen in Deutschland jährlich rund acht Millionen Vollnarkosen. Etwa 26.000 Fachärzte für Anästhesiologie (Stand 2019) sorgen hierzulande zusammen mit Fachpflegekräften für einen reibungslosen Verlauf bei operativen Eingriffen. Heute so sicher wie nie zuvor: Narkosen sind heute so sicher wie nie zuvor. Das liegt zum einen an neuen Medikamenten und modernen Geräten, die eine exakte Überwachung der Patienten und eine genaue, an den einzelnen Patienten angepasste Dosierung der Narkose-Medikamente ermöglichen. Andererseits kümmern sich in Deutschland speziell weitergebildete Anästhesie-Fachärzte und Anästhesie-Fachpflegekräfte im Team gemeinsam um die Patienten während der Narkose. Fünf Jahre dauert die Spezialisierung der Ärzte nach dem Medizinstudium und zwei Jahre die Weiterbildung der Fachpflegekräfte nach der dreijährigen Berufsausbildung – eine lange Zeit, die jedoch gut in die Sicherheit der Patienten investiert ist. Dieses Anästhesieteam ist hellwach, während der Patient meist schläft. Allerdings muss der Patient während einer Operation nicht unbedingt schlafen. Lesen Sie auch: Hypnosearzt im Interview – „Selbst massive Schmerzen lassen sich in Trance ausschalten“ Es gibt grundsätzlich drei Möglichkeiten, schmerzfrei eine Operation durchzuführen: - Die Allgemeinanästhesie oder Vollnarkose. Sie schaltet das Bewusstsein und das Schmerzempfinden im ganzen Körper aus. Die Patienten befinden sich in einem schlafähnlichen Zustand. Hierbei wird meist eine künstliche Beatmung notwendig. Dafür benutzt der Anästhesist entweder eine Gesichtsmaske (Bild 1), eine Kehlkopfmaske (Bild 2) oder einen Beatmungsschlauch (Bild 3). Die Patienten haben kein Zeitempfinden während der Narkose, gefühlt vergeht nur ein Augenzwinkern – Augen zu, Augen auf, fertig, und schon liegt der Patient im Aufwachraum. Diesen Zeitsprung empfinden die meisten Patienten als einen hohen Komfort und Vorteil der Allgemeinanästhesie. Und: Die Vollnarkose ist besser als ihr Ruf – Übelkeit, Erbrechen, Kreislaufschwäche oder starke Halsschmerzen sind selten geworden, auch wenn sie sich nach wie vor noch nicht ganz sicher verhindern lassen. - Die Rückenmarksnarkose (zum Beispiel: Spinalanästhesie). Sie schaltet das Schmerzempfinden in der unteren Körperhälfte aus. Kaiserschnitte oder Operationen an der Prostata, an den Knien, Hüften oder Füßen können zum Beispiel mit diesem Verfahren durchgeführt werden. Die Patienten bleiben nach dem Nadelstich in den Rücken wach, können Musik über Kopfhörer hören oder sich zusätzlich in einen leichten Schlaf versetzen lassen. Die Spezialnadel für die Rückenmarksnarkose ist nur einen halben Millimeter dick (Bild 4) und dadurch besonders schonend für die empfindlichen Strukturen am Rücken. - Die Nervenblockade einzelner Nerven oder von Nervenbündeln (zum Beispiel: Plexusanästhesie) schaltet das Schmerzempfinden für Eingriffe am Arm (Unterarm, Hand) oder am Bein (Knie, Unterschenkel, Fuß) aus. Dieses Verfahren ähnelt dem Vorgehen des Zahnarztes. Nach der Spritze wird der Bereich des betäubten Nervs völlig taub. Die Narkoseärzte können dazu entweder eine Nadel nehmen, über die ein schwacher Strom fließt, um die Nervenbahn zu reizen und damit den Nerv zu finden. Heutzutage schauen sie allerdings meist mit einem Ultraschallgerät, wo sich der Nerv befindet und das Lokalanästhetikum gespritzt werden muss. Wenn der Nerv betäubt ist, sind Arm oder Bein ohne Schmerzempfinden. Lesen Sie auch: Jugendliche Patientin wacht während OP auf Oftmals wird durch die Nadel noch ein dünner Plastik-Katheter geschoben, der dann in unmittelbarer Nähe des Nervs für ungefähr