Groner Landstraße 9 in Göttingen: Grüne fürchten Nebenkostenskandal

Unverhoffte Post von der Hausverwaltung: 181 Mieter in dem Wohnkomplex Groner Landstraße 9-9b haben Ende des Jahres von der Kölner SHV Immobilien-Verwaltungs GmbH die Abrechnung der Heiz- und Betriebskosten für 2019 bekommen. Was dabei fehlte: der Nachweis für bereits geleistete Vorauszahlungen der Mieter. Was in dem Schreiben hingegen nicht fehlte: eine Aufforderung, den ausgewiesenen Nachzahlungsbetrag für die Nebenkosten bis zum 15. Januar 2020 zu überweisen. In einer auf den 21. Dezember 2020 datierten Rechnung, die dem Tageblatt vorliegt, summiert sich der Nachzahlungsbetrag für eine 17 Quadratmeter große Wohnung auf rund 1700 Euro. Die Begründung liefert die SHV Immobilien-Verwaltungs GmbH in dem Schreiben vom 21. Dezember gleich mit: „Aufgrund des Verkaufes der Eigentumsanteile der Winteks GmbH an die Gänseliesel Wohn GmbH liegen uns leider keine Vorauszahlungsbeträge des Voreigentümers vor. Bitte weisen Sie uns diese nach, damit Ihre Vorauszahlungen für das Jahr 2019 vollumfänglich berücksichtigt werden können.“ Die Grünen in der Stadt Göttingen vermuten nun in dem Vorgehen einen „dreisten Betrugsversuch“, bei dem zweimal Nebenkosten für die gleiche Wohnung und den gleichen Zeitraum abgerechnet werden sollen. Sie sprechen von einem „Nebenkostenskandal auf dem Rücken der Bewohner*innen der Groner 9a“, den es zu verhindern gelte. „Dreiste Form, Profite zu machen“: „Mietzahlungen gehen als ein Posten vom Konto ab. Meist monatlich und per Dauerauftrag. Wie genau soll man nachweisen, dass ein Teil dieser Miete die Nebenkosten sind“, fragt Christina Urlaub vom Grünen-Stadtvorstand. Vorstandskollege Nils Pagels ergänzt: „Das ist eine dreiste Form, Profite bei Menschen zu machen, die ohnehin schon in Problemimmobilien wohnen müssen und nicht die Mittel haben, sich zu wehren. Eine solche Form der Bereicherung von Immobilienfirmen dürfen wir nicht hinnehmen.“ Werner Eßer, Geschäftsführer SHV Immobilien-Verwaltungs GmbH, bedauert das gewählte Vorgehen, das offenbar „polarisiere“. Er beteuert: „Wir haben nicht vor, die Leute zu betrügen. Wir haben kein Interesse, die Leute abzuziehen.“ Eßer begründet die jetzigen Aufforderungen zur Nachzahlung mit der sonst ablaufenden zwölfmonatigen Abrechnungsfrist für die Betriebskostenabrechnung. Lesen Sie auch Bewohner der Groner Landstraße 9 kritisiert Stadt Göttingen CDU befürchtet Sozialbetrug in Göttinger Problemimmobilien Göttingen: Stadt plant Beratungs-Container für Groner Landstraße 9 Göttingen: Groner Landstraße 9: Rats-Fraktionen planen gemeinsame Hilfe „Viele Rückmeldungen“: Dass die versandten Schreiben so unvermittelt die Mieter erreicht hätten, bedauert Eßer. Bei 181 betroffenen Wohnungen sei das aber nicht vorab zu kommunizieren gewesen. Seinen Angaben zufolge habe es aber inzwischen „viele Rückmeldungen“ von den Mietern gegeben. Eßer erklärt, dass es im Frühjahr des vergangenen Jahres einen Eigentümerwechsel bei einer Vielzahl von Wohnungen in dem Gebäudekomplex gegeben habe. Neuer Eigentümer hier: die Gänseliesel Wohn GmbH, für die die SHV Immobilien-Verwaltungs GmbH mit der Mietverwaltung betraut ist. Abrechnungsunterlagen seien von einigen der bisherigen Eigentümer aber nicht mit übergeben worden. „Wir laufen dem seit einem Jahr hinterher“, sagt Eßer. Trotz Nachdrucks sei dabei nichts zu machen. „Wir als Verwalter sind dabei außen vor.“ Mieter müssen Zahlungen nachweisen können: Uwe Witting, Justiziar bei der Vereinigung der Haus- und Grundeigentümer in Göttingen und Umgebung (H+G), bestätigt, dass etwa Abrechnungsunterlagen bei einem Eigentümerwechsel „nicht zwangsläufig“ übergeben werden müssen, eine Übergabe sei nicht rechtlich verpflichtend. Richtig sei aber auch, dass die Mieter verpflichtet sind, im Zweifel geleistete Nebenkostenzahlungen nachzuweisen. Ein Eigentümerwechsel, so Witting weiter, dürfe aber keinen Nachteil für die Mieter haben. Pagels spricht ein weiteres Problem an: So würde bei vielen der betroffenen Mieter die Miete direkt