Göttinger Literaturherbst: Elke Heidenreich liest im Deutschen Theater

Stephan Lohr vom Göttinger Literaturherbst sparte am Sonntag nicht mit Komplimenten und Lob, als er Elke Heidenreich dem Publikum im Deutschen Theater vorstellte. Die Krone trage sie im Reigen der Autorinnen, eine Persönlichkeit mit Intelligenz und Leidenschaft sei sie. Damit dürfte er den Gästen der Lesung aus der Seele gesprochen haben. Elke Heidenreich las am 25. Oktober aus ihrem neuen Buch „Männer in Kamelhaarmänteln“. Es geht um Kleidung, um Mode, um Frauenträume und Männermacken und auch um Nero Corleone, diesen gerissenen schwarzen Kater, diesen Mafiosi. Und alles zusammen ist ein heißer Tipp in Sachen beeindruckender Belletristik. „Ich bin in einem Alter, in dem man anfängt, das Haus aufzuräumen“, steigt Heidenreich in ihre Lesung ein. Gefunden habe sie bei dieser ordnenden Beschäftigung ihre Tagebücher und darin zahlreiche Aufzeichnungen über Kleidung, etwa über ihr Kleid bei der Schulabschlussfeier. Da habe sie schließlich angefangen, Geschichten zu schreiben. Entstanden sei ein Sammelsurium über Kleider und Kleidung. Aus diesem im Hanser Verlag erschienenen Buch hat Heidenreich bislang nur zweimal in Frankfurt/Main öffentlich gelesen, auch nur kurz. „Ich weiß nicht genau, ob die Pointen sitzen. Das werde ich jetzt bei Ihnen merken“, informiert sie vorab. Lesen Sie auch Bestseller-Autorin Cornelia Funke plaudert aus dem Nähkästchen „Die Hose zieret nur den Mann“: Es folgen knapp ein Dutzend kurzer Geschichten, die allesamt zuallererst fröhlich stimmen, dann auch nachdenklich und schließlich wieder fröhlich. Da ist die Erinnerung an ihre Teenagerzeit und eine Jugendherberge im Sauerland, in der tatsächlich der Hinweis zu finden war: „Die Hose zieret nur den Mann, drum Mädchen zieh dir Röcke an.“ Die habe sie auch getragen, aber nicht lange. „Wir lasen Sabre und Camus und trugen Schwarz“, erzählt Heidenreich. In den Geschichten ist auch eine Abrechnung mit ihrem Vater enthalten, der Frauen besonders liebte, ob blond, ob braun… Und der eines Tages ganz aus ihrem und dem Leben ihrer Mutter verschwand. Textiler Fehlkauf aus Absicht: Sie erzählt von textilen Fehlkäufen, die manchmal beabsichtigt waren. Etwa bei dem fantastischen Kleid Größe 34, italienische Kreation. „Vielleicht schrumpfe ich als alte Frau zusammen, vielleicht wird es mein Totenkleid“, zeigt sich die Kafka-Freundin unbefangen und beherzt gegenüber Endgültigem. Sie schwärmt von Venedig, dieser Stadt aus Licht, Luft und Wasser, berichtet von einer interessanten Begegnung mit Heinz Rühmann, mit dem unkomplizierten Schriftsteller T. C. Boyle, der divenhaften Susan Sonntag, redet über ihren „viel zu früh verstorbenen Freund Carlo“ und seinen lila Anzug, von ihrer Festrede in Salzburg, vorgetragen in einem von ihrer Mutter über den Krieg geretteten Kleid aus schwarzer Wolle, mit Mottenlöchern auf der Rückseite… Der falsch herum angezogene Pullover: Dann ist da die Geschichte über einen perfekten Mann, der in einem Café in einem Buch liest, schick gekleidet, Kaschmir-Pullover (wenn auch falsch herum, egal), Lederschuhe - doch bei der Lektüre handelt es sich bei genauem Hinsehen um „Fifty shades of grey“. Nein, das mit dem falsch herum angezogenen Pullover ist doch nicht egal… Und zwischendurch haut sie Sätze raus wie: „Das Einfache, das muss man können. Das Aufgeblasene kann jeder.“ Oder: „Ein Mann, der keine Kartoffeln mag - das wird nichts.“ Oder: „Etwas nicht zu können, ist manchmal sympathischer, als zu protzen.“ Sie liest mit Freude, liest sich warm, nimmt ihr Publikum mit und alles hat irgendwie mit Mode oder Kleidung zu tun. Festzuhalten bleibt: Die Heidenreich ist die leibhaftige Köstlichkeit der deutschen Literatur. Nicht im Sinne von Schmankerl oder Dessert, aber auch das: ein Dinner aus Sprachgewandtheit verwoben mit menschlicher Wärme, Augenzwinkern, Humor und sogar Weisheit. Unprätentiös und wunderbar. Der Autor ist per Email zu erreichen unter u.meinhard@goettinger-tageblatt.de Lesen Sie auch Schulstart in Niedersachsen: Das sind die Corona-Regeln Göttingen: Goethes „Wahlverwandtschaften“ hat Premiere am Jungen Theater Göttingen: „Die fürchterlichen Fünf“ liefern einen Song mit Ohrwurmpotenzial Von Ulrich Meinhard