drei Tage liegenbleibt. Im Aufwachraum und auf der Station kann hierüber kontinuierlich mit einer Pumpe Lokalanästhesie verabreicht werden. So bleibt der Patient auch nach der Operation nahezu ohne Schmerzen. Auch bei dieser Narkoseform können die Patienten wach bleiben, Musik hören oder sich zusätzlich einen leichten Schlaf wünschen, damit die Zeit schneller vergeht. Ärztliches Anästhesiegespräch: Unstrittig ist, dass bestimmte Risikofaktoren wie Herz- oder Lungenerkrankungen das Narkoserisiko erhöhen. Dabei entstehen gesundheitliche Probleme weniger durch die Auswirkungen der Narkose-Medikamente, als vielmehr durch die Stressreaktion des Körpers während und nach der Operation. Nach großen Operationen oder bei Patienten mit schweren Vorerkrankungen ist es daher üblich, den Patienten nach dem Eingriff für einige Stunden oder Tage auf der Intensivstation zu überwachen und zu behandeln. Damit jeder Patient das für ihn beste Anästhesieverfahren erhält, findet vor der Narkose ein ärztliches Anästhesiegespräch statt. Hier wird anhand des Operationsgebietes, der Vorerkrankungen und des Wunsches der Patienten das beste Verfahren gemeinsam festgelegt. Außerdem erhält der Patient die Gelegenheit, im Gespräch Fragen zu klären und dadurch Ängste vor der Narkose und der Operation abzubauen. Schmerzausschaltung nach der OP: Nach der Operation erfolgt zunächst eine Überwachung im Aufwachraum, bis der Patient aus der Narkose vollständig erwacht ist beziehungsweise eine Teilnarkose abgeklungen ist. Auch im Aufwachraum werden Atmung und Kreislauf weiter kontinuierlich überwacht, und jeder Patient erhält so viel Schmerzmittel, bis der Wundschmerz gut erträglich ist. Erst bei Stabilität von Atmung und Kreislauf und weitgehender Schmerzfreiheit erfolgt die Rückverlegung auf die Normalstation. Nach besonders großen Operationen und bei sehr kranken Patienten erfolgt die unmittelbare Nachbetreuung auf der Intensivstation. Jede Operation führt zu unterschiedlich starken Schmerzen, die über Tage anhalten können. Das besondere Augenmerk der Anästhesie liegt daher auf einer ausreichenden und genügend lang dauernden Schmerzausschaltung nach der Operation. Professionelle Versorgung: Jährlich werden den drei Standorten des Evangelischen Krankenhauses Göttingen-Weende rund 11.500 stationäre und etwa 3300 ambulante Operationen durchgeführt. Insgesamt stehen hier zwölf OP‐Säle für stationär aufgenommene Patienten sowie zwei ambulante OP‐Säle im Zentral‐OP zur Verfügung. An den Standorten Weende und Neu‐Mariahilf findet sich zudem jeweils ein Raum für kleinere invasive Eingriffe. Neben den Operateuren und Anästhesisten sorgt ein Team von über 60 hochqualifizierten Mitarbeitern des Operations‐ und Anästhesie‐Funktionsdienstes für die professionelle Versorgung der Patienten. Weitere Infos vom Berufsverband: Weitere und ausführlichere Informationen hat der Berufsverband der Deutschen Anästhesisten (BDA) auf einer speziellen Internetseite für Patienten zusammengestellt. Die Adresse: sichere-narkose.de. Der Autor: Prof. Dr. Peter Neumann, Chefarzt der Anästhesie und operativen Intensivmedizin im Evangelischen Krankenhauses Göttingen-Weende Ihre Fragen zum Thema Narkose: Liebe Leser, stellen Sie Ihre Frage zum Thema „Narkose“ bitte bis Montag, 18. Januar, 10 Uhr. Hierfür gibt es eine eigene E-Mail-Adresse. Sie lautet sprechstunde@goettinger-tageblatt.de Ihre Fragen werden dann von Prof. Dr. Neumann beantwortet. Die Antworten finden Sie am kommenden Sonnabend in Ihrem Tageblatt – wiederum auf der Seite „Gesund in Göttingen“. 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