Göttinger Fraktionen wollen Straßenausbaubeiträge abschaffen

Im Rat der Stadt Göttingen hat sich ein politisches Bündnis gefunden, das die Straßenausbaubeiträge abschaffen will. Zusammengetan haben sich die Fraktionen von CDU und FDP sowie der Ratsherr Francisco Welter-Schultes (Piraten-Partei). Das Bündnis fordert in einem interfraktionellen Antrag die Aufhebung der Straßenausbaubeitragssatzung und zwar rückwirkend zum 1. Januar dieses Jahres. „Die Straßenausbaubeiträge sind ungerecht“, heißt es in der Vorlage. Die Unterhaltung von Straßen sei eine kommunale Kernaufgabe, die Erhaltung städtischer Infrastruktur diene der Allgemeinheit und sei damit Teil der Daseinsvorsorge, wird festgehalten. Und genau dort liege der Hase im Pfeffer: Wenige Bürger würden viel zahlen müssen, „obwohl die Allgemeinheit – beispielsweise Pendler, Mieter oder Nutzer des öffentlichen Personennahverkehrs – davon profitieren“. Straßenausbaubeiträge sind unsozial, heißt es in dem Antrag. In der Praxis bedeute dies: „Sie belasten einzelne Menschen unverhältnismäßig hoch und können existenzgefährdend sein.“ Eine Rechtspflicht zur Erhebung besteht nicht: Es wird in dem Papier explizit darauf verwiesen, dass keine Rechtspflicht zur Erhebung von Straßenausbaubeiträgen besteht - und das bereits seit 1991 nicht mehr. Die Formulierung „können“ in Paragraf 6, Absatz 1, des Niedersächsischen Kommunalabgabengesetzes (NKAG) stelle es den Kommunen frei, Beiträge zu erheben oder auf sie zu verzichten. Die Frage also, ob und in welcher Höhe Straßenausbaubeiträge erhoben werden, sei eine rein politische. Eine Reaktion der Stadtverwaltung liegt bereits vor. Der Fachbereich Tiefbau und Bauverwaltung plädiert dafür, die bisherigen Regelungen bestehen zu lassen. In der Stellungnahme heißt es: „Auf die Einnahmen kann nicht verzichtet werden.“ Schon jetzt seien die Mittel zur Straßenunterhaltung „nicht auskömmlich“. Außerdem sei infolge der Corona-Pandemie und der damit verbundenen wirtschaftlichen Schieflage mit „sinkenden städtischen Einnahmen“ zu rechnen“. Abgabe kann Vermieter nicht auf Mieter umlegen: Bei den Straßenausbaubeiträgen handele es sich um die „einzige grundstücksbezogene Abgabe, die ein Eigentümer nicht auf die Mieter umlegen kann“. Sollte nun zum Ausgleich eine andere Einnahmequelle, wie etwa die Grundsteuer, erhöht werden, würde das eine zusätzliche Belastung von Mietern bedeuten. In Anbetracht der hohen Mieten und der Wohnungsknappheit in Göttingen sei das kontraproduktiv. In der ausführlichen Antwort der Verwaltung wird auch erwähnt, dass die Beitragspflichtigen „nur einen Anteil der Kosten tragen und eben nicht – wie leider häufig falsch dargestellt – die kompletten Ausbaukosten zu tragen verpflichtet wären“, heißt es. Nun gibt es in Göttingen seit September 2019 ein Bündnis für nachhaltige Stadtentwicklung, bestehend aus Vertretern kleiner Parteien und Initiativen. Zum Vorstand gehört Ratsherr Welter-Schultes. Dieses Bündnis lehnt die Argumentation der Verwaltung „entschieden ab“. In einer mit dem 26. Juni datierten Stellungnahme wird festgehalten: „Insbesondere der Hinweis auf Corona-bedingte Einnahmeausfälle erscheint zweifelhaft, ist doch glaubwürdig in Aussicht gestellt worden, dass die Kommunen die Einnahmeausfälle, auch der Gewerbesteuer, in ausreichender Höhe durch ein Rettungspaket des Bundes kompensiert bekommen.“ Beiträge treffen wahllos Anwohner bestimmter Straßen: Es dürfe nicht dazu kommen, dass Kommunen, die keine Beiträge erheben, mehr Geld aus dem Rettungsfonds bekommen als solche, die die Bürger zum Straßenbau heranziehen und dann gegenüber dem Bund weniger Bedarf nachweisen können. „Straßenausbaubeiträge treffen mit Beträgen von teilweise mehreren zigtausend Euro wahllos Anwohner bestimmter Straßenzüge, die sich weder dagegen wehren, noch auf die Planungen nennenswert Einfluss nehmen können“, wird vonseiten des Bündnisses für nachhaltige Stadtentwicklung beklagt. „In Baugebieten der 1950er und 1960er Jahre, deren Straßen und Kanäle zunehmend sanierungsbedürftig werden, wird es immer mehr Menschen treffen, die aufgrund ihres Alters keine Kredite mehr bekommen und gezwungen würden, ihr Eigenheim zu verkaufen“, so Erika Lohe-Saul, Mitglied des Vorstandes. Zudem tauche das Problem der ungebremsten Raserei durch Wohngebiete nach vielen Straßensanierungen auf. „Diese Sanierungen sind heutzutage längst kein Segen mehr, sondern eine starke Belastung für die Anwohner, findet Peter Kops, Sprecher der Interessengemeinschaft Plesseweg. „Stadt hat eher zu viele Mittel für den Straßenbau“: Am Plesseweg sind kürzlich bei einer ebenfalls im Vorfeld kritisierten Sanierung Straßenbäume beschädigt worden (Tageblatt berichtete). Die im März erfolgte Sanierung des Belags der Bismarckstraße durch den Göttinger Wald, die nach Ansicht des Bündnisses nicht nötig gewesen wäre und nur zu erhöhter Raserei führe, habe gezeigt, „dass die Stadt gegenwärtig offenbar eher zu viele finanzielle Mittel für den Straßenbau übrig hat“. Der interfraktionelle Antrag wird während der Sitzung des Finanzausschusses am Dienstag, 30. Juni, zur Sprache kommen. Die öffentliche Sitzung im Ratssaal des Neuen Rathauses beginnt um 16 Uhr. Wie sich die anderen Fraktionen zum Thema positionieren, wird sich dann zeigen. Vor gut zwei Jahren, im Mai 2018, hatte die FDP-Fraktion im Rat der Stadt Göttingen bereits den Versuch unternommen, Straßenausbaubeiträge abzuschaffen. Damals votierte allerdings eine große Mehrheit im Finanzausschuss gegen diesen Vorschlag, Die Ratsmitglieder folgten einer Einschätzung der Stadtverwaltung. Darin hieß es, dass die Erhöhung der Grundsteuer von den Eigentümern „in sozialunverträglicher Weise“ auf die Mieter abgewälzt werden würde. Zudem führte die Verwaltung eine Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes München an. Danach sei „Gemeinden nur bei Vorliegen atypischer Umstände ausnahmsweise ein Absehen vom Erlass einer Straßenausbaubeitragssatzung erlaubt“. Mareike Röckendorf (FDP) bezweifelte damals die Richtigkeit der Verwaltungsauffassung. Sie verwies auf ein Urteil des Göttinger Verwaltungsgerichtes von 2013. Das Gericht habe festgestellt, dass es die freie Entscheidung der Gemeinde sei, ob sie Beiträge erhebt. Von Ulrich Meinhard