vom Jobcenter überwiesen. Hier fordert er nun die Stadt auf, keine doppelte Bezahlung von Nebenkosten zu leisten und dafür Vorsorge zu tragen, dass keine unrechtmäßigen Forderungen erhoben werden. Sie solle sich hinter die Bewohner stellen und sie unterstützen, „sich gegen solche Machenschaften zu wehren“. Kontakt zur Stadtverwaltung Göttingen: Das rät auch H+G-Justiziar Witting: Die betroffenen Mieter, die Leistungen vom Amt bekämen, sollten sich mit der Stadtverwaltung in Verbindung setzen. Inzwischen haben tatsächlich „vereinzelte“ Kunden die Nebenkostenabrechnungen vorgelegt, sagt Göttingens Verwaltungssprecher Dominik Kimyon. Die Kunden würden dahingehend beraten, dass sie gegen eine Abrechnung ohne Berücksichtigung der Vorauszahlungen Widerspruch einlegen sollen. Andere Mieter lassen sich nach Tageblatt-Informationen inzwischen auch anwaltlich vertreten. „Doppelzahlung im Regelfall ausgeschlossen“: Nebenkostenabrechnungen seien der Stadt ohnehin unaufgefordert vorzulegen, fährt Kimyon fort, da das Vorliegen eventueller Guthaben zu prüfen sei. Bei der Prüfung der Abrechnung werde auch geschaut, welche monatlichen Nebenkostenvorauszahlungen bei den Kosten der Unterkunft bereits berücksichtigt wurden. „Eine Doppelzahlung ist daher im Regelfall ausgeschlossen.“ Sämtliche Kunden würden in ihrem Erstbescheid darauf hingewiesen, dass in begründeten Fällen die Kosten für eine Mietrechtsberatung übernommen werden könne, erklärt Kimyon. Müchener Adresse: Sowohl die Winteks GmbH mit Geschäftsführer Thomas Kämmerer als Vorbesitzerin eines Teils der betroffenen Wohnungen und die Gänseliesel Wohn GmbH mit Geschäftsführer Maximilian Hagensick als Neueigentümerin geben als Firmenadresse die Nördliche Münchner Straße 47 in Grünwald bei München an. Das Business Service Center bietet dort Büros zum Mieten, virtuelle Büros und Firmensitze sowie Co-Working-Arbeitsplätze an. Der Göttinger Anwalt Nils Spörkel, der einen Mieter vertritt, hält diese geografische Nähe mindestens für „seltsam“. Eßer betont, nicht für die Winteks GmbH als eine der Vorbesitzerinnen der Wohnungen tätig gewesen zu sein. Der Kölner Immobilienverwalter schließt derzeit aus, in dieser Angelegenheit Klage gegen möglicherweise säumige Mieter aus der Groner Landstraße zu erheben. „Dabei würden wir nur verlieren“, sagt er. Nicht nur Mietverwaltung: Die Kölner SHV Immobilien-Verwaltungs GmbH ist nach Angaben von Geschäftsführer Werner Eßer mit einem dem entsprechenden Beschluss in der Eigentümergemeinschaft seit dem 1. Januar auch als Wohnungseigentumsverwalter für alle 433 Wohnungen in dem Wohnkomplex Groner Landstraße eingesetzt. Derzeit, so Eßer, liefen Überlegungen, wie das Objekt saniert werden könne und wie dort „Struktur“ hereingebracht werden könne, sagt Eßer. Das Ziel, das ihm vorschwebe, sei, den „sozialen Brennpunkt zu drehen“, wie er es nennt. Ein Hausmeisterservice vor Ort, den Einsatz von Sicherheitsfirmen und etwa die regelmäßige Reinigung des Gebäudes sowie der Außenflächen gehörten etwa zu den Maßnahmen. Inzwischen hat es bereits Gespräche zwischen neuer Hausverwaltung und der Stadtverwaltung Göttingen gegeben, bestätigt Verwaltungssprecher Dominik Kimyon. Gegenüber der Hausverwaltung und den Mehrheitseigentümern der Groner Landstraße 9, 9 a und 9b bestehe seitens der Stadt die „deutliche Erwartung“, dass die Verbesserung der Wohnbedingungen im Interesse der Mietern „nun ernsthaft“ angegangen werde, sagt Kimyon. Eßer kennt sich aus mit Problemimmobilien: Seit Jahren betreut seine Firma den Kölnberg in Köln-Meschenich mit rund 4000 Bewohnern aus 70 verschiedenen Nationen. Eßers Anspruch: Aus einem verwahrlosten Hochhauskomplex eine attraktive Wohnoase machen. Dort hat er im Kampf gegen Kriminalität eine „Kölnberg-Security“ eingerichtet. Elektronische Chipkarten gibt es für die Hauseingänge. Nur wer eine hat, kommt hinein. „Manchmal braucht es dafür Fingerspitzengefühl, manchmal auch einen Dampfhammer“, sagte Esser Eßer in einer Langzeit-Dokumentation über den Brennpunkt „Kölnberg“. Von Michael Brakemeier